Renaissance als wunderbare Erinnerung
Das Buch von Tobias Roth, ein Foliant, liegt vor mir. Und aufgrund der Dimensionen und des Gewichts benötigt es einen Tisch. Doch bevor ich zur Buchgestaltung komme, möchte ich zunächst auf die Grundsätze des Buches eingehen.
Das Buch wird in der Tagespresse bereits gut besprochen und wird zurecht gelobt. Es handelt sich um Texte wichtiger Autoren der Renaissance aus verschiedenen Bereichen, sortiert nach den Geburtsjahren der Autoren. Und so vermittelt die Textauswahl von Tobias Roth einen kontinuierlichen Eindruck, der zuvor kaum zustande kommen konnte. Vor Jahren beschäftigte ich mich mit der Kunst der Renaissance anhand zweier Werke aus dem Wagenbach Verlag (Peter Burke: »Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung« und »Italienische Kunst. Eine neue Sicht auf ihre Geschichte«, Wagenbach, Berlin 1984 und 1988). Dabei suchte ich nach Informationen zum Buch dieser Zeit, die auch die Zeit der Inkunabeln umfasst. Diese finde ich jedoch erst bei Tobias Roth, in einem üppigen Stil. Außerdem hat Roth von allen der hier versammelten Autoren knappe, aber sehr informative Biografien geschrieben.
Ich blättere natürlich sofort zu Aldo Manuzio, dem ersten Verleger. Die klar erzählte Biografie zeigt Manuzio als einen gut vernetzten Intellektuellen. Und zum Bekanntenkreis gehörten auch die aus Deutschland stammenden Drucker Pannartz und Sweynheim, die wohl die erste Druckerei in Italien im Kloster Subiaco betrieben hatten. In Venedig waren die ersten Drucker ebenfalls Deutsche, nämlich Johannes und Wendelin aus Speyer. Manuzio kommt nach Venedig und findet dort zahlreiche Gelehrte und vor allem einzigartige Bibliotheken. Im Text tauchen u. a. Namen auf wie Pietro Bembo und Erasmus von Rotterdam. Den Verweis auf die ebenfalls im Buch beschriebenen Persönlichkeiten muss man allerdings über das Register finden. Querverweise waren bereits in der Renaissance besser gelöst als hier. Es folgen jeweils eine Auswahl von Originaltexten, die ins Deutsche übersetzt sind. Und fast ausschließlich werden hierzu Buchseiten der jeweiligen Ausgaben abgebildet, ein besonderer Fundus. Man kann die Schrift und Typografie zwar gut erkennen. Aber bisweilen wirken die Reproduktionen leider etwas »verschmiert«, ähnlich einer Fotokopierästhetik der 70er-Jahre.
Und jetzt müsste ich ein paar begeisterte Seiten über die Inhalte der einzelnen Renaissance-Autoren schreiben, was nicht zu meiner Kompetenz gehört. Begeistert habe ich mich eingefunden in die Welt von Petrarca, Boccaccio, Albert, Colonna, Aretino, Vasari, um nur einige wenige zu nennen. Das Buch wird mich noch einige Zeit begleiten und beschäftigen. Und das trotz einiger buchgestalterischer Vorbehalte.
Gut gesetzt ist das Buch aus der Schrift Polyphilus und für eine Kursive der Blado. Die passen vorzüglich zum Inhalt, denn sie stammen 1499 von Aldus Manutius und Francesco Griffo in Venedig. 1923 hat die Monotype beide Schriften für den Bleisatz herausgebracht und darauf basiert letzthin die heutige digitale Version. Das große Buchformat erinnert an Renaissance-Codici. Die Buchgestaltung ist zurückhaltend. Die Bücher des Renaissance-Humanismus waren, was die typografische Gestaltung betrifft, damals schon viel funktionaler und interessanter. Beim Buchformat entsteht die Frage, warum das Format so groß (220 × 305 mm) sein muss. Ich finde keinen Grund. Für die Handhabung wäre ein kleineres Format und dann in zwei Bänden angenehmer. Zudem in dieser Zeit der Renaissance bereits die Aldinen, nämlich kleinformatige Lesebücher erfunden waren. Warum spielen diese Aspekte der Kulturgeschichte in der heutigen Buchgestaltung keine Rolle? Schade, vor allem bei der überwältigenden Fülle der Inhalte.
Tobias Roth
Welt der Renaissance
640 Seiten
220 × 305 mm
Leinen
Verlag Galiani, Berlin 2020
89 Euro
ISBN: 978–3–462–30241–7
Zum Kernthema von Typografen, nämlich der Schrift und der Buchtypografie in der Renaissance darf ich noch auf folgende durchaus ältere Bücher hinweisen:
Frantisèk Muzika: Die schöne Schrift. Prag und Hanau 1965. Hier besonders im Band 2 das große Kapitel »Die Lateinschrift der Renaissance und die Renaissancetypen«.
Albert Kapr: Schriftkunst. VEB Verlag der Kunst, Dresden 1971. Das Kapitel »Die Schriften der Renaissance«.
Als die Lettern laufen lernten. Medienwandel im 15. Jahrhundert. Inkunabeln aus der Bayerischen Staatsbibliothek. Reichert Verlag, Wiesbaden 2009.
Ulrich Johannes Schneider (Hrsg): Textkünste. Buchrevolution um 1500. Philip von Zabern, Darmstadt 2016. Hier wird besonders auf die typografischen Details dieser Buchepoche eingegangen. Siehe auch Besprechung im tgm-Blog vom 3. Dezember 2016.
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