Lust am (Schön)Schreiben
Die gegenwärtige Popularität dieser Kunst ist wohl auch eine Reaktion auf die Computerisierung. Das hat seine Berechtigung. Trotzdem sehe ich es als anwendungsorientierte und eher strenge Typografie und weniger als ein Ausleben von Gestaltungskompetenz.
Überflüssig fand ich Handlettering für angewandte Arbeiten, störte mich auch am modischen Begriff. Aber dann sah ich doch immer wieder beeindruckende Arbeiten. In meinem Blog-Beitrag vom 20. Oktober 2015 »Handlettering oder mit der Hand schreiben?« war das bereits Thema. Inzwischen habe ich viele interessante und wunderbare Arbeiten gesehen, beispielsweise von Petra Wöhrmann, die das auch in ihren Seminaren unterrichtet. Und so entstand ein Dialog zwischen meiner Skepsis und einer Befürworterin des Handlettering, der sich um die Sicht auf ein neues Buch »Martina Flor, Lust auf Lettering« erweiterte.
Dieses Buch ist fast vollständig »Lettering«. Lediglich die Basistexte sind absichtlich in einer normalen Schrift gesetzt. Aber schon die Zwischentitel sind handgezeichnet. Und alle Erklärungen sind in einem letteristischen Stil geschrieben.
Martina Flor beginnt mit der Wichtigkeit des Sehens von Schriften, erklärt und illustriert die Fachbegriffe, die Grundformen der Buchstaben, behandelt den optischen Ausgleich, Abstände und die Strichstärke sowie den Kontrast. Hier findet man natürlich die verwandten Themen zur Typografie. Sie greift auf die große Mutter der Kalligrafie zurück und beschreibt die Werkzeuge. Erst dann beginnt das Spiel mit dem Zeichnen von Wörtern. Bei Flor, welche ihr Handwerk hervorragend beherrscht, gibt es sogar Anleitungen, wie man mit Handlettering selbständig arbeiten und Geld verdienen kann. Seltsamerweise steht am Schluss Ihres Arbeitsprozesses die Digitalisierung der eigenen Arbeit, was ja dann doch wieder eine Rückkehr zum oft verschmähten Dienst am Computer ist.
Das erstaunt mich dann doch etwas, trotz des sehr gut konzipierten und gestalteten Buches. Wird bei Kunden tatsächlich etwas entschieden, das in seiner Art und Weise nicht sehr viel mit unserer Gesellschaft zu tun hat, sondern eher eine Nischensehnsucht bedient?
Die Reaktion der Schriftanbieter blieb natürlich nicht aus. Nie zuvor gab es eine so hohe Anzahl an digitalisierten alten und neuen dekorativen Schriften und es werden monatlich noch mehr.
Über die Autorin schreibt der Verlag: »Martina Flor wird im In- und Ausland für ihre Schriftkompositionen geachtet. In Online- und Offline-Seminaren hat sie ihre Didaktik praxiserprobt und sogar Gestaltungsprofis (und Laien) zu Letterern aus Leidenschaft gemacht. Hier zeigt sie erstmals anschaulich in Buchform, wie aus Worten Kunstwerke werden. Und nimmt Sie mit auf den Weg zur Schulung Ihres typografischen Auges bis zur Stilkunde typografischer Ausdrucksformen.« Sind das Kunstwerke?
Petra Wöhrmann ist skeptisch, ob das Ganze nur eine Mode sei, sieht jedoch den starken Anteil von »Selbermachern« bei ihren Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern und arbeitet auch mit ausgebildeten Grafikdesignern. Ein Argument für Handlettering sei die Zeit, so Petra Wöhrmann: »Alles wird zu schnell. Die sozialen Medien nehmen uns auch noch (Frei-)Zeit weg. Überall soll man sich positionieren, liken und rasseln… Facebook, Instagram, Pinterest.« Viele jüngere Leute fühlen sich genötigt, kontinuierlich mitzumachen, weil sie sonst etwas verpassen oder nicht präsent sind. Selbst zu schreiben – und am Ende mit Feder – erfordert unglaublich viel Geduld und Zeit. Die Uhr bleibt stehen, fast meditativ nimmt man sich Zeit nur für sich.
Manche Teilnehmerinnen möchten einfach nur schöner schreiben oder etwas für sich selbst tun. Wöhrmann: »Ich habe gemerkt, dass es besonders wichtig ist, nicht nur schöne Formen zu vermitteln, sondern den Teilnehmern auch Mut zu machen, tatsächlich zu schreiben. Auch wenn es erst einmal ganz krakelig aussieht. Egal – üben und dranbleiben. Auch wenn die Nachbarin schöner schreibt«.
Nun ist es sicher sinnvoll, eines der Seminare zu besuchen, wie sie Martina Flor anbietet, oder in München Petra Wöhrmann. Das Buch dazu ist auf jeden Fall empfehlenswert.
Martina Flor
Lust auf Lettering
Ein praxiserprobter Workshop in zehn Schritten
168 Seiten mit unzähligen Abbildungen, Tipps und Tricks
Format 21 × 24 cm
Halbleinenband mit farbiger Prägung
Hermann Schmidt Verlag, Mainz 2016
ISBN 978–3–87439–884–8
29,80 €
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