Revue über die Tÿpo St. Gallen 2021
Das war auch das Leitmotiv des Schweizer Musikers Rudolf Lutz, der über Improvisation sprach. Und alles, worüber er sprach und dies auch am Klavier spielte, ist auch im visuellen Bereich gültig: Tonart, Intervall, Klang, Lautstärke, Harmonie. Eine wunderbare Einstimmung für eine Tagung über Typografie.
Bewegte Typografie
Wie oft nervt uns die Bewegung in der Typografie! Doch es muss eben nicht blinken und flimmern sein. Es geht auch anders. Das zeigte Josh Schaub einfach, klar und sehr witzig. Die Zukunft des Plakats liegt in der Bewegung und Animation. Durch sie, so Schaub, können Botschaften versteckt werden. Bei Infografiken wichtige Vorgänge verdeutlicht und schnell begreifbar gemacht werden. Man kann mit der Lesbarkeit sogar mehr spielen als im Print! Gleichzeitig beharrte Schaub darauf, lieber nicht etwas neues erfinden, sondern das nützen, was schon da ist.
Schrift gestalten ist heute längst ein wichtiger Teil einer Typografie-Tagung. Sehr unterschiedlich konnte man das in Sankt Gallen erleben. Wunderbar wie einer der Meister der ersten Stunde der digitalen Gestaltung, Just van Rossum, spielerisch und elegant aus seiner Kariere berichtete. Das gelingt nicht immer. Das Frauenquartett Büro Klass aus Hamburg sprach im Team emotional mit viel erdachtem Hintergrund und zeigte qualitativ sehr unterschiedliche Arbeiten.
Intuition ist ein ambulantes »Gschwerl«.
Andreas Koop folgte seinem Auftrag, über Intuition zu sprechen, obwohl er kein Experte sei. Sein Titel »Zwischen Usability und Esoterik« bezog sich auf eigene Erfahrungen. Er gestand: »Je mehr ich über Intuition nachdenke, desto weniger ist sie mir greifbar. Erkenntnis Eins lautet also: Intuition ist ein ambulantes ›Gschwerl‹. Und eine elende Diva!«. Und weiter erfuhr man viel Amüsantes und Wunderbar-ironisches aus Koops Biografie und seiner Sicht auf Design im Ganzen. Es folgten dann doch recht tiefe Einsichten. »Auf den ersten Blick würde man Intuition vielleicht als gar nicht so über-relevant im Design vermuten. … Und doch kennt jede und jeder das, wenn sich im Entwurfsprozess auf einmal Dinge fügen, sich eine Stimmigkeit entwickelt und Schlüssigkeit entsteht – wahrlich, Lichtblicke sind das!«, so Andreas Koop. Er zeigte und kommentierte Arbeiten, die er selbst mit dem Begriff »Intuition« verband. Das geschah bisweilen spöttisch, auch im Bezug auf die gesamte Designerszene.
Auf der Tÿpo Sankt Gallen gibt es immer auch eine Buchvorstellung. Diesmal war das die »Geschichte und Form der lateinischen Schrift« von Hans Eduard Meier, dem Schöpfer der »Syntax«. Rudolf Barmettler und Roland Stieger hatten das berühmte Buch aktualisiert und erweitert durch das sehr dicht geschriebene, äußerst informative Essay »Schreiben, drucken, tippen« von Rupert Kalkofen.
Architekturführung mit Ulrich Vogt
Am zweiten Tÿpo-Tag wurden zehn je zweistündige Workshops angeboten. Die Wahl fiel schwer. Ich entschied mich für die Führung »Das Schöne im Hässlichen« von Ulrich Vogt durch das Haus der Schule für Gestaltung. Der Kurator des Grubenmann Museums im Zeughaus Teufen bot eine Baubegehung an. Es wurde über Nützliches, Funktionelles, Grässliches oder nur Hässliches diskutiert. Vogt betonte dabei immer wieder die Offenheit und die Vermeidung von Wertung. Und mich erfreute, wie kompetent und offen man mit dem Thema umging.
Den Abschluss der Tagung bildeten ein Vortrag und die Ausstellungsvernisage zu den schönsten Büchern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Eigentlich eine wunderbare Gelegenheit, die diversen — nicht frei vom Zeitgeist — Arbeiten zu sehen. Ich entschied mich aber für die Alternative: die Ausstellung in der Galerie und dem Verlag »Erker«, der sich seit 1958 mit Expressionismus und der klassischen Moderne beschäftigt.
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