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Buchbesprechung

Seitenweise erscheinen uns die Bücher

Rudolf Paulus Gorbach
30. Oktober 2011
Die Diskussion über das (Nicht-)Ende des gedruckten Buches ist schon endlos geworden, aber auch ziemlich fruchtbar. Der Bundes­pres­se­dienst der Republik Österreich hat diese Diskussion mit einer umfang­reichen Aufsatz­sammlung bereichert, die die Frage stellt, was das Buch ist.

Natürlich gibt es eine Formu­lierung der UNESCO aus dem Jahr 1964, dass das Buch eine gedruckte, der Öffent­lichkeit verfügbar gemachte, nicht peri­odische Veröf­fent­lichung mit – zuzüglich der Umschlag­seiten – mindestens 49 Seiten Umfang. Eine Erwei­terung zum digitalen Buch hin fehlt noch.

Die Beiträge werden von den Heraus­gebern in thema­tischen Kapiteln in einer Art »Lauf­zettel« zusam­men­gefasst. Und das Buch selbst ist in Typo­grafie und Gestaltung hervor­ragend, sieht man einmal vom leider nicht abge­rundeten Rücken (bei 480 Seiten!) ab.

Walter Bohatsch philo­so­phiert über den Inhaltsraum Buch und nimmt den Raum­begriff substantiell. Wesentlich wird der Begriff der Leere. Die rhyth­mische Wiederkehr der Leerräume als weiße, unbe­druckte Flächen sieht Bohatsch als einen Beitrag (unter anderen) zur atmo­sphä­rischen Erfahrung des Innenraums. Und die Verant­wortung des Gestalters gegenüber dem zu trans­por­tie­renden Inhalt sieht er in einer konkreten Regelung für die Posi­tio­nierung der Inhalts­elemente.

Natürlich gibt es auch zahl­reiche Beiträge zur Geschichte des Buches. Alfred Dunshirn begibt sich auf die Suche nach der verlorenen Einheit von Buch und Philo­sophie. Lydia Miklautsch denkt über Narbe und Schrift nach. Typo­graphen mag der Zeichen­begriff der Narbe weit hergeholt erscheinen. Ernst Strouhal bezieht sich in seinem Beitrag über Queneaus »Hundert­tausend Milliarden Gedichte« eingangs auf ein Buch von Markus Kutter (»Sachen und Privat­sachen«, Olten 1964), in dem dieser über Bücher schreibt, die »nur da sind, um sie zu haben«, wie »Silence« von John Cage oder »Finegans Wake« von James Joyce und natürlich das erwähnte Buch­projekt von Queneau, in dem jede Zeile einzeln umge­blättert wird und sich so die hohe Varia­ti­onszahl ergibt. Strouhal verweist dann auf Borges »Die Bibliothek von Babel« oder auf das Zwölf­tonspiel von Joseph Matthias Hauer (476 Millionen Varianten), wobei sich Hauer hier mehr als Entdecker der Spiel­regeln denn als Komponist sieht. Das alles geht natürlich weit über das konven­ti­onelle Buch hinaus und das alles noch ohne E-Book.

Aleida Assmann sieht Bücher als Dialog­partner und Ener­gie­speicher. Sie spricht von der Macht, die Bücher besitzen, sowie vom »Schatz« einer kleinen Fami­li­en­bi­bliothek und der Uner­mess­lichkeit des Bücher­be­sitzes. Dabei ist es verständlich, dass man unfähig ist, Bücher wegzu­schmeißen.

Christoph Winder vergleicht die Diskussion um das E-Book mit dem Aufkommen des Taschenbuchs um 1950, als ebenfalls der Verlust der Sinn­lichkeit beklagt wurde. Enzens­berger kriti­sierte damals die Stan­dar­di­sierung der Cover (heute scheint die Cover­ge­staltung verlags­über­greifend austauschbar geworden zu sein).

Eva Pfisterer erzählt von ihrer bücherlosen Kindheit und dem daraus resul­tie­renden Gefühl, welche Macht das gepflegte (dialektfreie) Sprechen haben kann. Liebe und Lesen sieht sie als Möglichkeit der Verschmelzung des Einsseins. Rotraut Schöbel, die sich selbst als buch­süchtig bezeichnet, beklagt den Wasch­zettel, der nicht vom Lektor, sondern von der Marke­tin­g­ab­teilung geschrieben wird, und Wolfgang Penn­wieser berichtet von seinem Versuch, Buch und Lesen in einem psycho­pa­tho­lo­gischen Befund erfolgreich einzu­setzen und in einer Drei­ecks­be­ziehung zwischen Arzt, Patient und Buch zu sehen.

Print on Demand als hoff­nungsloser Weg des Publi­zierens wird von Gerhard Ruiss beleuchtet, denn gedruckt ist das Buch schnell (könnte sich der Einzelne leicht selbst leisten), aber ein Buchlager ist noch kein Vertrieb. Mit Blick auf das E-Book beklagt er das Problem der gültigen Ausgabe, da alles laufend ergänzt werden kann. Wir wissen noch nicht, wie und ob wir mit dem E-Book sinnvoll umgehen werden. Und die Sorge um die Zukunft des Buches spiegelt sich in vielen weiteren lesens­werten Beiträgen wider.

Thomas Eder, Samo Kobenter, Peter Plener (Hrsg.)
Seitenweise. Was das Buch ist.
480 Seiten.
Bundes­presseamt der Republik Österreich, Wien 2010.

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