Nachhaltige Typo in Berlin
Dem Versuch, Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch zu sehen, mag kaum ein Referent widersprechen. Bernd Kolb, ehemaliger Vorstand für Innovation bei der Telekom, gibt die Hoffnung an die nächste Generation weiter. Und was nun kommt, berechtigt zu kommen, sollte zumindest für verantwortungsbewusste Gestalter bekannt sein. Kolb spricht über den Vortrag Al Gores namens »Die unbequeme Wahrheit« und darüber, was durch den Klimawandel und den Tanz ums Goldene Kalb als Sinnbild für die Börsen passiert. Auch der Club of Rome wird erwähnt, der am 8.5.2012 seine Meldung verbreitete, dass es ein so nicht weitergehen könne wie bisher. Nicht der Konsum an sich wäre falsch, sondern es käme darauf an, was und wie konsumiert wird. Wenn Europa 19 % der Weltbevölkerung ausmacht, aber der Westen die meisten Ressourcen verbraucht und unser Konsummodell für aufstrebende Staaten als Vorbild gilt, scheint damit ein Verteilungskampf vorprogrammiert zu sein. Die sieben Todsünden sind schon seit 2000 Jahren bekannt. So wird in einigen Regionen das Wasser knapp werden. Alle früheren Hochkulturen sind zwar untergegangen. Aber heute handelt es sich um eine globale Kultur. Wir wissen das, aber was geschieht damit?
Interessanter als die Todsünden wären die »Die sieben Tugenden« und die hängen von der eigenen inneren Haltung ab. Über einige der Tugenden:
Weisheit
Da ist die Weisheit, an der es so oft fehlt. Zwei Vorbilder: Descartes sieht den Menschen als Herrscher und Besitzer der Natur. Darwins Individualismus als Wettbewerbsprinzip. Aber auch Wikipedia und Crowd-sourcing könnten Weisheit unterstützen. Man bedenke nur die Kreislaufwirtschaft der Natur, wo kein Abfall produziert wird. Aber es gibt keine Nachhaltigkeit ohne Profitabilität. Ge-braucher wären deshalb besser als Ver-braucher.
Gerechtigkeit ist wohl kaum vorhanden, wenn 1 % der Unternehmer heute 85 % des gesamten zur Verfügung stehenden Vermögens besitzen. Mut statt Angst wäre erforderlich. Dabei haben 38 % der europäischen Menschen psychische Probleme und seit 1994 hat sich dies verdoppelt.
Mäßigung
Das rechte Maß finden. Nach Ludwig Erhard und seiner Parole des Maßhaltens geschah das Gegenteil: Gewinne wurden privatisiert, Verluste wurden sozialisiert. Und Produkte werden zu wenig langlebig produziert.
Glaube
Kolb sieht den Hinduismus als »tolle« Gesellschaft mit einer großen Lebenszufriedenheit. Den materiellen Wert sieht er als Illusion und zitiert Erich Fromms »Vom Haben zum Sein«. Denn neue Gedanken brauchen ein neues Bewusstsein.
Liebe
Kolb sagt auch, dass für ihn die Liebe die wichtigste Tugend sei. Alles, was man aus Liebe tut, wäre richtig.
Die Versäumnisse im Leben und der Moment vor dem Sterben werden relevant.
Und die Hoffnung drückt er so aus, dass etwas Sinn hat und nicht nur, dass es gut ausgeht.
Wir sollten bei uns selbst anfangen. Was machen wir morgen anders? Leider spürte ich im Kongresssaal nicht die große Umkehr.
Nachhaltigkeit kommt oft auch als Zynismus daher, weswegen er den Begriff nicht mehr hören könne. Und nachhaltig zu leben sei zudem kein »Zuckerschlecken«, so beginnt der Verleger und Gestalter Lars Müller. Viele Gestalter kämpfen heute um ihre berufliche Existenz. Wer heute gut verdient, kassiere eher Schweigegeld.
Das Buch in seiner gedruckten Form sei in jedem Fall nachhaltig. Klimaneutrale Produktion und Transportenergie sind heute bei den Druckpartnern fast selbstverständlich. Im Gegensatz dazu verbrauchen elektronische Medien 8% der Energie!
Müller blickt dann zurück auf seine eigenen Arbeiten, sowohl als Gestalter als auch als Verleger. Dabei kommen viele Aspekte der Nachhaltigkeit zum Vorschein. Eine Kampagne gegen die erste McDonald’s-Eröffnung in der Schweiz oder wie das Schweizer Kulturradio gerettet wurde.
Arbeit bei Swatch (ist es nachhaltig, so viele Uhrvarianten zu produzieren?), und schließlich die Arbeit für die Menschenrechte bei den Vereinten Nationen. Müller wollte mit seiner Arbeit einer verantwortungsbewussten Kultur dienen.
Gleichzeitig befürwortet er stark visualisierte Bücher. Dort fehlen zugunsten der bildlichen Wahrnehmung des Lesers die Legenden, was ja höchst zwiespältig gesehen werden könnte.
Das Buch würde nach seiner direkten Erfüllung des Lesens und Wahrnehmens beim Leser zum Zeitzeugen. Die gesamte literarische Produktion könnte als nachhaltig bezeichnet werden.
Ein Visual Reader ist dieses erste Projekt über Menschenrechte. Die Texte haben eine maximale Lesedauer von zwei Minuten. Die Gestaltung hätte sich für ihn heute geändert. Ebenso wichtig ist, dass nichts kaputt gestaltet wird. Nachhaltigkeit in der Gestaltung besteht darin, dass möglichst viele Menschen von ihr erfahren.
Nachhaltigkeit beginnt dort, wo die Information über ein Unternehmen beginnt, mit dem man zusammenarbeiten möchte. Da zuckt man schon zusammen. Michael Schirnen hat sich vor Jahren mit seiner Theorie bekannt gemacht, dass Werbung Kunst sei. Und dann beginnt seine Werkschau, die schon sehr beeindruckend ist. Aber angeblich geht das Verständnis über Computer in Deutschland auf seine IBM-Anzeigen zurück. Das ist zwar alles kaum nachhaltig, doch zeigte er mit seinen Arbeiten durchaus ästhetische Qualitätswerbung wie die VW Golf-Einführung, die den Käfer abgelöst hat. Jägermeister, Pfanne, Creme 21, Servus, WDR 1 (mit Ohr), Post – Einführung des Acht-Minuten-Taktes (mit Bibel-Zitat) oder die Düsseldorf Kampagne.
Matthew Butterick versucht sich als Anwalt und Typograf gegen Strömungen der sinkenden Erwartung. Er sieht »Probleme lösen« als die niedrigste Form des Designs. Design sollte etwas Menschliches einfügen, Menschen bereichern. Wie gehen wir damit um? Beispielsweise hatte das Web 1995 noch keine eigenen Schriften. Erst 2010 kamen die Webfonts auf den Markt. Die lange Zeit ließ die Erwartungen sinken. Soll man da geduldig sein? Für das Web arbeiten hauptsächlich Hobbydesigner, weswegen nichts besser geworden sei. Und Google hätte keine Erwartungen und keinen Standpunkt zur Schrift. (»Als wollte man Chefkoch bei McDonald’s werden.«)
Kindle fordert dazu auf, dass Leser ihren Anspruch senken. Bei iBooks wird so schlechte Qualität akzeptiert. Butterick ist selbst ungeduldig, veröffentlicht seine Bücher ohne Verleger und setzt sich direkt mit den Lesern in Kontakt.
John Hudson fragt, wie die Ausbildung verändert werden muss. Verantwortungsvolle Designer werden gebraucht, die nicht nur irgendetwas verkaufen wollen. Und das fantastische Design dürfte der Nachhaltigkeit nicht widersprechen. Ein Konzept für ein verantwortungsvolles Design müsste entwickelt werden. Doch reicht es sicher nicht, wenn das Wort Nachhaltigkeit in den Vorträgen öfter erwähnt wird.
Michael Hardt sieht den Gestalter als zukünftige zentrale Figur zwischen dem bisherigen Auftraggeber und dem Gebraucher. Aber darüber mehr im Bericht über den tgm-Vortrag von Hardt.
Jeff Faulkner fragt, wie wir aus diesem Chaos herauskommen können. Große Probleme erfordern große Lösungen. Die Gestalter müssten ein bisschen übermenschlich werden. An großen Worten mangelt es also nicht. Ob Crowdfunding nachhaltig ist, nur weil so viele Leute beteiligt sind, ist nicht sicher. Und ist eine so große Konferenz wie die Typo überhaupt nachhaltig?
Buchstaben aus Stein und in Beton gegossen halten lange In Blackpool gibt es einen großen Platz, der eine große Menge von Textzitaten und damit Schriften enthält. Es handelt sich um derbe Sprüche englischer Komiker, die in Schriften vor allem aus dem 19. Damit hat der Platz eine neue Attraktion erhalten, die von Andy Altan mit einer eigenwilligen Idee gestaltet wurde. Altan bemerkte dann auch, dass dieses Material lange halten wird und fand das mit Selbstironie nachhaltig.
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