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Buchbesprechung

Schönheit

Rudolf Paulus Gorbach
31. Dezember 2018
»Was sollte man gegen den schlechten Geschmack tun, die Vertreibung der Schönheit, die Ausbreitung der Vulgarität?« fragt der Icher­zähler in Michael Krügers Roman »Vorüber­gehende« (Hanser, München 2018). Nach­denken über die Schönheit führt zunächst vor allem zur Philo­sophie.

In einem schmalen, aber dicht geschriebenen Band reflektiert der Philosoph Byung-Chul Han über die Errettung des Schönen. Er sieht das »Glatte« als Gegensatz, obwohl es in unserer Zeit so ästhetisch hoch gehalten wird. In den einzelnen Kapiteln wird das Denken über Schönheit knapp reflektiert. Doch das Resümee muß man sich selbst ziehen (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015).

»Das so genannte Schöne« nennt der Schweizer Grafik­de­signer Otmar Bücher sein leicht ironisches Buch, das bereits 2006 erschienen ist (Ott Verlag, Bern 2006). Anhand vieler Themen setzt er sich mit Ästhetik und besonders mit dem Schönen auseinander. Dabei ist der Umgang mit dem Begriff des Schönen seit den Zwanziger Jahren des 20. Jahr­hunderts etwas stra­paziert. Doch können wir trotzdem beden­kenlos etwas schön empfinden und das auch so sagen. Bedarf es deshalb neuer Erkenntnisse, falls es die gibt?

Mit einem Groß­projekt warten Sagmeister & Walsh auf, eine Ausstellung und ein dazu­ge­höriges Buch mit entspre­chender Ankün­digung: Ein Plädoyer für die Lust am Schönen. Ich befasse mich hier ausschließlich mit dem Buch.

Nimmt man das Buch aus der Verpackung, fällt sofort die Hermann-Schmidt-Qualität auf. Feiner Karton­schuber, Lack, Prägungen, matte Glätte. So auch das Buch: Edle Broschur. Silber-Bund­schnitt, verstärkte Klappen, matte Weiße, feine Prägung. Der Titel des Buches: Beauty. Und der Untertitel lautet: Schönheit = Funktion = Wahrheit. Das macht stutzig. Denn was hat es dabei mit der Wahrheit auf sich?

Die schon im Vorwort erwähnte Ablehnung des Schönen aus der Gestal­tungs­ge­schichte des 20. Jahr­hunderts kann ich nicht nach­voll­ziehen. Das wird mit einer Info­grafik deko­rativen Stils unter­mauert, wobei man nur die zwischen 1800 und 2000 abnehmende Menge sieht. Aber auf was bezieht sich das?

Die Autoren erklären: Indischer Mangosaft wird in größeren Mengen verkauft, wenn die »Form ernst genommen wird«. Bei der tonan­ge­benden Rolle des Marketing muß man schon fragen, welche Form? Und wie sieht der Vergleich vorher – nachher aus? Dass die Schönheit im »gut gelungen« liegt oder liegen kann, wird kaum bezweifelt. Im Text des Buches wird der Zusam­menhang von Funktion und Schönheit immer wieder ange­sprochen. Natürlich muß hier auch die Nach­hal­tigkeit her halten. Einige Expe­rimente zum Gefallen von Gegen­ständen oder Bildern werden erwähnt. Blättert man im Buch, hat man den Eindruck eines sugge­stiven Albums, mit großen Zitaten und Abbil­dungen der schönen Dinge.

Als Adolf Loos sich gegen Ornamente wandte gab es genug Gründe dafür. Die Polemik gegen diesen längst vera­r­beiteten Aufbruch scheint mir seltsam. Natürlich wird Wieder­holung auch lang­weilig, vor allem wenn man das Einzig­artige sucht oder glaubt, es zu bringen. Die Nach­ahmung ist sicher für eine Weiter­ent­wicklung wichtig. Gesetze, die im übrigen Gabriel Tarde 1890 heraus­ge­bracht hatte (Gabriel Tarde, Die Gesetze der Nach­ahmung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009). Ohne diese Tradition kann auch wirklich Neues kaum entstehen. Das ganz­seitige Zitat »Der einzige Weg, unnach­ahmlich zu werden, ist die Nach­ahmung« (Winkelmann) steht in einer Umgebung von reichlich verzierten Gegen­ständen, das läßt einen zumindest erstaunen.

Die Frage, ob es Pracht im Moder­nismus gibt, wird mit Erleb­nissen Sagmeisters in seinen stark publi­zierten Saba­ticals garniert. Zwar werden Koons und Hirst eher der Kitschwelt zugezählt. Aber warum stehen sie überhaupt hier? Natürlich musste auch kommen, dass Form die Funktion ersetzt. Da sind wir auch mitten in der vergangenen Post­moderne angelangt, wo ja angeblich alles ging. Instagram wird »als sorgsam kura­tierte Sicht auf unser Leben« gesehen.

Im Kapitel »Schönheit erleben« geht es vor allem um Möglich­keiten in der Werbung und der Konsum-Produkt­ge­staltung. Und im anschlie­ßenden Kapitel »Das Auge des Betrachters« werden viele Umfragen vorge­stellt. Hier zählt die Mehrzahl der befragten Stimmen. Dass Schönheit in uns etwas bewirken kann ist wohl nicht ganz neu. Und ein umfang­reiches »Schön­heits­archiv« zeigt durch­gehend besonders extra­vagante Gegen­stände, die schön sind, wenn auch nicht alle. Und schließlich gibt es am Schluß des Buches ein Manifest, das die Argumente und Ziele des Buches in den Alltag umsetzen soll. Nicht klar im ganzen Projekt wird, was Schönheit und Funktion bedeuten und welche Rolle das Deko­rative spielt. Und das Deko­rative ist hier sehr dominant. Der Schönheit kommt man damit nicht wirklich näher.

Viel­leicht noch eine Bemerkung zur Typo­grafie der Text­seiten. Die für dieses Buch kreierte Titel­schrift ist reichlich dekorativ und etwas fremd in unserer Zeit. Die einge­bauten infor­mie­renden kleinen Bilder stehen auf Mitte. Ihre Bild­le­genden sind kräftig unter­strichen. An der Außenkante befindet sich ein etwas verwir­rendes Muster. Ein nettes Spiel. In seiner Verbor­genheit wird es zum Dekor?

Sagmeister & Walsh
Beauty
Schönheit = Funktion = Wahrheit

280 Seiten
377 Abbil­dungen
Edel­broschur im Schuber
Hartmann Schmidt Verlag, Mainz 2018
39,80 Euro
ISBN 978–3–87439–922–7

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