Futura: Rückgriff auf die Antike, für die Zukunft gestaltet
Die Ausstellung im Gutenberg-Museum ist noch bis zum 30. April zu sehen. Das Buch »Futura. Die Schrift« wird länger Bestand haben und sei hier vorgestellt.
Es ist eine Reise um die Welt, die im Buch – wie auch in der Ausstellung – bildreich nachgezeichnet wird. Sie beginnt in Frankfurt am Main. Oder in München? Im Sommer 1924 besuchten die beiden Verleger Siegfried Buchenau und Jakob Hegner den damals schon bekannten Paul Renner in seinem Atelier in Pasing (1938 nach München eingemeindet). Im Verlauf des Gesprächs regte Hegner Renner an, die „Schrift unserer Zeit“ zu entwickeln. Seine Empfehlung fiel auf fruchtbaren Boden, Renner machte sich sofort an die Arbeit. Nachdem aus der geplanten Zusammenarbeit mit Hegner nichts geworden war, schickte er einige Zeichnungen an Georg Hartmann, den damaligen Leiter der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main. Bereits im Winter 1924/25 lagen die ersten Probeschnitte der „Ur-Futura“ vor, Ende 1927 erschienen der magere und der halbfette Schnitt. In den folgenden Jahren wurde die Futura-Familie weiter ausgebaut, besonders markant als Futura Black (1929) und als gerundete Titel-Futura (1932).
Die Mitherausgeberinnen Petra Eisele und Isabel Naegele gehen auf die Frankfurter Zeit ein und liefern einige neue Details. Renner war 1925 an die Frankfurter Kunstschule berufen worden und bewegte sich in einem Umfeld, das von Aufbruchstimmung und Schlagworten wie Typisierung und Sachlichkeit geprägt war. Unter der Überschrift „Zwischen Antike und Avantgarde“ beschreibt Naegele die Einflüsse, die in Renners Futura wirksam wurden. So wollte Renner als Kenner der Schriftgeschichte nicht „den Zirkel als Werkzeug verherrlichen“, wie es seiner Meinung nach die Konstruktivisten taten, „sondern die Form aus ihrer Formverwilderung zu ihren Ursprüngen zurückführen“, die für ihn in der „klassischen römischen Kapitalschrift“ lagen. In ihr sah er „die geistvollste Verbindung der geometrischen Grundform mit allen höheren Ansprüchen, die an eine Schrift zu stellen sind“. Die klassischen Formprinzipien übertrug er konsequent auch auf die Kleinbuchstaben – das war ungewöhnlich und führte zunächst zu allerlei extravaganten, auch unbrauchbaren Formen.
In Zusammenarbeit mit Heinrich Jost, dem künstlerischen Leiter der Bauerschen Gießerei und ehemaligen Schüler Renners, entstanden schließlich Formen, die nach optischen Gesichtspunkten überarbeitet wurden (um rund zu wirken, darf die Punze des O eben nicht mathematisch rund sein). So wurde eine auf das Wesentliche reduzierte Serifenlose mit optisch gleichen Strichstärken zum Inbegriff des Aufbruchs in die Moderne. Die Futura wurde aber nicht nur von avantgardistisch gesinnten Gestaltern verwendet, sondern auch von Gebrauchsgrafikern der alten Schule.
Die Futura fasste Fuß in Hannover, München, Berlin, Wien, Prag, Paris (wo sie Europe hieß), New York und sogar auf dem Mond. Die Grußbotschaft, die Neil A. Armstrong hier 1969 hinterließ, ist in Futura gesetzt. Auch dieses Kapitel gehört zur Erfolgsgeschichte der Futura, die von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Am Ende fügen sich die vielen Puzzlesteine zu einem großen Bild, das die Entwicklung des Grafikdesigns im Europa der 1930er Jahre zeigt, die nach 1945 in den USA ihren Einfluss ausübte.
Schlüssiges Gesamtkonzept
Fünfzehn Autorinnen und Autoren haben Texte beigesteuert, neben den Herausgeberinnen Annette Ludwig, Petra Eisele und Isabel Naegele unter anderem Christopher Burke, Steven Heller und Wolfgang Hartmann, der Enkel des ehemaligen Gießerei-Direktors Georg Hartmann. Isabel Naegele hat zusammen mit der Alumna Stephanie Kaplan die Gestaltung des bildgewaltigen Buches übernommen. Ein Farbleitsystem kennzeichnet die Stationen der Reise, es gibt Einführungstexte auf farbigem Papier in großer Schrift, Zitatseiten und Haupttexte in Lesegröße, in zweispaltigem, gut durchschossenem Flattersatz. Es zeigt sich, dass die Futura bei entsprechendem Layout auch für den Werksatz geeignet ist. Das Buch lädt sowohl zum Lesen als auch zum Betrachten ein. Vergleichsmöglichkeiten bieten die 48 Seiten auf 70 g Papier mit Mustern der verschiedenen Futura-Schnitte. Der umfangreiche Anhang enthält unter anderem ein Register und eine bebilderte Chronik von 1867 bis 2015 sowie eine ganze Seite mit Danksagungen, denn ein solches Projekt ist Teamarbeit, nicht zuletzt stammen die Exponate von Leihgebern aus aller Welt.
Ein Schwergewicht von über 500 Seiten liegt vor. Leicht und elegant dagegen wirken die silberfoliengeprägten Versalzeilen auf dem zartmintgrünen Einband, der Kopfschnitt schimmert mondsilbrig. Das stimmige Gesamtkonzept vereint lesenswerte Texte und eine Fülle abwechslungsreichen Bildmaterials – insgesamt eine gelungene Hommage an einen Klassiker der Moderne, der außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt sein dürfte.
In einer zweiten Auflage sollten einige Satzfehler korrigiert werden; auch ist nicht nachvollziehbar, warum im Firmennamen Bauersche Gießerei konsequent ein Doppel-s statt des Eszetts erscheint. Die Firma selbst hat in ihren Anzeigen im Versalsatz das ß stets regelkonform in ein Doppel-s aufgelöst, im Fließtext aber ß gesetzt.
Hrsg. v. Petra Eisele, Annette Ludwig, Isabel Naegele
Futura. Die Schrift
Hermann Schmidt, 2016, Mainz
520 Seiten, viele Abbildungen. Fadengehefteter Festeinband mit Folienprägung und silbernem Kopfschnitt. 17,3 × 24 cm, 50 €
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