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Gute Typo­graphie ist ganz und gar nicht von auffälligen und sonderbaren Schriften abhängig. Dies meint nur der uner­fahrene.
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Nachhaltige Typo in Berlin

Rudolf Paulus Gorbach
30. Juli 2012
Gespannt flog ich zur Typo nach Berlin, um über den Zusam­menhang von Nach­hal­tigkeit und Gestaltung zu erfahren. Die Idee, dass die »Typo« ein besonderes Anliegen für Nach­hal­tigkeit hat, verwirrte mich zunächst. Denn was ist das Besondere an der nach­haltigen Gestaltung? Warten wir es ab.

Dem Versuch, Nach­hal­tigkeit nicht nur ökologisch zu sehen, mag kaum ein Referent wider­sprechen. Bernd Kolb, ehemaliger Vorstand für Inno­vation bei der Telekom, gibt die Hoffnung an die nächste Gene­ration weiter. Und was nun kommt, berechtigt zu kommen, sollte zumindest für verant­wor­tungs­be­wusste Gestalter bekannt sein. Kolb spricht über den Vortrag Al Gores namens »Die unbequeme Wahrheit« und darüber, was durch den Klima­wandel und den Tanz ums Goldene Kalb als Sinnbild für die Börsen passiert. Auch der Club of Rome wird erwähnt, der am 8.5.2012 seine Meldung verbreitete, dass es ein so nicht weitergehen könne wie bisher. Nicht der Konsum an sich wäre falsch, sondern es käme darauf an, was und wie konsumiert wird. Wenn Europa 19 % der Welt­be­völ­kerung ausmacht, aber der Westen die meisten Ressourcen verbraucht und unser Konsum­modell für aufstrebende Staaten als Vorbild gilt, scheint damit ein Vertei­lungskampf vorpro­grammiert zu sein. Die sieben Todsünden sind schon seit 2000 Jahren bekannt. So wird in einigen Regionen das Wasser knapp werden. Alle früheren Hoch­kulturen sind zwar unter­ge­gangen. Aber heute handelt es sich um eine globale Kultur. Wir wissen das, aber was geschieht damit?

Inter­es­santer als die Todsünden wären die »Die sieben Tugenden« und die hängen von der eigenen inneren Haltung ab. Über einige der Tugenden:

Weisheit

Da ist die Weisheit, an der es so oft fehlt. Zwei Vorbilder: Descartes sieht den Menschen als Herrscher und Besitzer der Natur. Darwins Indi­vi­du­a­lismus als Wett­be­werb­s­prinzip. Aber auch Wikipedia und Crowd-sourcing könnten Weisheit unter­stützen. Man bedenke nur die Kreis­l­auf­wirt­schaft der Natur, wo kein Abfall produziert wird. Aber es gibt keine Nach­hal­tigkeit ohne Profi­ta­bilität. Ge-braucher wären deshalb besser als Ver-braucher.

Gerech­tigkeit ist wohl kaum vorhanden, wenn 1 % der Unter­nehmer heute 85 % des gesamten zur Verfügung stehenden Vermögens besitzen. Mut statt Angst wäre erfor­derlich. Dabei haben 38 % der euro­pä­ischen Menschen psychische Probleme und seit 1994 hat sich dies verdoppelt.

Mäßigung

Das rechte Maß finden. Nach Ludwig Erhard und seiner Parole des Maßhaltens geschah das Gegenteil: Gewinne wurden priva­tisiert, Verluste wurden sozi­a­lisiert. Und Produkte werden zu wenig langlebig produziert.

Glaube

Kolb sieht den Hinduismus als »tolle« Gesell­schaft mit einer großen Lebens­zu­frie­denheit. Den mate­riellen Wert sieht er als Illusion und zitiert Erich Fromms »Vom Haben zum Sein«. Denn neue Gedanken brauchen ein neues Bewusstsein.

Liebe

Kolb sagt auch, dass für ihn die Liebe die wich­tigste Tugend sei. Alles, was man aus Liebe tut, wäre richtig.

Die Versäumnisse im Leben und der Moment vor dem Sterben werden relevant.

Und die Hoffnung drückt er so aus, dass etwas Sinn hat und nicht nur, dass es gut ausgeht.

Wir sollten bei uns selbst anfangen. Was machen wir morgen anders? Leider spürte ich im Kongresssaal nicht die große Umkehr.

Nach­hal­tigkeit kommt oft auch als Zynismus daher, weswegen er den Begriff nicht mehr hören könne. Und nach­haltig zu leben sei zudem kein »Zucker­schlecken«, so beginnt der Verleger und Gestalter Lars Müller. Viele Gestalter kämpfen heute um ihre berufliche Existenz. Wer heute gut verdient, kassiere eher Schwei­gegeld.

Das Buch in seiner gedruckten Form sei in jedem Fall nach­haltig. Klima­neutrale Produktion und Trans­por­t­energie sind heute bei den Druck­partnern fast selbst­ver­ständlich. Im Gegensatz dazu verbrauchen elek­tro­nische Medien 8% der Energie!

Müller blickt dann zurück auf seine eigenen Arbeiten, sowohl als Gestalter als auch als Verleger. Dabei kommen viele Aspekte der Nach­hal­tigkeit zum Vorschein. Eine Kampagne gegen die erste McDo­nald’s-Eröffnung in der Schweiz oder wie das Schweizer Kulturradio gerettet wurde.

Arbeit bei Swatch (ist es nach­haltig, so viele Uhrva­rianten zu produ­zieren?), und schließlich die Arbeit für die Menschen­rechte bei den Vereinten Nationen. Müller wollte mit seiner Arbeit einer verant­wor­tungs­be­wussten Kultur dienen.

Gleich­zeitig befür­wortet er stark visu­a­li­sierte Bücher. Dort fehlen zugunsten der bild­lichen Wahr­nehmung des Lesers die Legenden, was ja höchst zwie­spältig gesehen werden könnte.

Das Buch würde nach seiner direkten Erfüllung des Lesens und Wahr­nehmens beim Leser zum Zeit­zeugen. Die gesamte lite­ra­rische Produktion könnte als nach­haltig bezeichnet werden.

Ein Visual Reader ist dieses erste Projekt über Menschen­rechte. Die Texte haben eine maximale Lesedauer von zwei Minuten. Die Gestaltung hätte sich für ihn heute geändert. Ebenso wichtig ist, dass nichts kaputt gestaltet wird. Nach­hal­tigkeit in der Gestaltung besteht darin, dass möglichst viele Menschen von ihr erfahren.

Nach­hal­tigkeit beginnt dort, wo die Infor­mation über ein Unter­nehmen beginnt, mit dem man zusam­me­n­a­r­beiten möchte. Da zuckt man schon zusammen. Michael Schirnen hat sich vor Jahren mit seiner Theorie bekannt gemacht, dass Werbung Kunst sei. Und dann beginnt seine Werkschau, die schon sehr beein­druckend ist. Aber angeblich geht das Verständnis über Computer in Deut­schland auf seine IBM-Anzeigen zurück. Das ist zwar alles kaum nach­haltig, doch zeigte er mit seinen Arbeiten durchaus ästhe­tische Quali­täts­werbung wie die VW Golf-Einführung, die den Käfer abgelöst hat. Jäger­meister, Pfanne, Creme 21, Servus, WDR 1 (mit Ohr), Post – Einführung des Acht-Minuten-Taktes (mit Bibel-Zitat) oder die Düsseldorf Kampagne.

Matthew Butterick versucht sich als Anwalt und Typograf gegen Strö­mungen der sinkenden Erwartung. Er sieht »Probleme lösen« als die nied­rigste Form des Designs. Design sollte etwas Mensch­liches einfügen, Menschen bereichern. Wie gehen wir damit um? Beispielsweise hatte das Web 1995 noch keine eigenen Schriften. Erst 2010 kamen die Webfonts auf den Markt. Die lange Zeit ließ die Erwar­tungen sinken. Soll man da geduldig sein? Für das Web arbeiten haupt­sächlich Hobby­de­signer, weswegen nichts besser geworden sei. Und Google hätte keine Erwar­tungen und keinen Standpunkt zur Schrift. (»Als wollte man Chefkoch bei McDo­nald’s werden.«)

Kindle fordert dazu auf, dass Leser ihren Anspruch senken. Bei iBooks wird so schlechte Qualität akzeptiert. Butterick ist selbst unge­duldig, veröf­fentlicht seine Bücher ohne Verleger und setzt sich direkt mit den Lesern in Kontakt.

John Hudson fragt, wie die Ausbildung verändert werden muss. Verant­wor­tungsvolle Designer werden gebraucht, die nicht nur irgen­detwas verkaufen wollen. Und das fantas­tische Design dürfte der Nach­hal­tigkeit nicht wider­sprechen. Ein Konzept für ein verant­wor­tungs­volles Design müsste entwickelt werden. Doch reicht es sicher nicht, wenn das Wort Nach­hal­tigkeit in den Vorträgen öfter erwähnt wird.

Michael Hardt sieht den Gestalter als zukünftige zentrale Figur zwischen dem bisherigen Auftraggeber und dem Gebraucher. Aber darüber mehr im Bericht über den tgm-Vortrag von Hardt.

Jeff Faulkner fragt, wie wir aus diesem Chaos heraus­kommen können. Große Probleme erfordern große Lösungen. Die Gestalter müssten ein bisschen über­menschlich werden. An großen Worten mangelt es also nicht. Ob Crowd­funding nach­haltig ist, nur weil so viele Leute beteiligt sind, ist nicht sicher. Und ist eine so große Konferenz wie die Typo überhaupt nach­haltig?

Buch­staben aus Stein und in Beton gegossen halten lange In Blackpool gibt es einen großen Platz, der eine große Menge von Text­zitaten und damit Schriften enthält. Es handelt sich um derbe Sprüche englischer Komiker, die in Schriften vor allem aus dem 19. Damit hat der Platz eine neue Attraktion erhalten, die von Andy Altan mit einer eigen­willigen Idee gestaltet wurde. Altan bemerkte dann auch, dass dieses Material lange halten wird und fand das mit Selbst­ironie nach­haltig.

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