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Wenn Gestaltung Geschmacksfrage ist, dann ist Typo­grafie reine Glückssache.
Samuel Hügli

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Event

Signs of the times

Michael Lang
31. Mai 2022
Die zwei­tägige Granshan-Konferenz fand im Lite­ra­turhaus mit seinem über­wäl­ti­genden Panorama über München statt. Auf der Bühne war das beherr­schende Motiv der Berg Ararat. Dieses arme­nische Wahr­zeichen verwies auf den Beginn der Idee, das sich mit nicht-latei­nischen Schriften zu beschäftigen.
Granshan-Konferenz im Literaturhaus München
Von oben aus im 3. Stockwerks des Literaturhauses gab es einen wunderbaren Panoramablick auf die berühmte Theatinerkirche.

Die Idee der Konferenz entstand auf der längst legendär gewordenen tgm-Studi­enreise nach Armenien. Der damalige tgm-Vorsitzende Boris Kochan war Miti­n­i­tiator der Idee, inter­na­tional Schrift­ge­staltern eine Bühne zu geben, die sich mit Schriften ihres Kulturraums beschäftigen – ursprünglich dabei waren arme­nische und kyril­lische, inzwischen sind indische, kore­a­nische, thai­län­dische, arabische, hebräische Schriften einbezogen. Die Idee lebt und wurde im Rahmen der dies­jährigen MCBW unter dem Motto »Signs of the times« abge­halten. Hier sind ein Paar wenigere Impres­sionen aus dem prall gefühlten und hervor­raggend kura­tierten (Veronika Burjan und Oliver Linke) Programm …

Auf der Bühne diskutiert man über die Benennung des Granshan-Projektes als »non-latin« und sieht darin zwar eine Verbes­serung gegenüber älteren Bezeich­nungen, die diese Schriften als »exotisch« oder »orien­talisch« bezeichneten. Die Formu­lierung »non-latin« ist aber immer noch – durch Verneinung und Prio­ri­sierung – proble­matisch. Die Spre­che­rinnen (Abeera Kamran, Elena Beveratou, Liana Shus­hanyan) sehen das aber nicht so. Im Gegenteil, da ihnen latei­nische Schriften vor allem alsn»anglo-centric« begegnen, bezieht die Benennung »non-latin« den gesamten romanisch-germa­nischen Schriftraum mit ein!

Die Grafik­de­si­gnerin aus Pakistan Abeera Kamran stellt die Schriftform Nasta-liq vor — eine der Schriften, mit der man Urdu schreiben kann. Die Sprache Urdu wird vor allem in Pakistan und Indien von 292 Mio.(!) Menschen gesprochen, davon sind circa 62 Mio. mutter­sprachlich. Doch das Thema ist höchst politisch. Einfacher zu verstehen sind die von ihr ebenfalls ange­spro­chenen tech­nischen Probleme bei der Soft­wa­re­ver­wendung: Eine Schrift, die eine Wort­glie­derung nach oben und unten (ähnlich sehr großen Ober- und Unter­längen) hat, lässt sich sehr schlecht mit den waagrecht aufpop­penden Lese­fenstern der meisten Soft­wa­re­an­wen­dungen vereinbaren.

Luke Prowse referiert für den Bericht­er­statter weit nach­voll­ziehbarer unter dem Motto »I don’t know, what I’am doing« über seinen gefühlt chao­tischen Berufsweg und die vielen wegwei­senden, immer sehr inno­vativen Projekte, die diesen Weg pflas­terten. Sein Lieb­lingswort war »… it was a complete desaster!« und im Erin­nerung bleibt mir sein sehr witzig gemachter Multiple Font für Costa Coffee.

Die aus Korea stammende Gestalterin So Hyun Bae leitet ihren Beitrag »Between Hangul und Latin« damit ein, dass sie – wohl den beruf­lichen Stationen ihrer Eltern folgend – das Vergnügen hatte, in einem Jahr dreimal die dritte Klasse besuchen zu müssen, und zwar in Korea, Frankreich und den USA. Verwirrt durch die vielen Möglich­keiten, z.B. im Fran­zösisch den o-Laut darzu­stellen, begann sie mit der Buch­sta­be­n­an­ordnung häufig vorkom­mender Kurz­wörter zu spielen und sie in blockhafte Anord­nungen zu bringen – Schriftlinie ist nicht alles! Zudem hat sie ein Tool entwickelt, gleich­zeitig in drei Sprachen zu schreiben.

Prof. Chang Sik Kim stellt kore­a­nische Schrift­ge­stalter vor und referiert über die Entwicklung der kore­a­nischen Schrift, die in bewusster Abgrenzung zur chine­sischen Schrift entstanden war. Der 50. Jahrestag der Entdeckung der Bangudae-Fels­zeich­nungen in archäo­lo­gische Fund­stätte ist hier die Quelle für ganz frühe Zeichen­formen, die in einer Plaka­tausstellung auf dem Ulsan Hangeul Hanmadang Arts Festival von Kalli­grafen aufge­griffen und inter­pretiert wurden – ganz im Sinne des in der Einleitung zur Konferenz erwähnten Gedankens der »living human treasures«, der im Gegensatz zur musealen Konser­vierung und Bewahrung einen lebendigen Gebrauch fordert und fördert.

Die diess­jährige Granshan-Konferenz setzte sich mit den großen und kleinen Fragen — von alltäg­lichen Ange­le­gen­heiten bis zu globalen Themen. Man sprach über den aktuellen Stand der Font­tech­nologie, die zukünftige Formen inter­kul­tu­reller Kommu­ni­kation und Zusam­me­n­arbeit. Es ging um Multiscript-Design, vom Aussterben bedrohte Alphabete und Schrift als Kultur­be­standteil. Die Granshan-Konferenz spiegelt die kulturelle Vielfalt unserer Type-Community wie kein anderer wieder.

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