Hand to Type
Jan Middendorp hat sich dem »Humanistic Turn« im Type Design gewidmet und weltweit Designer, Künstler und Experten gebeten, die verschiedensten Aspekte »handgemachter« Schriften zu beleuchten. Herausgekommen ist nicht – wie man vielleicht annehmen könnte – ein bloßes Bilderbuch schriftkünstlerischer Ergüsse, sondern eine echte Ressource mit wertvollen Beiträgen in Bild und Text.
Der Inhalt (siehe auch Inhaltsverzeichnis unten) teilt sich in drei Teile. Im ersten kommen Experten zu Wort, die sich mit Geschichte und Evolution geschriebener Schrift auseinandersetzen. Außergewöhnlich ist dabei, dass hier nicht nur die lateinische Schrift besprochen wird, sondern auch andere Schriftsysteme ins Auge des Betrachters gerückt werden. Die Vielfältigkeiten der japanischen und indischen Schriftsysteme, die weit verbreitete kyrillische Schrift, aber auch exotischere Kandidaten wie die deutsche Kurrentschrift oder die Amsterdamer Krulletter. Die Autoren lesen sich dabei wie das Who-is-who der internationalen Schriftgestalterszene. Eine ausführliche Geschichte der westlichen Handschrift gibt es (sinnvollerweise) nicht, hierüber ist ausreichend Literatur vorhanden.
Im zweiten Teil kommen die Macher zu Wort. Interviews mit neun Gestaltern beleuchten das aktuelle (Hand)Schriftschaffen. Dankenswerterweise sind die Interviewpartner nicht altbackene Kalligrafen, die seit Menschengedenken Schwänzchen gefederte Alphabetteppiche auf dunklen Papieren präsentieren. Es geht um zeitgenössische Schriftkunst, die sich mit modernen Mitteln und Intentionen in Szene setzt. Durch Vermischungen mit Body Art, Lichtinstallationen, Graffiti oder auch Corporate Design werden hier neue Maßstäbe gesetzt, anstatt fortwährend die gleichen schwungvollen Federzüge zu wiederholen.
Schließlich liefert der dritte Teil noch das zu erwartende »Bilderbuch«. Überschrieben mit »Portfolio & Process« werden Arbeiten von 77 Kalligrafen, Schriftkünstlern, Grafik- und Typedesignern gezeigt, hin und wieder mit kurzen Beschreibungen über den Entstehungsprozess. Die allermeisten Arbeiten stammen dabei aus den letzten fünf Jahren und spiegeln somit bestens den zeitgenössischen Umgang mit Schrift wider, natürlich auch mit den Übergängen ins Digitale oder ins Typedesign. Auch wenn hier das Hauptgewicht auf westlicher (lateinischer) Schrift liegt, so sind doch einige »nichtlateinische« Autoren darunter, wie zum Beispiel Hassan Massoudy mit seinen kraftvollen arabischen Kalligrafien, El Seed mit seinen arabischen Graffiti oder Marina Marjina mit ihren »kalligrafischen Etüden« in kyrillischer Schrift. Trotz der erstaunlichen Fülle bietet dieser inspirierende Portfolio eine durchweg hohe Qualität.
Bleibt nur eines zu sagen: Danke für dieses rundherum gelungene Buch!
Aus dem Inhalt:
A) Spezialisten Essays
- Patrick Griffin: Alphabets from parallel universes
- Shoko Mugikura: Japanese writing
- Kimya Gandhi & Dan Reynolds: The many faces of india
- Alexei Vanyashin: Cyrillic
- Nadine Chahine: What arabic is and what it is not
- Florian Hardwig: Kurrentschrift
- Ramiro Espinoza: The "amsterdamse krulletter"
- Rick Cusick: Hallmark – influences and inspiration
B) Interviews
- Ken Barber
- Timothy Donaldson
- Tony di Spigna
- Gemma O’Brien a.k.a. Mrs. Eaves
- Luca Barcellona
- Niels Shoe Meulman
- Reza Abedini
- Brody Neuenschwander
- Gabriel Martínez MeaveC) Portfolios
- Alex Chekal, Ukraine
- Alejandro Paul,Argentina
- Alexej Vanyashin, Russia
- Alison Carmichael, United Kingdom
- Allan Daastrup, Denmark
- Angel Koziupa, Argentina
- Brian Jaramillo, Usa
- Brody Neuenschwander, Belgium
- Charles Borges de Oliveira, Usa
- Claire Coullon, United Kingdom
- Cláudio Gil, Brazil
- Cyrus Highsmith, Usa
- Dan Reynolds, Germany
- Dana Tanamachi, Usa
- Daniel Sabino, Brazil
- Dave Foster, Australia
- El Seed, Tunisia
- Erik Marinovich, Usa
- Erik Van Blokland, Netherlands
- Florian Hardwig, Germany
- Francesca Biasetton, Italy
- Gemma O’brien, Australia
- Greg Papagrigoriou, Greece
- Rick Cusick, Usa
- Hassan Massoudy, France
- Iman Raad, Iran
- Inocuo The Sign, Spain
- Irina Shkarovsky, Ukraine
- Jackson Cavanaugh, Usa
- Jaime De Albarracín, Peru
- James Edmondson, Usa
- Jean-Baptiste Levée, France
- Jill Bell, Usa
- Job Wouters, Netherlands
- John Gray, United Kingdom
- John Stevens, Usa
- Jon Contino, Usa
- Julia Sysmäläinen, Finland
- Ken Barber, Usa
- Gabriel Martínez Meave, Mexico
- Kossyo Kokalanov, Bulgaria
- Kinya Gandhi, India
- Laura Meseguer, Spain
- Laura Varsky, Argentina
- Laura Worthington, Usa
- Elena Albertoni & Fritz Grögel (Letterinberlin), Germany
- Lila Symons, Usa
- Louise Fili, Usa
- Luca Barcellona, Italy
- Marenthe Otten, Netherlands
- Marina Chaccur, Brazil
- Marina Marjina, Russia
- Martina Flor, Germany
- Massimo Polello, Italy
- Misha Karagezyan, Russia
- Nadine Chahine, Germany
- Native & Zen Two, France
- Neil Tasker, Usa
- Niels Shoe Meulman, Netherlands
- Oriol Miró, Spain
- Patrick Griffin, Canada
- Paul Shaw, Usa
- Pierre Jeanneau, France
- Ramiro Espinoza, Netherlands
- Reza Abedini, Iran
- Ricardo Rousselot, Argentina
- Robert Leuschke, Usa
- Sabrina Lopez, Argentina
- Seb Lester, United Kingdom
- Sergey Shapiro, Russia
- Shoko Mugikura, Japan
- Stephen Rapp, Usa
- Timothy Donaldson, United Kingdom
- Tony Di Spigna, Italy
- Underware, Netherlands / Finland
- Vitaandvikalopukhiny, Ukraine
- Wissam Shawkat, United Arab Emirates
Jan Middendorp, Hendrik Hellige, Robert Klanten:
Hand to Type – Scripts, Hand-Lettering and Calligraphy
Gestalten Verlag, Berlin, 2012
240 Seiten
Format 24 × 30 cm
durchweg in englischer Sprache
ISBN 978–3–89955–449–6
39,90 EUR
www.gestalten.com
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