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Serifen im Kaffee­satz: Ein Typograf packt aus

Michi Bundscherer
28. Mai 2024
Die Welt des Designs ist bekanntlich wild und gefährlich: unvor­her­sehbare Druckerstaus, verschwundene Dateien, Farb­profil- und Schrift­­kon­flikte und die Jagd nach dem perfekt ausba­lan­cierten Weißraum.
Ein KI-generiertes Bild eines Vespafahrers. Die Vespa fährt auf den Betrachter zu, der Helm ist aber um 180 Grad gedreht und zeigt nach hinten.
»Künstliche Intelligenz« kann einem im Bodoni-Land auf einem schattenlosen Roller auch mal den Kopf verdrehen.

Da bin ich also, in meinem Hoodie (mit einem gebü­gelten Hemd würde man als Kreativer vermutlich gar nicht erkannt werden). Bereit, die Welt der Buch­staben zu erobern. Erst einmal Kaffee, sonst komme ich nicht in Fahrt.

Erstes Highlight des Tages: schon wieder der Drucker. Dieses tempe­ra­mentvolle Biest, das Launen hat wie eine Filmdiva. Zuerst wird das dicke Papier nicht richtig eingezogen, dann gibt es einen Papierstau. »Bitte, bitte, heute keine Streifen auf dem A3-Print.« Spoiler: Es gibt immer Streifen.

Dann der Moment, wenn die Kundin dir ihre Wünsche erklärt – eigentlich kommt ›Kunde‹ ja von ›kundig‹, aber wir wissen alle, wie das in der Realität aussieht. Es gab zwar aus Zeit­gründen kein vernünftiges Briefing, aber so hat man sich das nicht vorge­stellt. »Ich möchte etwas Modernes, aber auch Zeitloses, etwas Auffälliges, aber nicht ober­flächig, und es soll beim ersten Blick ›poppen‹! Viel­leicht eine Mischung aus Entwurf 2, 3 und 5? Es muss in Google halt gut aussehen. Oder probiere doch einfach mal was ganz Neues aus. Verstehst du, was ich meine?« Klar, Gedan­kenlesen ist mein Business. Ich nicke, lächle und denke: »Sagte sie gerade wirklich poppen? Viel­leicht … irgend etwas … in Warhols Pop-Art-Stil?«

Es folgt das endlose Spiel: »Ich glaube, der Abstand zwischen dem ›T‹ und dem ›A‹ ist um 0,003 mm zu groß. Oder zu klein, weiß nicht. Kannst du mal gucken?« Ich zücke meinen Faden­zähler. Was wäre ein Grafiker ohne sein präzi­sestes Werkzeug, das ich fast immer bei mir habe? Fast so wichtig wie der Kaffee – hm, schon wieder kalt. Ich schenke mir noch mal nach.

Jetzt habe ich es: ›Auf­trag­geber‹ ist das bessere Wort statt ›Kunde‹. Also weniger »ich bin ›kundig‹ und weiß, was Sache ist«, sondern eher »ich gebe dir als Fachkraft den ›Auftrag‹, mich durch dieses Chaos zu führen«. Wenn der Anfangs ratlose Auftraggeber bei der Präsen­tation dann das Gefühl bekommt, doch kundig zu sein, dann war es schießlich auch für mich wieder ein guter Tag im Office.

Die Flut der E-Mails scheint endlos zu werden. Ein Blick auf die Uhr: Noch nicht einmal Zeit für Mittagspause. Ich hätte jetzt Lust auf Wochenende. Während ich eben in die Welt der Seri­fen­schriften abge­taucht bin fällt mir mein Kaffee ein. Er hat sich still in Eiskaffee verwandelt.

Die Bodoni! Es gibt besser leserliche Inter­pre­ta­tionen, doch bei der ›Bauer Bodoni‹ ist jede Kurve ein Flirt, jede spitze Dach-Serife wie ein Augen­zwinkern. Eine Schrift wie ein maßge­schnei­derter italie­nischer Anzug – elegant und doch mit einem Hauch von Dramatik. Ich stelle mir vor, wie ich mit meiner Vespa vorbei an aufge­heizten, antiken Säulen und durch schat­ten­­­s­pen­denden Zypres­sen­­alleen fahre. So in etwa fühlt sich Bodoni an (manchmal viel­leicht noch ein bisschen dunkler). Wenn sie also die elegante Itali­enerin ist, dann ist die Baskerville mit ihrer ausge­gli­chenen Struktur und der seriösen, aber dennoch freund­lichen Ausstrahlung der britische Gentleman unter den Seri­fen­schriften. Giam­battista Bodoni wollte mit Mitte 20 zu John Baskerville reisen um sein Werk besser studieren zu können. Als er unterwegs an Malaria erkrankte, musste er in Nord­i­talien Halt machen und über­f­lügelte nach seiner Genesung von dort aus schnell all seine Mentoren. Wie lange braucht man eigentlich mit der Vespa von Rom nach Birmingham?

Ich glaube, es gibt gar keine richtig traurige Schriftarten. Gerade finde ich die recht neue Schrift­familie, besser Schriftsippe Adelle recht inter­essant. Sie vereint Robustheit mit einer anmutigen Eleganz, was ihr einen starken und dennoch zugäng­lichen Charakter verleiht – wie ein fester, warmer Händedruck. Bei solchen modernen profes­si­o­nellen Schriften macht es schon Spaß, sich einfach die vielen verschiedenen Schrift­schnitte anzusehen und die OT-Funk­tionen auszu­pro­bieren. Es gibt sie nicht nur mit Serifen, sondern auch in einer seri­fenlosen und sogar monospaced Version. Und sie kann neben Kyrillisch auch Armenisch, Thai, Kore­anisch … Das hat nicht einmal mein Freund Giam­battista Bodoni in seinem Lebenswerk, dem ›Manuale Tipo­grafico‹, in diesem Umfang hinbe­kommen. (Heute sind die Tools aber auch einfacher zu handhaben.) Von Schriften wie die von Ulrike Rausch oder auch die raum­grei­fenden Letterings von Chris Campe hätte man sich in der Typo­grafie noch vor wenigen Jahren nicht zu träumen gewagt. Eine Stimme sagt: »Sind die Korrekturen schon umgesetzt?« Was? Ja, müsste gleich vorliegen. Ich mach schnell die Korrektur-PDF auf – sie bein­haltet um 90 ° gedrehte Fotos von voll­ge­krit­zelten Ausdrucken. Es sollen jetzt also 49 faden­ge­bundene Seiten werden?

Trotz all dieser wunderbaren Heraus­­for­de­rungen – am Ende eines langen Tages sitzt man da. Schaut sich sein Werk an. Und denkt: »Es ist doch noch immer nicht ›perfekt‹ – viel­leicht sollte ich ein paar weitere Ideen auspro­bieren?« Ande­rer­seits: Es ist schon wirklich ›gut‹! »Viel­leicht ist ›gut‹ für heute auch einfach ›gut genug‹.« Dass ich dem Kunden heimlich (manuell) ausge­glichene Headlines unter­ge­jubelt habe bleibt unter uns – würde sowieso niemand bezahlen.

Ich stelle fest, dass ich ja schon in meinem kuscheligen Hoodie stecke und es hiermit, jetzt, langsam, offiziell, Zeit ist, den kalten Kaffee gegen ein kühles Feier­aben­d­bier einzu­t­auschen. Oder habe ich mir heute einen nord­­­­⁠⁠⁠­i­ta­lie­nischen Rotwein verdient? Das Leben ist schön!

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