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zitate
Die Typo­graphie ist die Rhetorik der Schrift.
Reinhard Albers

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

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Buchbesprechung

Frisch gebunden: Spannende Neuerscheinungen

Rudolf Paulus Gorbach
26. November 2024
Jetzt, kurz vor Weih­nachten, sind einige bemer­kenswerte Bücher zu Typo­grafie und Gestaltung erschienen. Von prämierten Arbeiten des TDC-Wett­bewerbs über inno­vative Ansätze zur barrie­re­freien Gestaltung bis hin zu tief­ge­henden Analysen zur Entwicklung von Schrift­formen: Diese Titel laden dazu ein, Typo­grafie aus neuen Perspektiven zu betrachten, alte Fragen neu zu stellen oder sich von der Vielfalt an Ideen inspi­rieren zu lassen.
Die neun beschriebenen Fachbücher

Statt jedes Buch in einem separaten Beitrag vorzu­stellen, habe ich hier eine kompakte Übersicht der Titel zusam­men­ge­stellt. In den letzten Monaten lag mein Fokus auf einem anderen span­nenden Projekt – »Gutes Design für Leichte Sprache«. Doch auch diese Bücher verdienen Aufmerk­samkeit. Alle Publi­ka­tionen habe ich bewusst ausgewählt, weil sie wichtige Impulse für Typo­grafie- und Desi­gnbe­geisterte setzen.

Ist viel­leicht ein Weih­nachts­ge­schenk für Sie dabei? Was macht diese Titel so besonders? Finden wir es gemeinsam heraus – los geht’s!

The 44th Annual of the Type Directors Club 2023

Was macht Typo­grafie heute aus? Schaut man in eine dominante Quelle wie das Jahrbuch des 44. TDC-Wett­bewerbs, so sieht man, dass vieles möglich ist: Von der Strenge der Typo­grafie, wie sie schon in den 1960er Jahren ihren Ursprung fand bis zu hoch­ver­dichteten und sehr kompli­zierten Seiten, wie sie erst mit dem Werkzeug »Computer« rationell möglich waren und sich noch ständig weiter entwickeln. Aber auch das »Buch­staben malen«, genannt Lettering, findet Anwendung und vor allem Kunden, Natürlich kommt auch unter den prämierten Arbeiten einiges vor, was man glaubt, schon ähnlich gesehen zu haben. Aber was ist heute schon absolut neu?

Inklusion Gestalten

Was die Leichte Sprache betrifft, möchte ich hier gleich auf ein bereits 2023 erschienenes Buch hinweisen: »Inklusion Gestaltung«. Hier werden als inte­grierter Doppelband ein Metho­denheft und ein Fachbuch  vereint. Entstanden ist das Buch in der Umgebung der Hoch­schule für Ange­wandte Wissen­schaften und Kunst, Fakultät Gestaltung Hildesheim (Heraus­gebende sind Barbara Kotte, Abdreas Schulz, Günter Weber, Tobias Witt und Tiema Brants. Unter anderem finden wir hier neben den grund­sätz­lichen, durchaus wichtigen Beiträgen zum Thema der Inklusion für die Gestaltung auch Beiträge zum Thema der Leichten Sprache. So Tom Bieling zur Gestaltung als Teilhabe; Isabel Rinke und Christiane Maaß über Kommu­ni­ka­ti­ons­bar­rieren; Florian Adlers »leserlich.info« wird vorge­stellt; eine App für Ausflüge in Leichte Sprache (Saina Nouri, Louisa Heuter); oder  das Thema der barrie­re­freien Leit- und Orien­tie­rungs­systeme wird ange­rissen (Hannah Lena Feldbusch, Lars Hohmeier, Nadine Ilse und Tim Udvardi-Lakos).

Plakat isst eine Fläche

Plakat­ge­staltung seit 1968 aus und um die Hoch­schule Düsseldorf steht im Fokus einer speziellen kleinen Broschur. Hier finden sich längst bekannte Namen unter den Gestaltern, aber auch durchaus neu zu entde­ckende.

Aber das Buch ist sich als Objekt selbst genug. Denn es besteht aus  endloser Streifen über 328 Seiten, die nun in Seiten abge­schnitten sind. Wenn man Glück hat ist ein Plakat ganz abge­bildet. Aber oft laufen sie über auf die nächste Seite und man kann die Abbil­dungen dann viel­leicht mental zusam­menfügen. Ein netter Insi­derwitz. Aber für eine Doku­men­tation ist das störend (und es gäbe unendlich viele schöne Abbil­dungen).

Slanted

Buch­ge­staltung steht im Mittelpunkt der Ausgabe 42 von Slanted. Und auch hier passiert sehr viel. Was alles möglich ist oder sein könnte bis zu puris­tischen Buch­ge­stal­tungen wird in der slanted üblichen Dichte mitte­lachsig kommentiert. Man braucht schon Zeit, um in diesem Buch visuell zu forschen.

Ukrai­nische Typo­grafie und Gestaltung stehen im Fokus von Slanted 43. Unab­hängig von der leider so aktuellen Situation ist es recht spannend, in dieser Ausgabe so viel frische Krea­tivität zu bewundern. Doch finden sich auch die parallelen Arbeiten zur inter­na­ti­onalen Szene des Kommu­ni­kations-Designs.

Doppelseite aus Slanted 43: Ukrainische Typografie und Gestaltung
Was so optimisitsch aussieht stammt aus einem bedrohten Land.

Und nochmal slanted: Typo­grafie trifft Mode – das ist das Thema der 44. Ausgabe von Slanted mit dem Titel »type fashion«. Diese Ausgabe präsentiert eine faszi­nierende Sammlung von Schrift und Typo­grafie, die ihren Weg auf Kleidung und Textilien gefunden hat.

Doch nicht nur die beein­dru­ckenden Bilder ziehen in den Bann: Wie gewohnt bereichert Slanted die Ausgabe mit tiefer­ge­henden Essays, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Ein inspi­rie­render Mix aus visuellem Genuss und gedank­licher Tiefe.

Morphologie der Schrift­zeichen

In der Reihe »Ästhetik des Buches« erschien von Hans Andree der Titel Morphologie der Schrift­zeichen. Das Werk widmet sich der Entwicklung der Lese- und Werk­schriften – von der Erfindung des phone­tischen Alphabets bis hin zu den unzähligen Varianten des 21. Jahr­hunderts.

In der Verlags­an­kün­digung heißt es: »Die Lese­kon­vention verlangte, dass sich die einzelnen Laut­zeichen in ihren Grund­formen so weit stabi­li­sierten, dass sie im Zusam­menspiel prägnante, im Lese­prozess gut wieder­er­kennbare Wort­bilder ergaben. Es entstanden proto­ty­pische Buch­sta­ben­formen, die hinter­gründig den Rahmen für die relativen Abwand­lungen der zahlreich entste­henden Schrift­va­rianten bildeten«.

Als verglei­chende Morphologie werden dazu im Buch etwa hundert der heute gebräuch­lichsten Lese- oder Werk­schrift-Varianten der gesamten Antiqua-Groß­familie gezeigt: Jede Schrift, die um die Jahr­tau­sendwende in einem der prämierten Bücher der Stiftung Buchkunst auftrat, ist durch ein gleich großes und gleich lautendes Wortbild vertreten. Diese wurden nach ihrer jeweiligen Fami­li­en­ähn­lichkeit sortiert«.

In solchen Doppelseiten wird die Morphologie der Schriftzeichen sichtbar und deutlich.

Neues Altes

In der wunder­schönen, von Klaus Detjen gestalteten, »Typo­gra­phischen Bibliothek« erschien zuletzt ein Band mit Texten von Peter Altenberg. Gesetzt aus der Albertina Regular von Stanley Morison und mit orna­mentalen Wörtern als Buch­sta­ben­ver­bin­dungen aus der Englischen Schreib­schrift reprä­sentativ ergänzt.

Im Nachwort setzt sich Klaus Detjen auch mit der Bedeutung des Ornaments auseinander. Das bedeutet auch, dass er sich mit der Ablehnung von Orna­menten durch Adolf Loos beschäftigt. Heute ist das Ornament längst wieder, wenn auch oft modisch, in unserem grafischen Bild zurück­gekehrt.

Ornamente aus der Englischen Schreibschrift in der »Typographischen Bibliothek« von Klaus Detjen
Das Ornament ist zurück. Gesetzt und gestaltet aus der Englischen Schreibschrift Regular.

Der Satiriker und sein Drucker und Verleger

Die Korre­spondenz zwischen Karl Kraus und seinem Drucker Georg Jahoda steht im Mittelpunkt der Unter­suchung von Friedrich Pfäfflin. Diese gibt faszi­nierende Einblicke in die jahr­zehn­telange Zusam­me­n­arbeit zwischen dem Satiriker und seinem Drucker, der auch als Verleger von Kraus’ Werken agierte.

Allein die Einführung in den Briefband von Friedrich Pfäfflin fasziniert durch die intensive Kenntnis  der Zeit »vom Schreiben und Drucken und vom Verlegen«, so der Titel des Textes. Mit leichtem Grausen erfährt man dabei von einer kompli­zierten Autor-Drucker-Beziehung anhand der beschriebenen Korrek­tur­vorgänge (10– bis 20-malige Korrek­tur­vorgänge).

Typo­darium 2025

Seit 15 Jahren begleiten uns die char­manten Kästchen mit 365 »frischen« Fonts – in diesem Jahr gestaltet von 357 Desi­g­ner*innen aus 41 Ländern. Die neueste Ausgabe bietet wie gewohnt eine inspi­rierende Vielfalt und bleibt ein ebenso lehr­reiches wie stil­volles Geschenk für alle, die sich für die Welt der Schrift begeistern.

Der Abreisskalender „Typodarium“ zeigt den 24. Juni 2025
In einer schönen Kasette liegt der aktuelle Kalenderblock mit den 365 Schriften »des Tages«.

Hier nochmals alle Bücher im Überblick:

The 44th Annual of the Type Directors Club 2023
350 Seiten, Broschur
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2023
ISBN: 978–84–19220–52–3
Preis: 69 Euro

Inklusion Gestalten
Barbara Kotte, Andreas Schulz, Günter Weber, Tobias Witt, Tiemo Brants (Hrsg.)
328 Seiten Fachbuch, 64 Seiten Metho­denheft, Doppelte Broschur
frühwerk e.V., Hildesheim 2023
ISBN: 978–3–941295–25–4
Preis: 39 Euro

Plakat isst eine Fläche
Eric Fritsch, Filip Zdro­jewski, HSD PBSA – Faculty of Design, Linus Knappe, Uwe J. Reinhardt, Victor Malsy (Editoren)
236 Seiten, Broschur mit Plakat als Umschlag, 120 × 230 mm
Slanted, Karlsruhe 2023
ISBN: 978–3–948440–70–1
Preis: 30 Euro

slanted 42: books
256 Seiten, Broschur
ISBN: 978–3–948440–55–8
Preis: 22 Euro

slanted 43: ukraine
224 Seiten, Broschur
ISBN: 978–3–948440–71–8
Preis: 22 Euro

slanted 44: type fashion
224 Seiten, Broschur
ISBN: 978–3–948440–76–3
Preis: 22 Euro

Morphologie der Schrift­zeichen
Reihe: Ästhetik des Buches, Bd. 17
Hans Andree
88 Seiten, Engl. Broschur, 130 × 205 mm
ISBN: 978–3–8353–5514–9
Preis: 20 Euro

Neues Altes
Typo­gra­phische Bibliothek, Bd. 21
Peter Altenberg, heraus­gegeben von Klaus Detjen
96 Seiten
Wallstein Verlag, Göttingen 2024
ISBN: 978–3–8353–5762–4
Preis: 34 Euro

Karl Kraus und Georg Jahoda
Der Satiriker und sein Drucker und Verleger
Friedrich Pfäfflin (Hrsg.)
372 Seiten
Wallstein Verlag, Göttingen 2023
ISBN: 978–3–8353–5447–0
Preis: 42 Euro

Typo­darium 2025
Raban Ruddigkeit, Lars Harmsen (Hrsg.)
A 365 Day Type Calendar, verpackt in einer soliden Sammelbox
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2024
EAN: 42–6017281–096–8
Preis: 20 Euro

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