typographische
zitate
Typo­grafie muss oft auf sich aufmerksam machen, bevor sie gelesen wird. Doch um gelesen zu werden, muss es die Aufmerk­samkeit aufgeben, die es auf sich gezogen hat.
Robert Bringhurst

Typographische
Gesellschaft
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Menschen

Die Sprache beim Wort genommen

Silvia Werfel
15. Dezember 2022
Wenn man einen von Kurt geschriebenen Text in die Hände bekommt, kann man schnell demütig werden. Hier sitzt jedes Wort. Unzählige zeitlos gültige und gerne zitierte Gedanken stammen von ihm. Wie soll man bei Kurts Sprachwitz und Intel­ligenz mithalten? Hier ist eine kurze persönliche Erin­nerung.
Kurt Weidemann
Kurt Weidemann hielt 2008 bei der tgm einen Vortrag »Gut zuhören. Scharf nachdenken. Lange nichts sagen«.

Die Deutsche Bahn – ausge­rechnet! – brachte den Tagungs­fahrplan durch­einander: Kurt Weidemann traf verspätet im Frank­furter Museum für Post und Kommu­ni­kation (heute ohne »Post«) ein und sprach nun als dritter statt als Eröff­nungs­redner. Anlass war das hier vom Bundes­verband Druck (noch ohne »Medien«) durch­ge­führte Symposium »Formu­lar­design«, mit Vorträgen und anschlie­ßender Preis­ver­leihung des 8. Formular-Wett­bewerbs.

Das war am 4. November 1999. Damals erlebte ich Kurt Weidemann zum ersten Mal leib­haftig. Und war seiner Sprachmacht sofort verfallen. Ein wahrer Meister im Buch­staben- und Worte-Setzen trat da auf. Nach den bilder­reichen Betrach­tungen der vorge­zogenen Refe­renten kam Kurt Weidemann mit seinen grund­sätz­lichen Gedanken gerade recht. Er sprach »Über die Notwen­digkeit und den Nutzen von grafischen Erschei­nungs­bildern für die Wirt­schaft«. Eine Einladung an die Teil­nehmer, zuzuhören, mitzu­denken, zu prüfen, nach innen zu schauen – ohne jede Ablenkung durch Bilder. Botschaft an die anwe­senden Gestalter: sich mit »Herz, Verstand und Kompetenz« den Aufgaben widmen.

Kurt Weidenmann in München Gasteig
Am 8. Januar 2008 sprach Kurt Weidemann in der BlackBox Gasteig. Von 1957 bis 2009 besuchte er insgesamt neunmal die tgm für Vorträge.

Über zwanzig Jahre später sind seine Aussagen immer noch gültig, man darf sich ruhig immer wieder mal an sie erinnern. »Wer erfolgreich und kompetent in seinem Beruf arbeitet, sollte auch im Umgang mit Kunden, Öffent­lichkeit und Medien da sein, wo man immer sein sollte: nämlich voll und ganz bei
der Sache.« Kurt Weidemann war immer bei der Sache. Auch als Mahner. So stellte er in seiner Rede zum Formu­lar­design fest, es gäbe einen Mangel an »Vermö­gens­bildung«: an Seh-, Steh-, Durchhalte- und Urteils­vermögen. Es würden hier wohl entspre­chende »Anla­ge­berater« fehlen … Zur Unter­neh­mens­kultur, die immer auch Unter­nehmer-Kultur sei: Ein Firmenchef müsse nicht nur rechnen können, er sollte auch Philosoph sein und darüber hinaus stets klar und ehrlich Stellung beziehen. Er zitierte den »Pfen­nig­fuchser« Robert Bosch: Es sei besser Geld zu verlieren als Vertrauen. Kurt Weidemanns Kultur-Kritik war das Glanzlicht des Symposiums. In den darauf­fol­genden Jahren habe ich ihn noch öfter als poin­tierten Redner erlebt. Er hatte immer etwas zu sagen, meistens ohne, manchmal aber auch mit Bild­be­gleitung. Wenn­gleich ich im Laufe der Zeit alle seine Bücher gelesen hatte und die grund­legende Botschaft ja gleich blieb, so habe ich es jedes Mal wieder genossen ihm zuzuhören.

Kurt war ein zuge­wandter, offener, hilfs­be­reiter Mensch. Das beim Symposium 1999 erbetene Rede­ma­nu­skript händigte er mir ganz unkom­pliziert sofort aus, und als ich 2009 in einem Brief vorsichtig fragte, ob ich denn aus Hessen auch zum Sommerfest ins legendäre Stutt­garter Stellwerk kommen dürfe, rief er mich umgehend an und hieß mich will­kommen. Dieses Fest, das draußen im Garten begann und spät abends drinnen im oberen Stockwerk am langen Tisch mit Buch­schätzen, Fach­simpeln und ordentlich viel Schnaps weiterging, wurde zu einem unver­gess­lichen Erlebnis.

Von Kurt Weidemanns wirk­mächtigem Werk soll hier nicht im Einzelnen die Rede sein, darüber gibt es einiges zu lesen. Er hat als geist­reicher, eben­bürtiger Partner einfluss­reicher Konzern­lenker Wegwei­sendes geschaffen, wobei es ihm nie darum ging, »originell« zu sein; vielmehr stellte er sich immer in den Dienst an der Sache, er verein­fachte, begradigte, führte zusammen, kurz: Er räumte auf im Logo- und Schrif­tend­schungel von Unter­nehmen, damals, als man noch nicht so viel von Corporate Identity und Corporate Design sprach. Und stets fand er einfache, klare Lösungen für komplexe Zusam­menhänge.

Er wurde geschätzt, geliebt, gefürchtet und vielfach gewürdigt. Seine Aufsätze und Bücher bleiben lesenswert. Und seine Botschaft, miteinander zu sprechen, vor allem einander zuzuhören, bleibt essenziell, gerade in Zeiten wie diesen.

Für die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages am 15. Dezember 2022 lege ich mir sein Opus Magnus »Wo der Buchstabe das Wort führt. Ansichten über Schrift und Typo­graphie« parat, ebenso das Manu­skript fürs Formular-Symposium mit seinen hand­schrift­lichen Vermerken und auch Dietmar Hennekas foto­gra­fische Spurensuche im Stellwerk. Dann trinke ich ein paar Bierchen und einen Klaren auf Kurt – ob es Budweiser sein wird, bin ich mir allerdings noch nicht so sicher …

»Nachtausgabe« mit Kurt Weidemann
Get-together nach dem Vortrag »Gut zuhören. Scharf nachdenken. Lange nichts sagen« von Kurt Weidemann am 8. Januar 2008. Damalige Treffen fanden immer in der t-u-b-e in der Einsteinstraße statt.

Unsere Buchempfehlung:

»100KW. Zum hundertsten Geburtstag von Kurt Weidemann am 15. Dezember 2022«. Herausgegeben von der ›Sammlung Moser‹ mit dem ›Archiv Olaf Leu‹, in Kooperation mit der Typographischen Gesellschaft München. Mit Texten von Horst Moser, Claude Bürki, Christoph Dohse, Rüdiger Götz, Tassilo von Grolman, Klaus Klemp, Olaf Leu, Uli Mayer-Johanssen, Gertrud Nolte, Jochen Rädeker, Erik Spiekermann, Gerrit Terstiege, Jan-Peter Tripp, Silvia Werfel, Susanne Zippel, Andreas Baier, Karin und Bertram Schmidt-Friderichs.

Diese Publikation erscheint 2023 in einer kleinen Auflage als Privatdruck. Interessierte können zum Selbstkostenpreis von 15 EUR zzgl. Versand bei Horst Moser direkt per E-Mail vorbestellen.

Hier ist das Jubiläumswerk als PDF-Datei zum Download.