typographische
zitate
Gute Typo­grafie erklärt den Inhalt, nicht den Gestalter.
Kurt Weidemann

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Goethe­straße 28 Rgb.
80336 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Die Faszination von Buchhandlungen

Rudolf Paulus Gorbach
27. August 2020
Gestalter und besonders Typo­grafen mit Hang zur Buch­ge­staltung findet man oft recht glücklich stöbernd in Buch­hand­lungen vor. Und wenn die Buch­handlung dann noch besonders »schön« ist, kann das Glück sehr groß sein. Zwei Bild-Text-Bücher stelle ich hier gegenüber, zum gleichen Thema, aber in der Art sind sie sehr unter­schiedlich.

Es handelt sich um einen gestal­te­rischen Vergleich zweier Bücher und keine herkömmliche Buch­be­sprechung. Beide Bücher sind sorg­fältig bear­beitet und gestaltet und zudem inter­essant zu lesen und anzusehen.

1) Do You Read me? Besondere Buchläden und ihre Geschichten
2) Buch­hand­lungen. Eine Liebes­er­klärung

Erster Eindruck

1) Do You Read Me: Ein Bild-Text-Buch, Sachbuch-artig, sehr dichter Inhalt. Der Titel »Do You Read me?« würde mich zunächst nicht darauf bringen, dass es sich um ein Buch über Buch­hand­lungen handelt.
2) Buch­hand­lungen: Groß­zügiges, eher künst­lerisch anmu­tendes Buch. Visuell sind die Fotos dominant.

Inhalt­liches Konzept

1) Do You Read Me: Reportagen zu 63 inter­na­ti­onalen inhaltlich schönen Buch­hand­lungen, unter­brochen durch 5 Essays.
2) Buch­hand­lungen: 47 inter­na­tionale Buch­hand­lungen wurden besucht und für das Buch ausgewählt. Die Inhaber der Buch­hand­lungen beschreiben jeweils ihre Buch­handlung selbst.

Fotos

1) Do You Read me: Die Fotos stammen von verschiedenen Foto­grafen und wurden vermutlich in der Redaktion des Verlags ausgewählt und zusam­men­ge­stellt.
2) Buch­hand­lungen: Alle Fotos stammen von Horst A. Friedrichs, was dem Buch trotz der Verschie­den­ar­tigkeit der Buch­hand­lungen einen geschlos­seneren Charakter gibt. Die Auswahl geschah zwischen den beiden Autoren und dem Gestalter Lars Harmsen.

Layout

1) Do You Read me: In der Basis zwei­spaltig, jedoch in der Höhe eher indi­viduell, also kein strenger Raster. Der Sach­buch­cha­rakter wird gefordert und zudem betont durch Über­schrift, Untertitel, Vorspann, Text, Bild­le­genden, Bilder in verschiedenen Formaten und auffällige Pagina. Bilder werden wahlweise auch in den Beschnitt gestellt. Sehr große Binne­n­ab­stände auf den Seiten. Die Doppel­sei­ten­ge­staltung wirkt bisweilen nicht harmonisch.
2) Buch­hand­lungen: Im Wesent­lichen ganz­seitige und halb­seitige Fotos. Jede Buch­handlung beginnt auf der linken Seite mit ihrem Namen als Über­schrift und es folgt ein knapper Text. Ort und Eröffnung findet man dort als eine Art Kolum­nentitel. Ein echter lebender Kolum­nentitel (Fußtitel) steht jeweils unten auf der linken Seite.

Schriften

1) Do You Read me: Saol Text (Florian Schick), Lauri Toikka, Editorial New (Mathieu Desjardins). Die Text­schrift wirkt dünn, obwohl sie einen für die Seite sehr großen Schriftgrad benützt. Viel­leicht ist auch der Zeile­n­abstand zu gering? Das dünne, zu leichte setzt sich in den Hedlines und Vorspann fort. Es fehlt an »Körper«. Zur Schriftwahl schrieb mir der Gestalter Stefan Morgner und zog nach meiner Veröf­fent­lichung seine Aussage wieder zurück. Das muss hier nicht kommentiert werden.

2) Buch­hand­lungen: Madison Antiqua Pro Regular, Noe Text Book (Schick Toikka), Suisse Int`Book. Die Text­schrift wirkt selbst­ver­ständlich, gute Laufweite, ange­nehmer Zeile­n­abstand.

Zur Schriftwahl schreibt der Gestalter Lars Harmsen:
»Grund­sätzlich mag ich Schriften mixen, um Spannung zu erzeugen. An der Madison (Linotype) mag ich die inter­essante x-Höhe, die ausge­prägten Serifen… und den 60ies Style …. Das macht diese Schrift lebendig, ohne zu stressen. Der Noe (Schick Toikka) dagegen bin ich immer wieder verfallen. Hier ist sie eine gute, ausdrucks­starke Schwester zur Madison. Durch den Einsatz in der Headline werden ihre Kanten und scharfen Ecken deutlich. Für die nüchterne, »trockene« Info von Ort und Seitenzahl dann eben eine Helvetica (pardon, Suisse von Swiss Typefaces). Ich fand sie passen gut zusammen in diesem Buch über Bücher und zu diesen Menschen, die mit absoluter Leiden­schaft einen Beruf machen, den es hoffentlich noch lange geben wird. Die Buch­hand­lungen sind eben auch oft aus einer anderen Zeit, dort herrscht ein eigen­williger Geist und keine Buch­handlung gleicht der anderen«.

Beide Gestalter argu­men­tieren für Schrift­mi­schungen. Wäre bei Struktur und Menge des Textes nicht eine Schrift ausreichend und damit für die Gestaltung klarer?

Typo­grafie

1) Do You Read me: Der Sach­buch­cha­rakter macht das Buch sehr lebendig und etwas unruhig. Die durchwegs zu großen Schriftgrade verstärken dies. Die Einzüge im Text sind etwas zu tief für eine flüssige Lesbarkeit.
2) Buch­hand­lungen: Harmonisch, trotz der Schrift­mi­schungen. Größen­ver­hätnisse der einzelnen Elemente logisch wirkend, angenehme Propor­tionen. Doch sind die Einzüge im Text zu tief.

Druck und Papier

1) Do You Read me: Matt­ge­stri­chenes Papier, der Druck (oder die Bildrepro) ist nicht immer brillant. Das kann auch an dem viel­fältigen Bild­ma­terial liegen.
2) Buch­hand­lungen: Papier Condat matt, aber immer noch eine gewisse positive »Glätte«. Hervor­ra­gender Druck von gut opti­mierten Bild­dateien (Reproline Mediateam).

Cover und Ausstattung

1) Do You Read me: Nicht nur durch den Titel, auch durch die grafische Aufmachung könnte man ein ganz anderes Buch erwarten. Wobei hier der eigentliche Buchinhalt viel konkreter wirkt. Das Vorsatz setzt das fort und man hat den Eindruck, dass das Außen mit dem Innen des Buches wenig zu tun hat. Der Buch­rücken in Farbe gestellt, als wäre das etwas Mate­ri­al­haftes, gibt eher den Eindruck einer Imitation für eine andere Mate­ri­alität. Der gerundete Rücken entspricht dem Gewicht des Buches und dem Blät­ter­ver­halten.
2) Buch­hand­lungen: Das Halb­leinen gibt dem Buch den Eindruck eines wichtigen Kunst­pro­jektes. Das Titelbild erlaubt keine zusätzliche Schrift. Die gestürzte Tite­l­an­ordnung auf dem breiten Leinen­streifen passt nicht zum Buch, wirkt nicht organisch. Ein schönes Vorsatz, aber leider nur einseitig bedruckt, wobei dadurch der Eindruck eines Vorsatz­blattes gestört wird. Ein prak­tisches Leseband ist vorhanden. Leider ein gerader Buch­rücken. Das sieht zwar gut aus, läßt den Buchblock mit der Zeit aber nach unten sinken.

1) Marianne Julia Strauss & gestalten
Do You Read Me?
Besondere Buchläden und ihre Geschichten
272 Seiten
210 × 260 mm
272 Seiten mit ca. 300 Fotos
Hardcover
gestalten Berlin 2o2o
39,90 Euro
ISBN 978–3–89955–884–5

2) Horst A. Friedrichs, Stuart Husband
Buch­hand­lungen. Eine Liebes­er­klärung
256 Seiten
240 × 280 mm mit 240 Abbil­dungen
Halb­leinen
Prestel Verlag, München 2020
36 Euro
ISBN 978–3–7913–8580–8

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Buch­ge­staltung in Deut­schland

Michael Bundscherer

Schon mehrmals haben wir Titel der Buchreihe »Ästhetik des Buches« im Wallstein Verlag hier im Blog rezensiert – es ist also kein Geheimnis, dass wir von dieser recht angetan sind.

»Buchgestaltung in Deutschland« von Silvia Werfel
Branche

Symposium zur Buch­ge­staltung in Bielefeld

Rudolf Paulus Gorbach

Das Institut für Buch­ge­staltung (IFB) veran­staltet am 28. Oktober 2022 in Bielefeld ein eintägiges Symposium zur Buch­ge­staltung. Es richtet sich an Studierende und Freunde der Buch­ge­staltung und des schönen Buches. Eingeladen sind Podi­umsgäste aus Lehre, Forschung und Praxis, die einen zeit- und medi­en­kri­tischen Blick teilen.

Buchbesprechung

Aus Forssmans Werkstatt

Rudolf Paulus Gorbach

In der wunderbaren Reihe »Ästhetik des Buches«, heraus­gegeben von Klaus Detjen, ist Friedrich Forsmanns Buch »Wie ich Bücher gestalte« erschienen. Es ist ein wohl­do­sierter Werk­statt­bericht aus der Praxis und der Denkweise des Buch­ge­stalters.

Friedrich Forssmann: Wie ich Bücher gestalte
Buchbesprechung

Das Buch der schönsten Bücher

Oliver Linke

Mathieu Lommen sitzt auf einem Schatz: Er ist der »Kurator für Grafik­design« der Sonder­samm­lungen der Univer­si­täts­bi­bliothek Amsterdam und somit Herr über satte 25.000 Regalmeter groß­artiger Buch­be­stände, wie zum Beispiel die der Bibliotheek van het Boekenvak (Bibliothek des Buch­wesens) oder der Sammlung Tetterode (Typo­gra­fischen Bibliothek der Schrift­gießerei Amsterdam). Das Besondere: Hier werden Bücher nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern auch wegen ihrer Gestaltung gesammelt.