kostenlos, für alle, für immer
Gezielt platziert
Die Vorstellung des neuen Affinity, exakt zum Ende der Adobe MAX, ist weit mehr als ein gewöhnliches Software-Update: Affinity Designer (Vektorgrafik), Affinity Photo (Bildbearbeitung) und Affinity Publisher (Layout), bislang drei eigenständige Programme, werden in einer neuen Anwendung gebündelt – und künftig vollständig kostenlos bereitgestellt. Eine iPad-Version ist für 2026 angekündigt.
Zeitgleich wurde ein neues Dateiformat eingeführt: ».af« ersetzt die bisherigen Endungen .afdesign, .afphoto und .afpub. Bestehende Dateien lassen sich öffnen, neue jedoch nicht in älteren Versionen bearbeiten.
Die Nutzung erfordert einen kostenlosen Canva-Account. KI-Funktionen wie Freistellen, Erweitern oder Generieren, sowie erweiterter Cloud-Speicher oder Online-Support bleiben Premium-Mitgliedern vorbehalten (Canva Pro kostet in Deutschland 12 € im Monat oder 110 € pro Jahr, der neuen Business-Tarif 160 € pro Jahr).
Monetarisiert wird später
Professionell nutzbar, einmalig bezahlt, lokal installiert: Affinity galt schon bisher als Gegenentwurf zur allgegenwärtigen Adobe Cloud. Eine Software für Gestaltende, die Unabhängigkeit suchten, vom Abo-Zwang, von der Preislogik, von der Monokultur eines Großkonzerns. Auch bei der tgm gab es schon Workshops zu Affinity. Doch trotz überzeugender Argumente blieb das System eine Nische – ein Werkzeug eher für Idealist:innen, weniger für die breite Masse.
Canva stand für das Gegenteil: Gestaltung als Massenphänomen. Browserbasiert, templategetrieben, niedrigschwellig. Ein Werkzeug, das Design weiter demokratisierte – aber auch standardisierte. Beliebt in Schulen, Vereinen, Marketingabteilungen und interner Kommunikation. Doch eher selten ernst genommen im professionellen Umfeld.
Mit der Übernahme von Serif / Affinity durch Canva 2024, verschmolzen diese Welten. Affinity liefert die Werkzeuge, Canva die Infrastruktur.
Das Geschäftsmodell scheint clever: Professionelle Designer:innen gestalten mit kostenloser Software, monetarisiert wird später – bei Zusammenarbeit, Cloud-Speicherung, Markenverwaltung, KI-Funktionen. Die Wertschöpfung liegt im Übergang von der Kreation zur Verbreitung. Canva positioniert sich damit als Infrastruktur, die Gestaltung, Produktion und Veröffentlichung eng verzahnt. Mit über 200 Millionen Nutzer:innen sieht sich Canva gut aufgestellt, dieses Modell weltweit zu skalieren.
Das Ende der Adobe-Dominanz?
Schon vor dem Relaunch galt Affinity als ernstzunehmende Alternative. Jetzt fällt die Preisbarriere. Freelancer:innen, junge Gestalter:innen, kleine Studios erhalten ein professionelles Werkzeug zum Nulltarif – für immer.
Doch »forever« ist in der Softwarewelt ein großes Wort. Geschäftsmodelle ändern sich, Versprechen ebenso. Serif selbst twitterte noch 2022 »Ain’t nobody acquiring us 😎« – eineinhalb Jahre später gehörte das Unternehmen zu Canva.
Die Erfahrung lehrt, kostenlos ist selten (dauerhaft) umsonst. Die Softwaregeschichte kennt dieses Muster: Ist die Kundenbasis erst gebunden, folgt häufig die Monetarisierung. Doch wenn ein CEO auf der Bühne verspricht, die Anwendung bleibe »für immer« kostenlos, dann hat das Gewicht.
Wie auch immer: Seit der Übernahme zeigt sich Affinity ambitionierter denn je. Wenn Canva diesen Kurs hält, könnte das ein Wendepunkt sein – vergleichbar mit Adobes Aufstieg Anfang der 2000er-Jahre. Damals übernahm Adobe das von Aldus entwickelte Programm »K2«, brachte es als InDesign neu auf den Markt und stieß damit QuarkXPress vom Thron: durch technische Offenheit, bessere Integration, kundenfreundlicheren Service und einen damals deutlich günstigeren Preis.
Ob sich die Geschichte mit vertauschten Rollen wiederholt, bleibt offen. Sicher ist nur: Der Zugang zu professioneller Kreativsoftware war noch nie so niedrigschwellig wie jetzt. Die kommenden Monate werden zeigen, was daraus entsteht.
Zum Ankündigungsvideo auf YouTube: »Ash Hewson stellt die neue Affinity-Keynote bei Canva vor.«
Weitere Infos u. a. im Designtagebuch und bei Heise.
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