Typografie-Geschichte lebendig: Tschichold, Schweizer und dada
Tschichold in St. Gallen
Eine ungewöhnliche Ausstellung hat Jost Hochuli in St. Gallen zusammengestellt, besser gesagt editiert. Ohne Inszenierungstrara sind in 24 Vitrinen Exponate aus Tschicholds Arbeitsbibliothek, die in der Kantonsbibliothek Vadiana St. Gallen liegen, zusammengestellt. Man kann sich ganz wunderbar und ohne Störungen in Tschicholds typografisches Leben vertiefen. Hier finden sich Briefe, handschriftliche Kommentare, Teile aus den 204 Faszikeln, in denen Tschichold so viel Interessantes gesammelt hat: Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften, Briefe, Notizen, Fotografien, Originalillustrationen, Reinzeichnungen und vieles mehr. Der Inhalt der Vitrinen ist von Jost Hochuli aufs Sorgfältigste ausgewählt und beschrieben. Allein die Auswahl der Exponate lässt eine großartige (und zeitintensive) Vorbereitung erahnen.
Die Ausstellung läuft in St. Gallen bis 26. November 2016, wird anschließend wandern. Fest stehen schon: Museum für Druckkunst Leipzig und Design Center im Museumsquartier Wien.
Zur Ausstellung erscheint im Wallstein Verlag ein Begleitbuch:
Jost Hochuli
Tschichold in St. Gallen
Jan Tschicholds Arbeitsbibliothek in der St. Galler Kantonsbibliothek Vadiana / Jan Tschichold’s reference library in the Vadiana Cantonal Library St. Gallen
Zweisprachig deutsch und englisch. Englisch von Charles Whitehouse
Reihe: Ästhetik des Buches (Hg. von Klaus Detjen) – Sonderband
96 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen
Wallstein Verlag, Göttingen, 2016
28 €
ISBN: 978–3–8353–1590–7
Les Suisses de Paris
Das Museum für Gestaltung in Zürich hat sich dem Einfluß gewidmet, den ab 1950 Schweizer Gestalter in Paris geprägt hatten. Paris als künstlerische Metropole war im Bereich des Designs eher rückständig. Die gut ausgebildeten Gestalter aus der Schweiz übertrugen das, was Schweizer Gestaltung und vor allem Typografie bedeutete, in die französische Metropole. Der International Style war sehr bald dominierend. Adrian Frutiger hat in seiner Zeit, als er bei Deberny & Peignot arbeitete, die Univers entwickelt und herausgebracht. Und in der Folge zählen hierzu Typografen und Schriftentwickler wie Albert Hollenstein, Albert Boton, André Gürtler, Bruno Pfäffli und später Hans-Jörg Hunziger. Rudi Meyer und Peter Keller sind in dieser Zeit bereits in der Lehre in Paris tätig.
Berühmt gewordene Arbeiten sind längst im allgemeinen Bewusstsein von Gestaltern vorhanden. So allein Frutigers Beschriftungen der Flughäfen Orly und Charles de Gaulle, sowie der Pariser Metro. Jean Widmer setzt die Schrift Roissy auch für die Beschilderung der Autobahnen ein. Der jüngere Rudi Meyer gestaltet die Karten des Streckennetzes der SNCF.
Große Erscheinungsbilder entstanden mit Schweizer Einfluß für das Centre Pompidou, die Bibliothéque nationale de France, Musée d’Orsay und viele andere. Und schließlich sind Arbeiten im Modebereich durch Schweizer ganz wesentlich: Sonja Knapp, Jean Widmer, Peter Knapp, wobei sich deren Gestaltung auch auf Zeitschriften wie Elle und andere bezieht.
Wer diese Ausstellung, die einen Teil der großen Schweizer Grafikepoche zeigt, nicht besuchen kann, sollte wenigstens das hervorragend dokumentierende Katalogbuch erwerben:
Les Suisses de Paris – Grafik und Typografie
Museum für Gestaltung (Hg.)
Reihe »Sammeln heisst Forschen«
128 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Museum für Gestaltung, Zürich (Hg.) 2016
23 CHF
ISBN 978–3–907265–08–6
dada ist 100
Dada wurde Hundert und Marc Berger von der Edition Schwarzdruck hatte die Idee, seine Kollegen der Pressendrucker zu jeweils einem Blatt anzuregen. Was dabei herauskam ist sehr dada, voller neuer Ideen, die auf den Dada-Arbeiten beruhen. In Frauenfeld waren die Blätter etwas beengt in der sonst schönen Eisenbeiz (das Restaurant im Eisenwerk) zu sehen. Auch diese Ausstellung geht auf Tour und wird zunächst in Reimlingen, Horn (Österreich) und Hamburg zu sehen sein.
Ein Katalog mit sämtlichen abgebildeten Blättern ist erschienen und könnte den dada-Interessierten gefallen (siehe auch Buchbesprechungen im tgm-Blog »Auch dada wird Hundert« 9–2–2016)
Dada ist 100
Typografie, Letterpress & Grafik
72 Seiten, 210 × 210 mm
Broschur
Edition Schwarzdruck, Gransee
22 €
ISBN 978–3–935194–77–8
Frauenfelder Buch- und Kunstdruckmesse
Etwa 50 Pressendrucker, Kleinverlage und Werkstätten stellten ihre Arbeiten, hauptsächlich Bücher, aus. »Der Handpressendrucker negiert, nicht mit Worten, aber mit Tonnen von Bleisatz, wunderbarem Papier und anderer Handarbeit, die neue, ja heutige Zeit«, so Beat Brechbühl, der Initiator der Ausstellung. Ganz so ist es aber nicht, denn des öfteren waren nicht nur der traditionelle und hierfür dominierende Buchdruck zu sehen sondern auch Offset und sogar Digitaldruck. Im hauptsächlichen Bereich geht es aber um das Setzen und Drucken und fast immer auch um einen Anspruch an Literatur. Sicher ist damit auch eine gewisse handwerkliche Romantik des Blei-Setzens und des Druckens im Hochdruck verbunden. Wobei es für die Jüngeren oft schwierig wird, an die früheren handwerklichen Qualitäten heran zu kommen. So wird im Buchdruck manchmal gar zu herzhaft mit sehr viel Schattierung gedruckt (was eine fachgerechte Zurichtung vermeiden könnte). Doch findet man auch perfekt zugerichtete Seiten, wo alle Vorzüge des Buchdrucks zur Ge ltung kommen.
Verschiedene Ansätze führen zu ihren Ergebnissen. So gibt es ja sogar ein Buchkunst-Studium ganz im künstlerischen Sinn bei Professorin Sabine Golde in Halle. Die meisten Pressen sind jedoch die Arbeit von Individualisten, die mit ihren hauptsächlich typografischen Interpretationen präsent sind. Und da finden sich neben dem sorgfältigen traditionellen oder gar bibliophilem Buch auch Arbeiten, die der Avantgarde des 20. Jahrhunderts gewidmet scheinen oder eben, besonders interessant, wo experimentiert wird im eigentlichen Sinn.
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