Die Bahn aus einem Guss
Früher war die Deutsche Bahn mit über 800 verschiedenen zugehörigen Bahnbetreibern vielmehr die »Bunte Bahn«: eine farbenfrohe Mischung verschiedenster Logos und Auftritte. »Die Bahn aus einem Guss« – das war Henzes erklärtes Ziel.
Mit seinem Team von rund 20 Mitarbeitern hat er die Markenarchitektur des Unternehmens neu geschaffen, ein stringentes Corporate Design entworfen und dessen Umsetzung in Kommunikations- und Produktdesign vorangetrieben. Dass es nicht einfach sein würde, einem omnipräsenten, weltweit agierenden Unternehmen mit über 300.000 Mitarbeitern ein neues Gesicht zu geben, stand außer Frage. Doch mit der Skepsis aus den eigenen Reihen hatte Henze nicht gerechnet: Als Chef des »Kosmetikstudios der Deutschen Bahn« dürfe er nicht glauben, dass das neue Corporate »Disein auch nur einen Kunden mehr bringt«.
Verhaltene Freude brachten ihm auch die rund 120 Agenturen entgegen, die im Auftrag der Bundesbahn Broschüren und Infomaterialien erstellen. Henze belegte sie mit Regeln für das Layout im Sinne des neuen Corporate Designs, um einen Wiedererkennungseffekt bei Printerzeugnissen zu gewährleisten. Der Kreativchef steht zu dieser Einschränkung von Gestaltungsspielraum, schließlich könne man nicht vor jedem Fußballspiel erneut diskutieren, wie breit das Tor diesmal sein dürfe. Zudem wird nur auf diese Weise Identität und darüber hinaus Identifikation mit einem Unternehmen erzielt, das von außen oft auf den Bereich »Personenverkehr« reduziert wird, während die Schwerpunkte »Schienennetz« und »Güterverkehr« eigentlich weit größeren Raum einnehmen.
Doch Henze wollte mehr und überzeugte den damaligen Bahnchef Mehdorn von der Notwendigkeit einer eigenen Hausschrift. Gemeinsam mit Erik Spiekermann begann man, »etwas Eigenes« zu entwickeln. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten (Henze: »Nach einem Jahr haben wir alle Entwürfe weggeworfen und neu angefangen«) und der Klärung essentieller Fragen (»Wie aggressiv darf ein W sein, wie europäisch ein P?«) wurde 2005 die »DB Type« eingeführt.
Henze hat für die Deutsche Bahn viel erreicht, sieht aber auch noch Potenzial. Dabei kämpft er stets mit der Tatsache, dass Innovationen, die er heute anstößt, frühestens in eineinhalb Jahren spürbar werden. In dieser Zeit kann sich aber viel ändern, weshalb eine »leistungsstarke Kristallkugel« ganz oben auf Henzes Wunschliste steht.
Im Vorprogramm: Christoph Dunst und seine Schriftfamilie Heimat
Christoph Dunsts (Atlas Font Foundry / burodunst.com) zweite große Schriftfamilie nach der Novel heißt »Heimat«. In der 2010 erschienenen Schrift beschäftigt sich der Absolvent aus Den Haag mit der geometrischen Serifenlosen und schafft durch zahlreiche besondere Glyphenformen ein charaktervolles, neues Schriftbild. Pate standen dabei merkwürdig abstrahierte Glyphen, wie die fl-Ligatur der Futura. Interessant ist dabei, dass die teilweise etwas irritierenden Zeichen durch gewöhnlichere Alternativen ausgewechselt werden können und somit die Gesamtwirkung vom Anwender selbst gesteuert werden kann. Die Heimat gibt es derzeit in 6 Gewichten mit zugehörigen Kursiven, eine Monospaced-Variante ist in Arbeit.
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Olaf Leu wird 85. Ein Schriftsetzer, Designer, Typograf, Professor, Autor und gefragtes Jurymitglied. Als einer der wenigen Werber machte er sich auch in den USA einen Namen. Kurz: »Typo-Papst« und natürlich tgm-Ehrenmitglied. Es ist nicht einfach, Leus umfangreiches Wirken in einem kurzen Beitrag zu würdigen. Wir lassen daher zuerst zwei große Koryphäen zu Wort kommen.