Prägend für Münchens Typografie: Walter Biering

Wer die Geschichte der tgm betrachtet, stößt unweigerlich auf Walter Biering – eine Persönlichkeit, die wie kaum eine andere die Münchner Typografie- und Medienlandschaft verkörperte. Als Druckereibesitzer, engagierter Lehrer und langjähriger Akteur der tgm verband er unternehmerische Praxis, bildungspolitisches Engagement und tiefe Liebe zur Typografie auf einzigartige Weise.
Unternehmer und Innovator
Walter Biering wurde am 4. August 1927 in München geboren. Nach einer fundierten Ausbildung im grafischen Gewerbe legte er den Grundstein für seine beeindruckende berufliche Laufbahn. Vor der Gründung seines eigenen Unternehmens war Biering Verkaufsleiter bei der Druckerei Saupe, die mit Hans Lehnacker ebenfalls eine wichtige Rolle für die tgm spielte. Der entscheidende Schritt folgte 1966, als er seinen eigenen Betrieb gründete, der sich später als Mediahaus Biering GmbH zu einer festen Institution in der Münchner Druck- und Medienbranche entwickelte.
Unter seiner Führung erlangte das Unternehmen einen hervorragenden Ruf für höchste Druckqualität und technologische Innovation. Biering war ein technologischer Vorreiter, der regelmäßig in moderne Technik investierte. Als einer der ersten führte er Mitte der 1990er Jahre Computer-to-Plate ein – die Direktbelichtung auf die Druckplatte mit dem »System Gutenberg« von Heidelberg/Creo. Die Druckerei im Stadtteil Schwabing-Freimann wurde zur Heimat anspruchsvoller Publikationen und bibliophiler Werke, die bei Kennern und Kunden gleichermaßen geschätzt wurden.
Besonders prägte Biering die Entwicklung des Unternehmens durch sein Konzept einer umfassenden Dienstleistung im Druckbereich. So entstand eine klassische Drei-Stufen-Druckerei, bei der Vorstufe, Druck sowie Weiterverarbeitung in spezialisierten, aber eng kooperierenden Einheiten in einem Betrieb organisiert waren – ein Modell, das bis zum Ende des Unternehmens Bestand hatte. Die Unternehmensgruppe zählte zu den größten Druckhäusern Münchens und betreute namhafte Kunden, beispielsweise aus der Automobilbranche. Biering verstand es früh, auch seinen Namen als Marke zu etablieren – Kunden, so wird berichtet, wählten ihn oft trotz höherer Preise als Druckpartner.
Wie viele innerstädtische Druckereien litt auch Biering unter den räumlichen Beschränkungen seines Münchner Standorts, während sich Mitbewerber zunehmend auf größere Gewerbestandorte verlagerten. Das repräsentative Gebäude beeindruckte die internationalen Kunden, erwies sich aber als technisch ungünstig angelegt – so konnten einzelne Druckmaschinen nicht erneuert werden, sondern mussten aufgrund ihrer Anordnung zwischen den Säulen stets komplett ausgetauscht werden. Nach fast 50 Jahren erfolgreicher Arbeit musste das Mediahaus Biering im September 2014 schließlich Insolvenz anmelden. Trotz intensiver Bemühungen gelang es leider nicht, einen Investor zu finden, der die über 100 Arbeitsplätze hätte erhalten können.

Förderer der Münchner Typografie
Der Name Walter Biering ist untrennbar mit der Geschichte der Typographischen Gesellschaft München verbunden. Seit 1952, und damit über sieben Jahrzehnte lang Mitglied der tgm, engagierte er sich schon früh und prägte über Jahrzehnte hinweg Generationen von Nachwuchstalenten.
Als Beirat und Förderer unterstützte er die tgm nicht nur ideell, sondern auch ganz praktisch: Über Jahre hinweg stellte er regelmäßig Räume für Fortbildungen und weitere Veranstaltungen zur Verfügung – insbesondere die Kantine seines Unternehmens, den »Typokeller«. Dieser bot nicht nur viel Platz und eine gute Ausstattung, sondern war auch für seine hervorragende Verpflegung bekannt. Hier fanden jährlich die Treffen der tgm-Dozent:innen statt, daneben auch Vorträge und mehrere Jahresversammlungen. Seine Unterstützung ermöglichte zahlreiche Projekte und Initiativen, die ohne sein Engagement kaum denkbar gewesen wären. Die tgm profitierte dabei von seinem Fachwissen, seiner unternehmerischen Erfahrung und seinen Kontakten in der Branche.
Ergänzend zu seinem Engagement in der tgm unterrichtete Biering als zertifizierter Schriftsetzerlehrmeister an der Berufsschule München und leitete Seminare auch in anderen Städten. Er brachte dort seine praktische Erfahrung als Unternehmer und Typograf in die formale Ausbildung ein. Er engagierte sich zudem aktiv in Prüfungsausschüssen für Gesellen- und Meisterprüfungen und prägte so die Standards typografischer Ausbildung weit über den unmittelbaren Unterricht hinaus.
In Anerkennung seines außerordentlichen Engagements für die typografische Ausbildung und die Münchner Druckbranche wurde Walter Biering am 14. November 2000 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Diese hohe Ehrung würdigte sein jahrzehntelanges intensives Wirken. In den »VierSeiten« vom Februar 2001 berichteten wir darüber. 2001 folgte der Bayerische Printpreis für sein innovatives Konzept eines mittelständischen Unternehmens der Druck- und Medienindustrie.
Gestalter und Kulturvermittler
Walter Bierings besonderer Fokus lag zeitlebens auf der Förderung des typografischen Nachwuchses. Mit bemerkenswerter Hingabe leitete er über Jahrzehnte Skizzier- und Entwurfskurse der tgm (u. a. Skizzieren, 1955–1966; Entwurfstechnik für Fortgeschrittene, 1967–1969; Typografie in der Praxis, 1964). Diese Kurse genossen einen hervorragenden Ruf und wurden zu einem Qualitätsmerkmal der tgm-Fortbildung.
Charakteristisch für Bierings pädagogischen Ansatz war sein Rat an junge Schriftsetzer: »Der Schriftsetzer sollte unbedingt einen Blick über den Rand des Setzkastens hinaus riskieren.« Seine Lehrtätigkeit erstreckte sich auch über München hinaus – so leitete er 1965 auch ein typografisches Seminar für Schriftsetzer beim Donaukurier in Ingolstadt.
Zwischen 1966 und 1971 war Biering zudem Mitglied des Ausstellungskomitees der Galerie Intergraphix, die am Lenbachplatz als bedeutender Treffpunkt für Design, Typografie und Produktgestaltung galt. Gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Olaf Leu, Philipp Luidl, Hans Numberger, Rudolf Rieger und Kurt Weidemann organisierte er international beachtete Ausstellungen.
Legendär sind die vielen tgm-Jahresgaben sowie zahlreiche bedeutende Publikationen der tgm, etwa zu Jan Tschichold, Paul Renner, Georg Trump oder Hans Peter Willberg, die er mit seinem Team druckte oder typografisch betreute. Auch mehrere Programmfolder bzw. -bücher der tgm wurden durch die Walter Biering GmbH bzw. ihre Vorgänger gesetzt und gedruckt.
Parallel dazu entwickelte Biering eine eigene Tradition außergewöhnlicher Jahresgaben für sein Unternehmen. Diese limitierten Editionen, die meist ausschließlich Freunden und Mitarbeitern gewidmet waren, zeichneten sich durch herstellungstechnische Innovationen und inhaltliche Tiefe aus. Werke wie »Das Alphabet« (1990/91), »Der Wandel« (1992/93) mit einem integrierten Computerchip oder »Wie lesbar soll lesbar sein?« (1998/99) wurden schon bei Erscheinen zu begehrten Sammlerstücken. Diese Jahresgaben, oft in Auflagen von nur wenigen Exemplaren und in bibliophiler Ausstattung mit Schubern produziert, spiegelten Bierings Verständnis von Typografie als kulturellem und technischem Experiment wider.

![Es ist hier eine ganze Menge EDV-Stoff – über unsere Zukunftswelt, speziell auch im grafischen Betrieb – gesagt worden. Ein jeder, der in der Informationsverarbeitung tätig ist, sollte sich darin vertiefen, denn niemand wird an seinem Arbeitsplatz von dieser Entwicklung verschont bleiben – am wenigsten die, die an den Schaltstellen eines Betriebes arbeiten. […] Information ist alles, und von diesem Sachverhalt ausgehend steht fest, wie sich der zukünftige Arbeitsplatz darstellt.](https://tgm-online.de/media/pages/blog/walter-biering/f3eb7039f2-1749225020/img-3038-der-wandel-2-1200x1200.jpg)
Im hinteren Buchdeckel ist ein EPROM-Speicherchip eingelassen – als Symbol jenes Wandels, »von dem alle Fertigungsstufen eines Druckunternehmens berührt werden«. An seiner Position wurden alle Seiten sowie der vordere Buchdeckel passgenau ausgestanzt.
Vermächtnis einer Ära
Mit der Insolvenz 2014 endete ein wichtiges Kapitel der Münchner Druckgeschichte. Doch Walter Bierings Einfluss wirkt weiter: Seine Ideen und sein Engagement prägen die Branche bis heute.
Sein Vermächtnis zeigt sich in der Qualität der typografischen Ausbildung, in den Standards des Druckgewerbes und in den Erinnerungen derer, die von ihm lernten oder mit ihm arbeiteten. Die unter seiner Führung entstandenen Publikationen sind heute Zeugnisse einer Zeit, in der handwerkliche Qualität und gestalterische Innovation zusammenwirkten. Walter Biering verband Können, Gestaltung und fachliches Engagement für die Typografie. Sein Anspruch an Qualität, kombiniert mit seinem Verständnis für den kulturellen Wert der Typografie, macht ihn zu einer prägenden Persönlichkeit der Münchner Typografieszene.
In der digitalen Gegenwart erinnert sein Werk an die Bedeutung typografischer Grundprinzipien und deren Weitergabe an neue Generationen. Sein Andenken und sein Erbe leben in der Arbeit der Typographischen Gesellschaft München fort.
Walter Biering verstarb am 10. Juni 2024 im Alter von 96 Jahren; die Trauerfeier fand im engsten Familienkreis statt. Als langjähriges Vorstandsmitglied und Ehrenmitglied der tgm bleibt er mit seinem Lebenswerk in unserer Geschichte und der Münchner Typografielandschaft unvergessen.
Das im Text genannte Zitat stammt sinngemäß aus dem Blogbeitrag »Alte Schläuche« von Martin Z. Schröder, der wiederum den Druckspiegel #6, Juni 1965, zitiert: »Herr Biering meinte am Schluß, daß der Schriftsetzer unbedingt einen Blick über den Rand des Setzkastens hinaus riskieren sollte.«
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