Schrift und Macht in der Welt
Zusammenhänge zwischen Typografie und Macht
Ich berichte über eine hervorragende Tagung im Gutenberg-Museum Mainz Anfang Mai 2012, dessen Leiterin Annette Ludwig betonte, wie wichtig ihr diese Tagung im Museum sei.
1. Schriftcharakter zur Macht erhoben
Andreas Koop untersuchte kunsthistorisch und analytisch den Umgang mit Schrift in verschiedenen Herrscherkonstellationen. Wie zeigen sich heute die Staaten und wie war das früher?
Karl der Große initiierte eine einheitliche Schrift für seinen Herrschaftsbereich. Kaiser Maximilian an der Grenze vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ließ eine der Handschrift ähnliche Schrift entwickeln und in Frankreich wurde um 1700 eine Staatsschrift, Romain du Roi genannt, beauftragt. Mussolinis Verhältnis zum Neuen Bauen und zur Römischen Antiqua ist bekannt. Für Atatürk war die Schriftumstellung von der arabischen auf die Antiqua sicherlich mit Aspekten der Macht verbunden. Die Weimarer Republik war in ihrem Erscheinungsbild eher rückwärtsgewandt. Der Bundestag in Bonn ist mit Zitaten aus der Rotis gesetzt, allerdings mit Texten von Jandl, was auch einiges über das Demokratieverständnis aussagt. Gebrochene Schriften wurden in Unkenntnis der Geschichte fälschlicherweise als Nazischriften diffamiert. Tatsächlich wurden sowohl Antiqua als auch Gebrochene Schriften im Nationalsozialismus verwendet.
Anhand von Urkunden aus der NS-Zeit analysierte Koop die einzelnen Elemente, die Traditionsstränge, das Ornamentale, das Verhältnis von Vor- und Nachdruck und die Schriftwahl.
Interessant ist auch, dass in der Friedensbewegung nie Serifenschriften verwendet wurden. So wurde der Frieden »grotesk«, also serifenlos. Heutzutage nähern sich Regierungen oft den Konzernen an. In Holland hat sogar jedes Ministerium sein eigenes Design, was wiederum nicht gerade »machtfördernd« sein dürfte.
Elisabeth Lilla Hinrichs untersuchte die SS-Rune als Machtzeichen. Sie hat einen eindeutigen Gestalter namens Walter Heck, der als Angestellter dieses Zeichen für das Honorar von 2,50 RM produzierte. Formale Aspekte gelten als eindeutig; zeichentheoretisch ist es ein Hybrid zwischen alphabetisch und bildhaft.
Die Runenerforschung boomte in der Nazizeit, und daraus entstand ein abstraktes Energiezeichen. Himmler betonte, dass dies historisch nicht so genau genommen werden muss. Das Hakenkreuz wurde zum Bedeutungs- und Erkennungszeichen. Die Macht der Zeichen sollte auch ihre Opfer betreffen wie die Kennzeichnung von Juden. Heute finden sich auch außerhalb einer Neonaziszene solche Zeichen. Manche Popgruppen sind vielleicht mehr am Skandal und nicht an der SS interessiert?
Identitätsstiftende Funktionen von Schriftgestaltung untersuchte Stefan Meier in seinem Beitrag »Typografie des Hasses«. Dabei ging es um Beispiele rechtsextremer Online-Kommunikation, aber auch typografische Gegendiskurse wie Punk der 70er Jahre, Sex Pistols, Gothic- und Metalszene sowie eine Tendenz in der Plattengestaltung. Mit gebrochenen fetten Schriftarten werden Schlüsselwörter betont. Dagegen wurden zum 1. Mai Elemente der extremen Linken verwendet. Typografen sollten sich also durchaus mit soziokulturellen Ergebnissen auseinandersetzen.
Gibt es eine typisch deutsche oder eine typisch italienische Schrift? fragt Johannes Henseler. Gibt es eine nationale Identität von Schrift? Henseler arbeitet an einer Publikation über die Identität von Beschilderungen im öffentlichen Raum. Das ist zurzeit durchaus ein Thema. Der Kontext ist dabei wichtig, die Schrift allein funktioniert noch nicht. Regeln und unterschiedliche Interessen behindern dies. Es gibt eine Empfehlung aus Österreich, die die »Tern« als EU-Verkehrsschrift vorschlägt. Aber die Umsetzung funktioniert nicht einmal in Österreich. Aber andere arbeiten ebenfalls an diesem Thema, wie zum Beispiel Ralf Hermann.
2. Hat Typografie Macht?
Ruedi Baur reflektierte anhand seiner Bilder, was heute Macht sei. Die Helvetica als Schrift ohne Eigenschaft wäre passend für eine anonyme Gesellschaft. Die Ähnlichkeit in der Grafik der größten Firmen ist auffällig und die Ähnlichkeit der Markenlogos und der verschiedenen Produkte ist kaum erkennbar. Die Freiheit, die wir haben, sei nicht so groß, wie wir immer tun. Und er fragt, warum in Deutschland das Universelle gesucht wurde, z.B. durch Piktogramme, die Durchsetzung der Moderne und Behauptungen dessen. Bauhauses oder die von Otl Aicher.
Das Universelle und das Branding wechselt, denn nach 2001 endet die Globalisierung und ein universelles Branding weicht einem Regionalismus. Das Verortete und die unterschiedlichen Ebenen der Länder gewinnen wieder an Bedeutung, aber auch ein visueller Provinzialismus. Die Marketing-Gläubigkeit ist ungeheuerlich, sodass man sogar seine Stadt verkauft, denn es reicht nicht mehr, sie nur attraktiv zu finden. Das neue Gemeinsame müsste sich auf die Differenz beziehen. Hier wäre der Designer gefordert. Kann ein Designer eine Rolle für eine Demokratie übernehmen? Aber ist er dazu ausgebildet?
Pierre Smolarsky spricht von den Orientierungsproblemen der Großstadt. Strukturelle Möglichkeiten des Graffitis und Identifikationspotenziale der Werbebotschaften sollten eine Rhetorik des Bildes erneuern. In der Verfremdung von Werbung (Adbusting) geschieht dies auf kritische und ironische Weise.
Andreas Übele zeigt die Arbeit am Bundesadler als Parlamentszeichen. Eine knappe Darstellung des Veränderungsprozesses und was es dabei alles zu bedenken gab.
Die große Marx-Engels Gesamtausgabe der DDR war auf 100 Bände geplant und ist noch nicht abgeschlossen. Ab 1968 wurde sie typografisch von Albert Kapr betreut; sie ist ein Beispiel der gut gestalteten Buchproduktion in der Mangelwirtschaft der DDR. Darüber berichtete Dan Reynolds, wobei die Geschichte der Schriftproduktion eine Rolle spielt. Ab 1963 wurde die VEB Typoart von Kapr künstlerisch beraten. Seine Faust-Antiqua erschien dort schon 1961; seine Leipziger Antiqua kam 1973 heraus.
Kapr, sozusagen in der Tschichold-Nachfolge, verwendete auch andere westliche Schriften, wie die Palatino. Die Innentypografie der MEGA wurde von Kapr zusammen mit Horst Kinkel entwickelt. Da der langfristige Übergang zum Fotosatz bereits geplant war, wurde gegen den Buchdruck entschieden. Es gab Überlegungen zur Verwendung der Leipziger Antiqua und der Maxima-Grotesk, aber sie waren beide noch nicht fertig. Eine Probeausgabe wurde 1972 veröffentlicht. Die Ausstattung sah einheitliches rotes Leinen vor, das Format war 163 × 245 mm. Die Schriftart war Times Roman (ohne »New«), trotz der Herkunft aus dem kapitalistischen England. Die Kommentare wurden in Univers gesetzt. Erst 1975, als der erste Band fertig war, hat man sich für die Maxima entschieden. Es wurde auch beschlossen, einen blauen Einband zu verwenden.
Die Maxima wurde von Gert Wunderlich gestaltet und für dieses Projekt mit kyrillischen Schriftzeichen versehen. Erst 1998 folgte eine Fortsetzung mit Times New Roman und Helvetica. Dadurch ist die eigene Identität etwas verloren gegangen.
3. Qualität wirkt mächtig
Ist die Schreibmaschine eine Tatmaschine? Martin Scholz untersuchte anhand dreier Schreibmaschinen-Dokumente, die nur Schwarzweiß und Grautöne kennen, das mediale Werkzeug der Vergangenheit. Es handelt sich um eine Stasi-Akte, eine Seite aus dem Protokoll der Wannseekonferenz und eine Seite eines RAF-Bekennerbriefes.
Stasi-Akte
In diesen monotonen Formen entstanden Aufzeichnungen, Akten, Anordnungen. Die Typografie war sehr einfach und bedeutete bereits generell eine Entpersönlichung der Handschrift durch Schreibkräfte. Scholz übernahm aus Adornos Kulturkritik den Begriff der »Aktenindustrie« (in meiner persönlichen Erinnerung lebt auch der Begriff des grauen Aktenstaubs).
Wer ist für den geschwollenen Text verantwortlich, fragt Johannes Bergerhausen mit dem Blick auf eine McDonald-Packungsaufschrift? Bergerhausen beschäftigte sich vor allem mit dem Schreiben, Zeichnen oder Konstruieren von Schrift. Dabei schweift er in einem weiten Bogen über mächtige heilige Symbole (Kreuze), Schriftreformen bei Atatürk und Mao bis hin zur Renaissance von Schriftsystemen von Minderheiten (Bamum in Kamerun). Es gibt etwa 7000 Sprachen, aber nur 200 Schriftsysteme. Typografie und Kommunikation, also Form und Inhalt sind kaum zu trennen. McLuhans Botschaft stimmt so nicht, denn das Medium ist nur die halbe Botschaft – und Politik wird mit Excel gemacht.
Akira Kobayashi spricht in seiner eleganten und feinen japanischen Art nicht von Macht. Die Macht der Schriften ist eher in den reformierten Standards zu finden, wie z.B. der Optima Nova oder der Avenir, die im Gegensatz zu früher eine richtige Kursive aufweisen. Die DIN 1451 bestand nur aus 2 Schnitten. Doch mit der DIN Next finden wir eine sehr gut ausgebaute große Schriftfamilie. Schriften mit heutiger Technologie sind eine Verbesserung für eine bessere Lesbarkeit. Die kleinen Schritte zwischen Light und Roman wirken beispielsweise vergleichbar mit dem in Japan servierten Salat, der nicht mittig auf dem Teller liegt, aber aus Sicht des Gastes mittig wirkt. Auch Spationierung spielt hier eine Rolle. Vielleicht auch Macht durch Qualität?
Albert Jan Pool ist allein schon wegen seiner FF DIN sehr bekannt geworden. Die DIN 1451 ist ebenso wie andere bekannte Schriften mit versteckten Botschaften aufgeladen. Warum Hausschriften als identitätsstiftend bezeichnet werden können, lässt sich begründen. Überarbeitete Schriften haben jedoch oft ein starkes Vorleben. Und die DIN-Schrift kann man in Verwandtschaft zu einer DIN-Schrift für Zeichenschablonen sehen. Wie stark die Verbandelung ist, zeigt Pool am Beispiel der DIN-Mittel und der DIN-Eng. Die Geschichte von Industrie und Gewerbe spielt für die DIN eine Rolle, mit mächtig werdenden wirtschaftlichen Strukturen. 1921 Verwendung bei der Deutschen Reichsbahn oder später bei der Lufthansa. Doch was beschriftet und nicht gestaltet werden muss, ist DIN.
Esther Cleven zeigt ein 1970 veröffentlichtes Meisjesalfabet (Mädchenalphabet) von Anthon Beeke. Nackte Frauen biegen sich zu einem Alphabet und das galt in der Typografie als Antwort auf Wim Crouwels alphabetisches Gedankenspiel zur Zukunft der Schrift. Cleven nimmt dies zum Anlass, um subversiven Gesten in der Typografie nachzugehen. Weitere Beispiele finden sich bei Lubalin in Medien und Politik der 60er Jahre, bei Milton Glasers Plakaten, der Antitypografie in der Fluxus-Bewegung oder den »Provos« vor den 68er Bewegungen mit Jasper Grootveld.
Wo Schrift politisch sein kann, sucht Regula Stämpfli vor allem in der Literatur: Schrift in den Körper und damit Macht einschreiben wie bei Goethes Faust, Kafkas Strafkolonie, bei Harry Potter, Peter Greenaway oder Harry Mulisch. Direkt und im übertragenen Sinne ist zu fragen, wie weit Schrift unter die Haut geht oder bereits dort ist?
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