Signs of the times

Die Idee der Konferenz entstand auf der längst legendär gewordenen tgm-Studienreise nach Armenien. Der damalige tgm-Vorsitzende Boris Kochan war Mitinitiator der Idee, international Schriftgestaltern eine Bühne zu geben, die sich mit Schriften ihres Kulturraums beschäftigen – ursprünglich dabei waren armenische und kyrillische, inzwischen sind indische, koreanische, thailändische, arabische, hebräische Schriften einbezogen. Die Idee lebt und wurde im Rahmen der diesjährigen MCBW unter dem Motto »Signs of the times« abgehalten. Hier sind ein Paar wenigere Impressionen aus dem prall gefühlten und hervorraggend kuratierten (Veronika Burjan und Oliver Linke) Programm …
Auf der Bühne diskutiert man über die Benennung des Granshan-Projektes als »non-latin« und sieht darin zwar eine Verbesserung gegenüber älteren Bezeichnungen, die diese Schriften als »exotisch« oder »orientalisch« bezeichneten. Die Formulierung »non-latin« ist aber immer noch – durch Verneinung und Priorisierung – problematisch. Die Sprecherinnen (Abeera Kamran, Elena Beveratou, Liana Shushanyan) sehen das aber nicht so. Im Gegenteil, da ihnen lateinische Schriften vor allem alsn»anglo-centric« begegnen, bezieht die Benennung »non-latin« den gesamten romanisch-germanischen Schriftraum mit ein!




Die Grafikdesignerin aus Pakistan Abeera Kamran stellt die Schriftform Nasta-liq vor — eine der Schriften, mit der man Urdu schreiben kann. Die Sprache Urdu wird vor allem in Pakistan und Indien von 292 Mio.(!) Menschen gesprochen, davon sind circa 62 Mio. muttersprachlich. Doch das Thema ist höchst politisch. Einfacher zu verstehen sind die von ihr ebenfalls angesprochenen technischen Probleme bei der Softwareverwendung: Eine Schrift, die eine Wortgliederung nach oben und unten (ähnlich sehr großen Ober- und Unterlängen) hat, lässt sich sehr schlecht mit den waagrecht aufpoppenden Lesefenstern der meisten Softwareanwendungen vereinbaren.
Luke Prowse referiert für den Berichterstatter weit nachvollziehbarer unter dem Motto »I don’t know, what I’am doing« über seinen gefühlt chaotischen Berufsweg und die vielen wegweisenden, immer sehr innovativen Projekte, die diesen Weg pflasterten. Sein Lieblingswort war »… it was a complete desaster!« und im Erinnerung bleibt mir sein sehr witzig gemachter Multiple Font für Costa Coffee.





Die aus Korea stammende Gestalterin So Hyun Bae leitet ihren Beitrag »Between Hangul und Latin« damit ein, dass sie – wohl den beruflichen Stationen ihrer Eltern folgend – das Vergnügen hatte, in einem Jahr dreimal die dritte Klasse besuchen zu müssen, und zwar in Korea, Frankreich und den USA. Verwirrt durch die vielen Möglichkeiten, z.B. im Französisch den o-Laut darzustellen, begann sie mit der Buchstabenanordnung häufig vorkommender Kurzwörter zu spielen und sie in blockhafte Anordnungen zu bringen – Schriftlinie ist nicht alles! Zudem hat sie ein Tool entwickelt, gleichzeitig in drei Sprachen zu schreiben.
Prof. Chang Sik Kim stellt koreanische Schriftgestalter vor und referiert über die Entwicklung der koreanischen Schrift, die in bewusster Abgrenzung zur chinesischen Schrift entstanden war. Der 50. Jahrestag der Entdeckung der Bangudae-Felszeichnungen in archäologische Fundstätte ist hier die Quelle für ganz frühe Zeichenformen, die in einer Plakatausstellung auf dem Ulsan Hangeul Hanmadang Arts Festival von Kalligrafen aufgegriffen und interpretiert wurden – ganz im Sinne des in der Einleitung zur Konferenz erwähnten Gedankens der »living human treasures«, der im Gegensatz zur musealen Konservierung und Bewahrung einen lebendigen Gebrauch fordert und fördert.


Die diessjährige Granshan-Konferenz setzte sich mit den großen und kleinen Fragen — von alltäglichen Angelegenheiten bis zu globalen Themen. Man sprach über den aktuellen Stand der Fonttechnologie, die zukünftige Formen interkultureller Kommunikation und Zusammenarbeit. Es ging um Multiscript-Design, vom Aussterben bedrohte Alphabete und Schrift als Kulturbestandteil. Die Granshan-Konferenz spiegelt die kulturelle Vielfalt unserer Type-Community wie kein anderer wieder.