Meine persönlichen Highlights aus St. Gallen
Aufgewachsen ist Samuļenkova in einer Russisch sprechenden Familie in Lettland, studiert hat sie in Riga, Berlin und Den Haag. Inzwischen lebt sie in den Niederlanden, ihre Satzschriften erscheinen bei Bold Monday. Die kyrillischen Schriftzeichen sind ihr so vertraut wie das lateinische Alphabet mit all seinen sprachabhängigen diakritischen Sonderzeichen. Allein die Positionierung der Punkte fürs i und für die Umlaute ist dabei eine Herausforderung. Sie zeigte zudem die bandartige russische und die differenziertere bulgarische Version der kyrillischen Schrift: Diese fußt auf der Handschrift und zeichnet sich durch Ober- und Unterlängen aus, hat auch andere Proportionen, was sie insgesamt besser lesbar macht.Â
Sodann stellte sie ihre Arbeit an der IBM Plex vor, zu der eine Sans-, Serif- und eine Mono-Familie gehören. Dem Creative Director Mike Abbink lag daran, den IBM-Spirit einzufangen und die Beziehung Mensch–Maschine spürbar zu machen, für die IBM steht. Aleksandra Samuļenkova entwarf die kyrillischen Versionen für die drei Schriftstile. Und wagte es, ein paar ungewohnte, ältere Formen unterzubringen, zu sehen etwa im Ka und Zhe mit den traditionellen »Ohren«.Â
Erwähnenswert ist zu guter Letzt ihre preisgekrönte kantig-kräftige Satzschrift Pilot, die es als digitale Version gibt und als Bleisatzschrift in 24 Punkt. Aber das ist eine andere Geschichte …
»Visible Language« von Britt Möricke
Um Schrift ging es auch bei der Niederländerin Britt Möricke, genauer: um Handschrift. Dazu gab sie auch einen Workshop mit dem Titel »My handwriting sucks«. Schon als 12-Jährige entdeckte sie Edward Johnstons Buch »Writing, Illuminating and Lettering« – Beginn ihrer Leidenschaft für Buchstaben. Studiert hat sie dann Typographic Design an der Royal Academy of Art in Den Haag, absolvierte zusätzlich den Masterstudiengang Type & Media und unterrichtet seither Kalligrafie, Typografie und Schriftdesign. Solides Wissen und Können zu vermitteln, ist ihr genauso wichtig wie selbständiges Denken und Forschen. Zum Repertoire gehört natürlich die humanistische Kursive, aber nicht Ludovico Arrighi ist Britt Mörickes »Favorit«, sondern Gerardus Mercator. Der im 16. Jahrhundert weithin berühmte Geograph und Kartograph war ein analytischer Geist und auch ein Maßstäbe setzender Schriftkünstler.
Im zweiten Teil der Präsentation ging es um Stereo-Typo. Beim Marken- und Logodesign ist die Schriftwahl von großer Bedeutung. Wie aber mit etablierten Klischees umgehen? Eine Metal-Band mit gerundeter, bunter Kinderschrift? Oder klassizistisch im Fashion-Stil – geht das denn? Eher nicht. Und doch gilt es manchmal, gekonnt ein Klischee zu durchbrechen.
Ein großes Anliegen ist es Britt Möricke auch, Studierenden des Kommunikationsdesigns die Angst vor der Typografie zu nehmen, die ihr immer wieder begegnet. Zu viele Regeln? Zu langweilig und streng? Ob ein anderer Begriff wie »Visible Language« weiterhilft, bleibt fraglich.
Botschaft von Daniel Ammann
Sprache ist das Metier von Daniel Ammann. Er hat an der Universität Zürich Anglistik, Pädagogik und Literaturkritik studiert und ist seit 2002 Dozent für Medienbildung sowie Mitarbeiter des Schreibzentrums an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Frei nach Marshall McLuhan betonte er: »Das Format ist die Botschaft.« Wie bei Postkarten, Briefmarken und Flaschenpost – bedeutsame kulturelle Artefakte, ihre Form und ihr Format sind Teil ihrer Botschaft.
Small is beautyful? Bigger is better? So fragte Daniel Ammann und erzählte passend dazu von einem besonderen Guinness Weltrekord. Anlässlich des 72. Eidgenössischen Turnfestes am 22. Juni 1996 im Wankdorf-Stadion in Bern stellten 10.070 Kinder, Jugendliche und einige Erwachsene, ausgerüstet mit farbigen T-Shirts und Mützen, die mit 2.600 qm größte »lebende Briefmarke« aller Zeiten dar (3,5 Mio. Mal größer als das Original).
Ziel von Kommunikation ist Verständigung. Wie verständlich aber ist die »teuerste Streusendung der Menschheit«, also die Plaketten an Bord der Raumsonden Pioneer 10 und 11, mit denen man 1972 Kontakt mit außerirdischen Lebensformen aufzunehmen hoffte? Oder ein grüner (statt roter) SOS-Knopf? Daniel Ammann lud dazu ein, sich mit Craig Raine im Perspektivwechsel zu üben und das eigene kulturelle Umfeld zu verlassen, also Altbekanntes einmal so zu beschreiben, als sähe man es zum ersten Mal.
Mehr als nur ums Essen und Trinken
Das erste – und ziemlich abgefahrene – »Kochbuch«, das Wolfgang Ortner vom Büro OrtnerSchinko aus Linz machte, war ein Magazin-Experiment mit dem Titel »The Healthy Times«. Darin geht es um mehr als nur ums Essen und Trinken und um Rezepte. Es geht um Kunst, Fotografie, Nachhaltigkeit und die wichtigste aller Fragen: Wie sieht denn unsere Zukunft aus? Hinter dem Magazin steckt die Healthy Boy Band und dahinter die drei jungen österreichischen Spitzenköche Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn. Schnell war die erste Ausgabe ausverkauft. Weitere Interviews und kratzbürstig-freche Statements, noch mehr Texte und Bilder enthält nun auf 564 Seiten die zweite Ausgabe, erschienen im Sommer 2021, mit gleich drei Coverversionen. Wolfgang Schinko blätterte begeistert durch die Bilder- und Textfülle, jede Doppelseite ist anders, ein Ideenfeuerwerk, sehr wild, ziemlich verrückt, ja »gestört«, wie er mehrfach betonte.
Das Büro OrtnerSchinko macht aber nicht nur »gestörte« Projekte. Für die Linzer Museen Lentos und Nordico konzipierte es ein bemerkenswert sachliches Corporate Redesign (inklusive aller Kommunikationsmittel zu den Ausstellungen). Zunächst räumte Ortner im Schriftenchaos auf, setzt ausnahmslos die Unica77 medium ein und wandelte auch das eigentlich unantastbare Logo leicht ab. Fazit ist: Linz ist anscheinend ein gutes Pflaster für moderne Kunst und Typografie.
Den Schlusspunkt setzte Maike Ziegler, die in ihrem Creatural Design Lab durch maßgeschneiderte »Ritualkonzepte« verschiedene Welten – Menschen, Orte, Gegenstände – zusammenbringt. Auch auf der Tÿpo St. Gallen.
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