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Der Glaube an das Zählen und Messen verführt in allen Künsten zu den größten Fehlern.
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Branche

Das Ende einer Offizin

Michael Bundscherer
8. August 2023
Nach dem Tod des Inhabers Schu­ma­cher­Gebler wurde die renom­mierte Offizin Haag-Drugulin (OHD) geschlossen. Die hoch spezi­a­li­sierten Mita­r­beiter konnten leider nicht weiter­be­schäftigt werden.

Eckehart Schu­ma­cher­Gebler (ESG) hatte den 1829 in Leipzig gegründeten Betrieb nach der Wende über­nommen und zuletzt zehn Jahre in Dresden geführt – nicht als Muse­ums­werkstatt, sondern als Hand­werks­betrieb. Sein Ziel war es, diesen Kultur­schatz und die damit verbundenen Fertig­keiten zu erhalten und weiter­zugeben.

Das Herzstück der OHD war zum einem das histo­rische typo­gra­fische Material, das ESG in über sechzig Jahren weit­gehend privat zusam­men­­ge­tragen, gepflegt und eingesetzt hatte: Es besteht aus einzig­artigen Schriften- und Matri­zen­­schätzen, funk­ti­ons­­­tüchtigen Monotype- und Buch­druck­­ma­schinen – darunter die letzten erhaltenen Schrift­be­stände der Reichs­dru­ckerei mit über 150 verschiedenen Blei­satz­schriften sowie über zwei Millionen seltener Guss­ma­trizen der Firma Monotype, die Ende des 19. Jahr­hunderts den Maschi­nensatz revo­lu­tio­nierte, und vielen weiteren wert­vollen Schmuck­buch­staben und Orna­menten.

Zum anderen bestand es vor allem aus dem hier versam­melten, inzwischen extrem raren Wissen. Das Team der OHD bestand aus hoch moti­vierten, in den histo­rischen Techniken ausge­bildeten Mita­r­beitern. Dazu gehören Max Lotze, der jüngste Mono­type­gießer Deut­schlands, die Schrift­setzerin und Mono­type­tasterin Heike Schnotale, der Drucker Albrecht Günther und die Setzerin Ute Finger. Die Mita­r­beiter wären auch in der Lage gewesen, andere auszu­bilden und so tradi­ti­onelle Hand­werks­berufe wie Schrift­setzer, Monotype-Taster, -Gießer und Buch­drucker weiter zu erhalten.

Druck und Typo­grafie sind seit Jahr­hun­derten ein wesent­licher Bestandteil der euro­pä­ischen Kultur und Wissens­ge­sell­schaft. In vielen Ländern wird der Bewahrung des typo­gra­fischen Erbes große Bedeutung beige­messen: So werden in Frankreich »Maîtres d’Arts« ernannt, um die hand­werkliche Meis­ter­schaft in Schrift und Druck zu ehren und zu bewahren. In Deut­schland, das dank der Inno­va­ti­onskraft und Kunst­fer­tigkeit von Johannes Gutenberg (Erfinder des modernen Buch­drucks), Albrecht Dürer (Meister des Bilder­drucks), Friedrich Koenig (Erfinder der Schnell­presse) und Aloys Sene­felder (Erfinder der Litho­grafie) als Mutterland der Druckkunst gilt, gibt es jedoch keine vergleichbare staatliche Insti­tution, die sich um die Bewahrung des typo­gra­fischen Erbes kümmert.

Leider ist es offenbar äußerst schwierig, Bund und Länder für die Rettung solch bedeu­tender Einrich­tungen zu gewinnen: Die Schrift­gießerei Rainer Gers­tenberg in Darmstadt konnte nicht gerettet werden, das Welt­museum der Druckkunst in Mainz kämpft um jeden Cent und auch die Druck­werkstatt p98a von Erik Spie­kermann ist von der Schließung bedroht.

Da die Erben von Eckehart Schu­ma­cher­Gebler den tradi­ti­ons­reichen Betrieb nicht weiter­führen können, war nun auch die Offizin Haag-Drugulin und ihre Mita­r­bei­te­rinnen und Mita­r­beiter auf finan­zielle Unter­stützung ange­wiesen. Mögliche Lösungen wie eine Betei­ligung der genos­sen­schaftlich orga­ni­sierten Büchergilde Gutenberg oder ein genos­sen­schaft­liches Konzept für die Offizin schienen jedoch nicht möglich. So wurde der Betrieb Anfang 2023 einge­stellt, die Werkstatt vor Ort aufgelöst und die Beschäf­tigten nicht weiter­be­schäftigt. Um Schaden zu verhindern, wurde zwischen­­zeitlich das Inventar unter Denk­mal­schutz gestellt. Den enga­gierten Mita­r­beitern ist es zu verdanken, dass ein Teil des Materials aus dem Außen­lager in die Räume der OHD gebracht und so gesichert werden konnte.

Im März 2023 fand ein erstes Treffen mit Vertretern der Erben­ge­mein­schaft, Mita­r­beitern des Denk­malamtes und der seit Februar amtie­renden Direktorin des Museums für Druckkunst, Dr. Katharina Walter, statt. Es wurde vereinbart, dass alle Komplett­guss­schriften sowie die gesamte Monotype-Maschinerie und die Matri­zen­be­stände an das 1994 ebenfalls von Schu­ma­cher­Gebler gegründete Museum für Druckkunst in Leipzig (teilweise zurück-)gegeben werden. Bis Ende August 2023 sollen diese Exponate nun denk­mal­gerecht in Leipzig unter­ge­bracht werden.

Auch wenn das Enga­gement des Museums für Druckkunst in Leipzig nicht zu unter­schätzen ist – ein Museum ist keine Offizin. Mit der Auflösung der OHD ist eine der wenigen verbliebenen Möglich­keiten für die Ausbildung des typo­gra­fischen Nach­wuchses verloren gegangen. Ohne Ausbildung, ohne die Weiter­gabe des Wissens an die jüngere Gene­ration, hat der histo­rische Buchdruck keine Zukunft. Mit der geschei­terten Rettung dieses Unter­­nehmens geht auch die Chance verloren, ein kultu­relles Erbe für kommende Gene­ra­tionen zu erhalten.

Vielen Dank an die tgm-Mitglieder Michael Lang und Silvia Werfel für ihre wertvolle Mitarbeit bei diesem Thema.

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