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Schrift und Macht in der Welt

Rudolf Paulus Gorbach
30. Juli 2012
Typo­grafie in Theorie und Wirkung wird immer mehr zum Forschungs­ge­genstand, wie Siegfried Gronert, Vorsit­zender der Gesell­schaft für Desi­gnge­schichte, in seiner Einführung zu dieser Tagung betonte.

Zusam­menhänge zwischen Typo­grafie und Macht

Ich berichte über eine hervor­ragende Tagung im Gutenberg-Museum Mainz Anfang Mai 2012, dessen Leiterin Annette Ludwig betonte, wie wichtig ihr diese Tagung im Museum sei.

1. Schrift­cha­rakter zur Macht erhoben

Andreas Koop unter­suchte kunst­his­torisch und analytisch den Umgang mit Schrift in verschiedenen Herr­scher­kon­stel­la­tionen. Wie zeigen sich heute die Staaten und wie war das früher?

Karl der Große initiierte eine einheitliche Schrift für seinen Herr­schafts­bereich. Kaiser Maxi­milian an der Grenze vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ließ eine der Hand­schrift ähnliche Schrift entwickeln und in Frankreich wurde um 1700 eine Staats­schrift, Romain du Roi genannt, beauftragt. Mussolinis Verhältnis zum Neuen Bauen und zur Römischen Antiqua ist bekannt. Für Atatürk war die Schrif­tum­stellung von der arabischen auf die Antiqua sicherlich mit Aspekten der Macht verbunden. Die Weimarer Republik war in ihrem Erschei­nungsbild eher rück­wärts­gewandt. Der Bundestag in Bonn ist mit Zitaten aus der Rotis gesetzt, allerdings mit Texten von Jandl, was auch einiges über das Demo­kra­tie­ver­ständnis aussagt. Gebrochene Schriften wurden in Unkenntnis der Geschichte fälsch­li­cherweise als Nazi­sch­riften diffamiert. Tatsächlich wurden sowohl Antiqua als auch Gebrochene Schriften im Nati­o­nal­so­zi­a­lismus verwendet.

Anhand von Urkunden aus der NS-Zeit analy­sierte Koop die einzelnen Elemente, die Tradi­ti­onss­tränge, das Orna­mentale, das Verhältnis von Vor- und Nachdruck und die Schriftwahl.

Im Namendes Führers und Oberften Befehlshabers der Wehrmacht verleihe ich das Eiserne Kreuz 2. Klasse

Inter­essant ist auch, dass in der Frie­dens­be­wegung nie Seri­fen­schriften verwendet wurden. So wurde der Frieden »grotesk«, also seri­fenlos. Heut­zutage nähern sich Regie­rungen oft den Konzernen an. In Holland hat sogar jedes Minis­terium sein eigenes Design, was wiederum nicht gerade »macht­fördernd« sein dürfte.

Elisabeth Lilla Hinrichs unter­suchte die SS-Rune als Macht­zeichen. Sie hat einen eindeutigen Gestalter namens Walter Heck, der als Ange­stellter dieses Zeichen für das Honorar von 2,50 RM produ­zierte. Formale Aspekte gelten als eindeutig; zeichen­the­o­retisch ist es ein Hybrid zwischen alpha­betisch und bildhaft.

Die Runen­er­forschung boomte in der Nazizeit, und daraus entstand ein abstraktes Ener­gie­zeichen. Himmler betonte, dass dies historisch nicht so genau genommen werden muss. Das Hakenkreuz wurde zum Bedeutungs- und Erken­nungs­zeichen. Die Macht der Zeichen sollte auch ihre Opfer betreffen wie die Kenn­zeichnung von Juden. Heute finden sich auch außerhalb einer Neona­ziszene solche Zeichen. Manche Popgruppen sind viel­leicht mehr am Skandal und nicht an der SS inter­essiert?

Iden­ti­täts­s­tiftende Funk­tionen von Schrift­ge­staltung unter­suchte Stefan Meier in seinem Beitrag »Typo­grafie des Hasses«. Dabei ging es um Beispiele rechts­ex­tremer Online-Kommu­ni­kation, aber auch typo­gra­fische Gegen­diskurse wie Punk der 70er Jahre, Sex Pistols, Gothic- und Metalszene sowie eine Tendenz in der Plat­ten­ge­staltung. Mit gebro­chenen fetten Schriftarten werden Schlüs­sel­wörter betont. Dagegen wurden zum 1. Mai Elemente der extremen Linken verwendet. Typo­grafen sollten sich also durchaus mit sozio­kul­tu­rellen Ergeb­nissen ausein­an­der­setzen.

Gibt es eine typisch deutsche oder eine typisch italie­nische Schrift? fragt Johannes Henseler. Gibt es eine nationale Identität von Schrift? Henseler arbeitet an einer Publi­kation über die Identität von Beschil­de­rungen im öffent­lichen Raum. Das ist zurzeit durchaus ein Thema. Der Kontext ist dabei wichtig, die Schrift allein funk­tioniert noch nicht. Regeln und unter­schiedliche Interessen behindern dies. Es gibt eine Empfehlung aus Österreich, die die »Tern« als EU-Verkehrs­schrift vorschlägt. Aber die Umsetzung funk­tioniert nicht einmal in Österreich. Aber andere arbeiten ebenfalls an diesem Thema, wie zum Beispiel Ralf Hermann.

2. Hat Typo­grafie Macht?

Ruedi Baur reflek­tierte anhand seiner Bilder, was heute Macht sei. Die Helvetica als Schrift ohne Eigen­schaft wäre passend für eine anonyme Gesell­schaft. Die Ähnlichkeit in der Grafik der größten Firmen ist auffällig und die Ähnlichkeit der Markenlogos und der verschiedenen Produkte ist kaum erkennbar. Die Freiheit, die wir haben, sei nicht so groß, wie wir immer tun. Und er fragt, warum in Deut­schland das Universelle gesucht wurde, z.B. durch Pikto­gramme, die Durch­setzung der Moderne und Behaup­tungen dessen. Bauhauses oder die von Otl Aicher.

Das Universelle und das Branding wechselt, denn nach 2001 endet die Globa­li­sierung und ein univer­selles Branding weicht einem Regi­o­na­lismus. Das Verortete und die unter­schied­lichen Ebenen der Länder gewinnen wieder an Bedeutung, aber auch ein visueller Provin­zi­a­lismus. Die Marketing-Gläu­bigkeit ist unge­heu­erlich, sodass man sogar seine Stadt verkauft, denn es reicht nicht mehr, sie nur attraktiv zu finden. Das neue Gemeinsame müsste sich auf die Differenz beziehen. Hier wäre der Designer gefordert. Kann ein Designer eine Rolle für eine Demo­kratie über­nehmen? Aber ist er dazu ausge­bildet?

Pierre Smolarsky spricht von den Orien­tie­rungs­pro­blemen der Großstadt. Struk­turelle Möglich­keiten des Graffitis und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­tenziale der Werbe­bot­schaften sollten eine Rhetorik des Bildes erneuern. In der Verfremdung von Werbung (Adbusting) geschieht dies auf kritische und ironische Weise.

Andreas Übele zeigt die Arbeit am Bunde­sadler als Parla­ment­s­zeichen. Eine knappe Darstellung des Verän­de­rungs­pro­zesses und was es dabei alles zu bedenken gab.

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Die große Marx-Engels Gesamt­ausgabe der DDR war auf 100 Bände geplant und ist noch nicht abge­schlossen. Ab 1968 wurde sie typo­grafisch von Albert Kapr betreut; sie ist ein Beispiel der gut gestalteten Buch­pro­duktion in der Mangel­wirt­schaft der DDR. Darüber berichtete Dan Reynolds, wobei die Geschichte der Schrift­pro­duktion eine Rolle spielt. Ab 1963 wurde die VEB Typoart von Kapr künst­lerisch beraten. Seine Faust-Antiqua erschien dort schon 1961; seine Leipziger Antiqua kam 1973 heraus.

Kapr, sozusagen in der Tschichold-Nachfolge, verwendete auch andere westliche Schriften, wie die Palatino. Die Innen­ty­po­grafie der MEGA wurde von Kapr zusammen mit Horst Kinkel entwickelt. Da der lang­fristige Übergang zum Fotosatz bereits geplant war, wurde gegen den Buchdruck entschieden. Es gab Über­le­gungen zur Verwendung der Leipziger Antiqua und der Maxima-Grotesk, aber sie waren beide noch nicht fertig. Eine Probe­ausgabe wurde 1972 veröf­fentlicht. Die Ausstattung sah einheit­liches rotes Leinen vor, das Format war 163 × 245 mm. Die Schriftart war Times Roman (ohne »New«), trotz der Herkunft aus dem kapi­ta­lis­tischen England. Die Kommentare wurden in Univers gesetzt. Erst 1975, als der erste Band fertig war, hat man sich für die Maxima entschieden. Es wurde auch beschlossen, einen blauen Einband zu verwenden.

Die Maxima wurde von Gert Wunderlich gestaltet und für dieses Projekt mit kyril­lischen Schrift­zeichen versehen. Erst 1998 folgte eine Fort­s­etzung mit Times New Roman und Helvetica. Dadurch ist die eigene Identität etwas verloren gegangen.

 3. Qualität wirkt mächtig

Ist die Schreib­ma­schine eine Tatma­schine? Martin Scholz unter­suchte anhand dreier Schreib­ma­schinen-Dokumente, die nur Schwa­rzweiß und Grautöne kennen, das mediale Werkzeug der Vergan­genheit. Es handelt sich um eine Stasi-Akte, eine Seite aus dem Protokoll der Wann­see­kon­ferenz und eine Seite eines RAF-Beken­ner­briefes.

wir haben helmut schmidt jetzt genug zeit gelassen, um sich in seiner entscheidung zu winden, zwischen der amerikanischen strategie der vernichtung von befreiungsbewegungen in westeuropa/der 3. welt und dem interesse der bundesregierung, den zur zeit für sie wichtigsten wirtschaftsmagnaten - eben für diese imperialistische strategie - nicht zu opfern.  das ultimatum der operation

Stasi-Akte

In diesen monotonen Formen entstanden Aufzeich­nungen, Akten, Anord­nungen. Die Typo­grafie war sehr einfach und bedeutete bereits generell eine Entper­sön­lichung der Hand­schrift durch Schreib­kräfte. Scholz übernahm aus Adornos Kultur­kritik den Begriff der »Akten­in­dustrie« (in meiner persön­lichen Erin­nerung lebt auch der Begriff des grauen Akten­staubs).

Wer ist für den geschwollenen Text verant­wortlich, fragt Johannes Berger­hausen mit dem Blick auf eine McDonald-Packungs­auf­schrift? Berger­hausen beschäftigte sich vor allem mit dem Schreiben, Zeichnen oder Konstruieren von Schrift. Dabei schweift er in einem weiten Bogen über mächtige heilige Symbole (Kreuze), Schrift­re­formen bei Atatürk und Mao bis hin zur Renaissance von Schrift­systemen von Minder­heiten (Bamum in Kamerun). Es gibt etwa 7000 Sprachen, aber nur 200 Schrift­systeme. Typo­grafie und Kommu­ni­kation, also Form und Inhalt sind kaum zu trennen. McLuhans Botschaft stimmt so nicht, denn das Medium ist nur die halbe Botschaft – und Politik wird mit Excel gemacht.

Akira Kobayashi spricht in seiner eleganten und feinen japa­nischen Art nicht von Macht. Die Macht der Schriften ist eher in den refor­mierten Standards zu finden, wie z.B. der Optima Nova oder der Avenir, die im Gegensatz zu früher eine richtige Kursive aufweisen. Die DIN 1451 bestand nur aus 2 Schnitten. Doch mit der DIN Next finden wir eine sehr gut ausgebaute große Schrift­familie. Schriften mit heutiger Tech­nologie sind eine Verbes­serung für eine bessere Lesbarkeit. Die kleinen Schritte zwischen Light und Roman wirken beispielsweise vergleichbar mit dem in Japan servierten Salat, der nicht mittig auf dem Teller liegt, aber aus Sicht des Gastes mittig wirkt. Auch Spatio­nierung spielt hier eine Rolle. Viel­leicht auch Macht durch Qualität?

Albert Jan Pool ist allein schon wegen seiner FF DIN sehr bekannt geworden. Die DIN 1451 ist ebenso wie andere bekannte Schriften mit versteckten Botschaften aufgeladen. Warum Haus­schriften als iden­ti­täts­s­tiftend bezeichnet werden können, lässt sich begründen. Über­a­r­beitete Schriften haben jedoch oft ein starkes Vorleben. Und die DIN-Schrift kann man in Verwandt­schaft zu einer DIN-Schrift für Zeichen­scha­blonen sehen. Wie stark die Verban­delung ist, zeigt Pool am Beispiel der DIN-Mittel und der DIN-Eng. Die Geschichte von Industrie und Gewerbe spielt für die DIN eine Rolle, mit mächtig werdenden wirt­schaft­lichen Strukturen. 1921 Verwendung bei der Deutschen Reichsbahn oder später bei der Lufthansa. Doch was beschriftet und nicht gestaltet werden muss, ist DIN.

Bahnhofsschild: Hudtwalckerstr. Winterhuder Fährhaus

Esther Cleven zeigt ein 1970 veröf­fent­lichtes Meis­je­sa­lfabet (Mädche­nal­phabet) von Anthon Beeke. Nackte Frauen biegen sich zu einem Alphabet und das galt in der Typo­grafie als Antwort auf Wim Crouwels alpha­be­tisches Gedan­kenspiel zur Zukunft der Schrift. Cleven nimmt dies zum Anlass, um subversiven Gesten in der Typo­grafie nach­zugehen. Weitere Beispiele finden sich bei Lubalin in Medien und Politik der 60er Jahre, bei Milton Glasers Plakaten, der Anti­ty­po­grafie in der Fluxus-Bewegung oder den »Provos« vor den 68er Bewe­gungen mit Jasper Grootveld.

Wo Schrift politisch sein kann, sucht Regula Stämpfli vor allem in der Literatur: Schrift in den Körper und damit Macht einschreiben wie bei Goethes Faust, Kafkas Straf­kolonie, bei Harry Potter, Peter Greenaway oder Harry Mulisch. Direkt und im über­tragenen Sinne ist zu fragen, wie weit Schrift unter die Haut geht oder bereits dort ist?

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