Die Faszination von Buchhandlungen
Es handelt sich um einen gestalterischen Vergleich zweier Bücher und keine herkömmliche Buchbesprechung. Beide Bücher sind sorgfältig bearbeitet und gestaltet und zudem interessant zu lesen und anzusehen.
1) Do You Read me? Besondere Buchläden und ihre Geschichten
2) Buchhandlungen. Eine Liebeserklärung
Erster Eindruck
1) Do You Read Me: Ein Bild-Text-Buch, Sachbuch-artig, sehr dichter Inhalt. Der Titel »Do You Read me?« würde mich zunächst nicht darauf bringen, dass es sich um ein Buch über Buchhandlungen handelt.
2) Buchhandlungen: Großzügiges, eher künstlerisch anmutendes Buch. Visuell sind die Fotos dominant.
Inhaltliches Konzept
1) Do You Read Me: Reportagen zu 63 internationalen inhaltlich schönen Buchhandlungen, unterbrochen durch 5 Essays.
2) Buchhandlungen: 47 internationale Buchhandlungen wurden besucht und für das Buch ausgewählt. Die Inhaber der Buchhandlungen beschreiben jeweils ihre Buchhandlung selbst.
Fotos
1) Do You Read me: Die Fotos stammen von verschiedenen Fotografen und wurden vermutlich in der Redaktion des Verlags ausgewählt und zusammengestellt.
2) Buchhandlungen: Alle Fotos stammen von Horst A. Friedrichs, was dem Buch trotz der Verschiedenartigkeit der Buchhandlungen einen geschlosseneren Charakter gibt. Die Auswahl geschah zwischen den beiden Autoren und dem Gestalter Lars Harmsen.
Layout
1) Do You Read me: In der Basis zweispaltig, jedoch in der Höhe eher individuell, also kein strenger Raster. Der Sachbuchcharakter wird gefordert und zudem betont durch Überschrift, Untertitel, Vorspann, Text, Bildlegenden, Bilder in verschiedenen Formaten und auffällige Pagina. Bilder werden wahlweise auch in den Beschnitt gestellt. Sehr große Binnenabstände auf den Seiten. Die Doppelseitengestaltung wirkt bisweilen nicht harmonisch.
2) Buchhandlungen: Im Wesentlichen ganzseitige und halbseitige Fotos. Jede Buchhandlung beginnt auf der linken Seite mit ihrem Namen als Überschrift und es folgt ein knapper Text. Ort und Eröffnung findet man dort als eine Art Kolumnentitel. Ein echter lebender Kolumnentitel (Fußtitel) steht jeweils unten auf der linken Seite.
Schriften
1) Do You Read me: Saol Text (Florian Schick), Lauri Toikka, Editorial New (Mathieu Desjardins). Die Textschrift wirkt dünn, obwohl sie einen für die Seite sehr großen Schriftgrad benützt. Vielleicht ist auch der Zeilenabstand zu gering? Das dünne, zu leichte setzt sich in den Hedlines und Vorspann fort. Es fehlt an »Körper«. Zur Schriftwahl schrieb mir der Gestalter Stefan Morgner und zog nach meiner Veröffentlichung seine Aussage wieder zurück. Das muss hier nicht kommentiert werden.
2) Buchhandlungen: Madison Antiqua Pro Regular, Noe Text Book (Schick Toikka), Suisse Int`Book. Die Textschrift wirkt selbstverständlich, gute Laufweite, angenehmer Zeilenabstand.
Zur Schriftwahl schreibt der Gestalter Lars Harmsen:
»Grundsätzlich mag ich Schriften mixen, um Spannung zu erzeugen. An der Madison (Linotype) mag ich die interessante x-Höhe, die ausgeprägten Serifen… und den 60ies Style …. Das macht diese Schrift lebendig, ohne zu stressen. Der Noe (Schick Toikka) dagegen bin ich immer wieder verfallen. Hier ist sie eine gute, ausdrucksstarke Schwester zur Madison. Durch den Einsatz in der Headline werden ihre Kanten und scharfen Ecken deutlich. Für die nüchterne, »trockene« Info von Ort und Seitenzahl dann eben eine Helvetica (pardon, Suisse von Swiss Typefaces). Ich fand sie passen gut zusammen in diesem Buch über Bücher und zu diesen Menschen, die mit absoluter Leidenschaft einen Beruf machen, den es hoffentlich noch lange geben wird. Die Buchhandlungen sind eben auch oft aus einer anderen Zeit, dort herrscht ein eigenwilliger Geist und keine Buchhandlung gleicht der anderen«.
Beide Gestalter argumentieren für Schriftmischungen. Wäre bei Struktur und Menge des Textes nicht eine Schrift ausreichend und damit für die Gestaltung klarer?
Typografie
1) Do You Read me: Der Sachbuchcharakter macht das Buch sehr lebendig und etwas unruhig. Die durchwegs zu großen Schriftgrade verstärken dies. Die Einzüge im Text sind etwas zu tief für eine flüssige Lesbarkeit.
2) Buchhandlungen: Harmonisch, trotz der Schriftmischungen. Größenverhätnisse der einzelnen Elemente logisch wirkend, angenehme Proportionen. Doch sind die Einzüge im Text zu tief.
Druck und Papier
1) Do You Read me: Mattgestrichenes Papier, der Druck (oder die Bildrepro) ist nicht immer brillant. Das kann auch an dem vielfältigen Bildmaterial liegen.
2) Buchhandlungen: Papier Condat matt, aber immer noch eine gewisse positive »Glätte«. Hervorragender Druck von gut optimierten Bilddateien (Reproline Mediateam).
Cover und Ausstattung
1) Do You Read me: Nicht nur durch den Titel, auch durch die grafische Aufmachung könnte man ein ganz anderes Buch erwarten. Wobei hier der eigentliche Buchinhalt viel konkreter wirkt. Das Vorsatz setzt das fort und man hat den Eindruck, dass das Außen mit dem Innen des Buches wenig zu tun hat. Der Buchrücken in Farbe gestellt, als wäre das etwas Materialhaftes, gibt eher den Eindruck einer Imitation für eine andere Materialität. Der gerundete Rücken entspricht dem Gewicht des Buches und dem Blätterverhalten.
2) Buchhandlungen: Das Halbleinen gibt dem Buch den Eindruck eines wichtigen Kunstprojektes. Das Titelbild erlaubt keine zusätzliche Schrift. Die gestürzte Titelanordnung auf dem breiten Leinenstreifen passt nicht zum Buch, wirkt nicht organisch. Ein schönes Vorsatz, aber leider nur einseitig bedruckt, wobei dadurch der Eindruck eines Vorsatzblattes gestört wird. Ein praktisches Leseband ist vorhanden. Leider ein gerader Buchrücken. Das sieht zwar gut aus, läßt den Buchblock mit der Zeit aber nach unten sinken.
1) Marianne Julia Strauss & gestalten
Do You Read Me?
Besondere Buchläden und ihre Geschichten
272 Seiten
210 × 260 mm
272 Seiten mit ca. 300 Fotos
Hardcover
gestalten Berlin 2o2o
39,90 Euro
ISBN 978–3–89955–884–5
2) Horst A. Friedrichs, Stuart Husband
Buchhandlungen. Eine Liebeserklärung
256 Seiten
240 × 280 mm mit 240 Abbildungen
Halbleinen
Prestel Verlag, München 2020
36 Euro
ISBN 978–3–7913–8580–8
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