typographische
zitate
Die Typo­grafie ist eine spröde Geliebte, doch wer sich ernsthaft um sie bemüht, dem wird sie ihre ganze Schönheit offenbaren.
Günter Gerhard Lange

Typographische
Gesellschaft
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Menschen

Prägend für Münchens Typografie: Walter Biering

Michi Bundscherer
Rudolf Paulus Gorbach
Matthias Hauer
10. Juni 2025
Walter Biering prägte die Münchner Typo­gra­fieszene über Jahr­zehnte. Als Typograf, Drucker, Lehrer, Mentor und Mäzen wirkte er weit über sein eigenes Unter­nehmen hinaus. Zum einjährigen Todestag erinnern wir an einen Mann, dessen Vermächtnis in der Arbeit seiner Schüler und in der Tradition der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München (tgm) weiterlebt.
Walter Biering, ca. 1992
Walter Biering (ca. 1992) mit etwa 64 Jahren

Wer die Geschichte der tgm betrachtet, stößt unwei­gerlich auf Walter Biering – eine Persön­lichkeit, die wie kaum eine andere die Münchner Typo­grafie- und Medi­en­land­schaft verkörperte. Als Drucke­rei­be­sitzer, enga­gierter Lehrer und lang­jähriger Akteur der tgm verband er unter­neh­me­rische Praxis, bildungs­po­li­tisches Enga­gement und tiefe Liebe zur Typo­grafie auf einzig­artige Weise.

Unter­nehmer und Innovator

Walter Biering wurde am 4. August 1927 in München geboren. Nach einer fundierten Ausbildung im grafischen Gewerbe legte er den Grundstein für seine beein­dru­ckende berufliche Laufbahn. Vor der Gründung seines eigenen Unter­nehmens war Biering Verkaufs­leiter bei der Druckerei Saupe, die mit Hans Lehnacker ebenfalls eine wichtige Rolle für die tgm spielte. Der entscheidende Schritt folgte 1966, als er seinen eigenen Betrieb gründete, der sich später als Mediahaus Biering GmbH zu einer festen Insti­tution in der Münchner Druck- und Medi­en­branche entwi­ckelte.

Unter seiner Führung erlangte das Unter­nehmen einen hervor­ra­genden Ruf für höchste Druck­qualität und tech­no­lo­gische Inno­vation. Biering war ein tech­no­lo­gischer Vorreiter, der regelmäßig in moderne Technik inves­tierte. Als einer der ersten führte er Mitte der 1990er Jahre Computer-to-Plate ein – die Direkt­be­lichtung auf die Druck­platte mit dem »System Gutenberg« von Heidelberg/Creo. Die Druckerei im Stadtteil Schwabing-Freimann wurde zur Heimat anspruchs­voller Publi­ka­tionen und biblio­philer Werke, die bei Kennern und Kunden glei­chermaßen geschätzt wurden.

Besonders prägte Biering die Entwicklung des Unter­nehmens durch sein Konzept einer umfas­senden Dienst­leistung im Druck­bereich. So entstand eine klas­sische Drei-Stufen-Druckerei, bei der Vorstufe, Druck sowie Weiter­ver­a­r­beitung in spezi­a­li­sierten, aber eng koope­rie­renden Einheiten in einem Betrieb orga­nisiert waren – ein Modell, das bis zum Ende des Unter­nehmens Bestand hatte. Die Unter­neh­mens­gruppe zählte zu den größten Druck­häusern Münchens und betreute namhafte Kunden, beispielsweise aus der Auto­mo­bil­branche. Biering verstand es früh, auch seinen Namen als Marke zu etablieren – Kunden, so wird berichtet, wählten ihn oft trotz höherer Preise als Druck­partner.

Wie viele inner­städ­tische Druckereien litt auch Biering unter den räum­lichen Beschrän­kungen seines Münchner Standorts, während sich Mitbe­werber zunehmend auf größere Gewer­be­standorte verla­gerten. Das reprä­sen­tative Gebäude beein­druckte die inter­na­ti­onalen Kunden, erwies sich aber als technisch ungünstig angelegt – so konnten einzelne Druck­ma­schinen nicht erneuert werden, sondern mussten aufgrund ihrer Anordnung zwischen den Säulen stets komplett ausge­tauscht werden. Nach fast 50 Jahren erfolg­reicher Arbeit musste das Mediahaus Biering im September 2014 schließlich Insolvenz anmelden. Trotz intensiver Bemü­hungen gelang es leider nicht, einen Investor zu finden, der die über 100 Arbeits­plätze hätte erhalten können.

Walter Biering am Schreibtisch des Mediahaus Biering GmbH

Förderer der Münchner Typo­grafie

Der Name Walter Biering ist untrennbar mit der Geschichte der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München verbunden. Seit 1952, und damit über sieben Jahr­zehnte lang Mitglied der tgm, enga­gierte er sich schon früh und prägte über Jahr­zehnte hinweg Gene­ra­tionen von Nach­wuchs­ta­lenten.

Als Beirat und Förderer unter­stützte er die tgm nicht nur ideell, sondern auch ganz praktisch: Über Jahre hinweg stellte er regelmäßig Räume für Fort­bil­dungen und weitere Veran­stal­tungen zur Verfügung – insbe­sondere die Kantine seines Unter­nehmens, den »Typo­keller«. Dieser bot nicht nur viel Platz und eine gute Ausstattung, sondern war auch für seine hervor­ragende Verpflegung bekannt. Hier fanden jährlich die Treffen der tgm-Dozent:innen statt, daneben auch Vorträge und mehrere Jahres­ver­samm­lungen. Seine Unter­stützung ermög­lichte zahl­reiche Projekte und Initiativen, die ohne sein Enga­gement kaum denkbar gewesen wären. Die tgm profi­tierte dabei von seinem Fach­wissen, seiner unter­neh­me­rischen Erfahrung und seinen Kontakten in der Branche.

Ergänzend zu seinem Enga­gement in der tgm unter­richtete Biering als zerti­fi­zierter Schrift­set­zer­lehr­meister an der Berufs­schule München und leitete Seminare auch in anderen Städten. Er brachte dort seine prak­tische Erfahrung als Unter­nehmer und Typograf in die formale Ausbildung ein. Er enga­gierte sich zudem aktiv in Prüfungs­aus­schüssen für Gesellen- und Meis­ter­prü­fungen und prägte so die Standards typo­gra­fischer Ausbildung weit über den unmit­telbaren Unterricht hinaus.

In Aner­kennung seines außer­or­dent­lichen Enga­gements für die typo­gra­fische Ausbildung und die Münchner Druck­branche wurde Walter Biering am 14. November 2000 mit dem Bundes­ver­dienstkreuz am Bande ausge­zeichnet. Diese hohe Ehrung würdigte sein jahr­zehn­te­langes intensives Wirken. In den »Vier­Seiten« vom Februar 2001 berichteten wir darüber. 2001 folgte der Baye­rische Printpreis für sein inno­vatives Konzept eines mittel­stän­dischen Unter­nehmens der Druck- und Medien­in­dustrie.

Gestalter und Kultur­ver­mittler

Walter Bierings besonderer Fokus lag zeit­lebens auf der Förderung des typo­gra­fischen Nach­wuchses. Mit bemer­kens­werter Hingabe leitete er über Jahr­zehnte Skizzier- und Entwurfskurse der tgm (u. a. Skiz­zieren, 1955–1966; Entwurfs­technik für Fort­ge­schrittene, 1967–1969; Typo­grafie in der Praxis, 1964). Diese Kurse genossen einen hervor­ra­genden Ruf und wurden zu einem Quali­täts­merkmal der tgm-Fort­bildung.
Charak­te­ristisch für Bierings pädago­gischen Ansatz war sein Rat an junge Schrift­setzer: »Der Schrift­setzer sollte unbedingt einen Blick über den Rand des Setz­kastens hinaus riskieren.« Seine Lehr­tä­tigkeit erstreckte sich auch über München hinaus – so leitete er 1965 auch ein typo­gra­fisches Seminar für Schrift­setzer beim Donau­kurier in Ingolstadt.

Zwischen 1966 und 1971 war Biering zudem Mitglied des Ausstel­lungs­ko­mitees der Galerie Inter­graphix, die am Lenbachplatz als bedeu­tender Treffpunkt für Design, Typo­grafie und Produkt­ge­staltung galt. Gemeinsam mit Persön­lich­keiten wie Olaf Leu, Philipp Luidl, Hans Numberger, Rudolf Rieger und Kurt Weidemann orga­ni­sierte er inter­na­tional beachtete Ausstel­lungen.

Legendär sind die vielen tgm-Jahresgaben sowie zahl­reiche bedeutende Publi­ka­tionen der tgm, etwa zu Jan Tschichold, Paul Renner, Georg Trump oder Hans Peter Willberg, die er mit seinem Team druckte oder typo­grafisch betreute. Auch mehrere Programm­folder bzw. -bücher der tgm wurden durch die Walter Biering GmbH bzw. ihre Vorgänger gesetzt und gedruckt.

Parallel dazu entwi­ckelte Biering eine eigene Tradition außer­ge­wöhn­licher Jahresgaben für sein Unter­nehmen. Diese limi­tierten Editionen, die meist ausschließlich Freunden und Mita­r­beitern gewidmet waren, zeichneten sich durch herstel­lungs­tech­nische Inno­va­tionen und inhaltliche Tiefe aus. Werke wie »Das Alphabet« (1990/91), »Der Wandel« (1992/93) mit einem inte­grierten Compu­terchip oder »Wie lesbar soll lesbar sein?« (1998/99) wurden schon bei Erscheinen zu begehrten Samm­ler­stücken. Diese Jahresgaben, oft in Auflagen von nur wenigen Exem­plaren und in biblio­philer Ausstattung mit Schubern produziert, spie­gelten Bierings Verständnis von Typo­grafie als kultu­rellem und tech­nischem Expe­riment wider.

Vermächtnis einer Ära

Mit der Insolvenz 2014 endete ein wichtiges Kapitel der Münchner Druck­ge­schichte. Doch Walter Bierings Einfluss wirkt weiter: Seine Ideen und sein Enga­gement prägen die Branche bis heute.

Sein Vermächtnis zeigt sich in der Qualität der typo­gra­fischen Ausbildung, in den Standards des Druck­ge­werbes und in den Erin­ne­rungen derer, die von ihm lernten oder mit ihm arbeiteten. Die unter seiner Führung entstandenen Publi­ka­tionen sind heute Zeugnisse einer Zeit, in der hand­werkliche Qualität und gestal­te­rische Inno­vation zusam­men­wirkten. Walter Biering verband Können, Gestaltung und fach­liches Enga­gement für die Typo­grafie. Sein Anspruch an Qualität, kombiniert mit seinem Verständnis für den kultu­rellen Wert der Typo­grafie, macht ihn zu einer prägenden Persön­lichkeit der Münchner Typo­gra­fieszene.

In der digitalen Gegenwart erinnert sein Werk an die Bedeutung typo­gra­fischer Grund­prin­zipien und deren Weitergabe an neue Gene­ra­tionen. Sein Andenken und sein Erbe leben in der Arbeit der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München fort.

Walter Biering verstarb am 10. Juni 2024 im Alter von 96 Jahren; die Trau­e­rfeier fand im engsten Fami­li­enkreis statt. Als lang­jähriges Vorstands­mitglied und Ehren­mitglied der tgm bleibt er mit seinem Lebenswerk in unserer Geschichte und der Münchner Typo­gra­fie­land­schaft unver­gessen.

Das im Text genannte Zitat stammt sinngemäß aus dem Blog­beitrag »Alte Schläuche« von Martin Z. Schröder, der wiederum den Druck­spiegel #6, Juni 1965, zitiert: »Herr Biering meinte am Schluß, daß der Schrift­setzer unbedingt einen Blick über den Rand des Setz­kastens hinaus riskieren sollte.«

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