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Typo­grafie muss oft auf sich aufmerksam machen, bevor sie gelesen wird. Doch um gelesen zu werden, muss es die Aufmerk­samkeit aufgeben, die es auf sich gezogen hat.
Robert Bringhurst

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Buchbesprechung

Volksdesign oder Gestaltung

Rudolf Paulus Gorbach
30. Oktober 2011
Fünf theo­re­tische Arbeiten der Kunst­hoch­schule Berlin-Weißensee beschäftigen sich mit der Frage, ob die Gestal­tungs­werkzeuge der Profis in den Händen von Laien sinnvoll sind.

Die Grenzen zwischen Amateur und Profi verschwimmen, meint Florian Alexander Schmidt. Menschen wollen sich selbst immer mehr als Marken insze­nieren. Dabei wird vorhandenes Material recycelt. Medi­en­rechtler, Netz­ak­ti­visten und auch Roland Barth werden als Zeugen aufgerufen, was darauf hinausläuft, dass jeder, der etwa sampelt, zum Designer wird.

Crowd­sourving (Schwar­maus­la­gerung) gilt oder galt als Zauberwort, wo sich Scharen unbe­zahlter Mita­r­beiter für einen Wert­schöp­fungs­prozess einspannen lassen. Was manchmal hervor­ragend funk­tioniert (Linux), weil die Betei­ligten viel Wissen haben und damit ein echtes demo­kra­tisches Produkt geschaffen wird, dürfte im gestal­tenden Prozess schon wesentlich proble­ma­tischer sein.

Der Bastel­begriff »Bricolage« (Claude Levi-Strauss), bei dem der Amateur bewusst einfachere und laien­haftere Werkzeuge verwendet, mag für die »Bastler« sinnvoll sein. Schmidt meint, dass sich das Kochen von ambi­tio­nierten Amateuren mit der Küche in einem Hotel vergleichen lässt. Der Koch in einem Hotel muss eine zuver­lässig hohe Qualität bei hoher Nachfrage liefern. Der Hobbykoch ist nur seinem eigenen Geschmack verpflichtet. Jedoch geht der Vergleich auf die visuelle Gestaltung ins Leere, wenn die Gestaltung nicht nur für sich selbst gemacht wird.

Unzählige Entwürfe werden heute archiviert und etwas Neues zu erfinden ist kaum mehr möglich. Der Star­de­signer, der sich vor allem selbst feiert, wird völlig über­be­wertet. Starck hat das bereits öffentlich verkündet. Design ist mitt­lerweile Volkssport geworden, doch bleiben gute Ergebnisse im Kommu­ni­ka­ti­ons­design aus. Die Amateure sind da und bleiben. Einige werden Profis, wie wir es seit der Zeit von DTP erleben.

Für Free-Design spricht Peter Lasch in seinem Beitrag, der den Vorteil einer Open-Source-Software hervorhebt und dies auch mit den Möglich­keiten eines Open Designs vergleicht. Dabei führt er an, dass das Wissen der Massen im Vergleich zu dem eines Einzelnen im Vorteil wäre. Außerdem weist er auf die vielen Inno­va­tionen hin, die in großen und kleinen Betrieben immer wieder von Mita­r­beitern an der Basis gegeben werden.

Mit einer kreativen Entfes­selung befasst sich Susanne Stauch. Sie kritisiert dabei den Konsumzwang mit nicht ausge­reiften Produkten, wodurch immer wieder Neues gekauft werden muss. Selbst­be­stimmte Entschei­dungen werden dem gegen­über­ge­stellt. Dabei ist jede Entscheidung anhand der unge­heuren Möglich­keiten auch eine Entscheidung gegen etwas anderes. Je präziser das Wissen, das das ange­strebte Ziel umfasst, umso vorteil­hafter ist die optionale Auswahl. Stauch resümiert, dass sowohl die profes­si­o­nellen Gestalter als auch die inter­es­sierten und enga­gierten Laien ihre Aufgabe haben werden. Es gibt nicht mehr DIE eine Mode oder DIE eine Wahrheit.

Für einen Baukasten in der mobilen Elek­tronik spricht sich Friedrich Kautz aus. Eine nach­haltige Alter­native wäre ein offenes System von Grund­kom­po­nenten, das sich auf einen der größten Märkte, die mobile Elek­tronik, bezieht.

Und Friedrich Gobesso beschäftigt sich mit Falschheit als Original. Anfangs werden Fälschungen als Original betrachtet, bis sie enttarnt werden. Die Problematik von Adap­tionen in unserer sich reichlich doku­men­tie­renden Zeit mag für bildende Kunst anders aussehen als für ange­wandte Gestaltung. Zwischen Fälschungen, dem Begriff des Realen und den Arten von Kopien bewegt sich Gobesso vor allem in der Kunst. Wenn­gleich die Verwendung von Fakes in den ange­wandten Gestal­tungs­be­reichen auch äußerst kritisch gegenüber der Gesell­schaft ist.

Übrigens stellt das Buch den Leser auf eine Geduldsprobe. Die einzelnen Beiträge sind abwechselnd, wie üblich, im Hoch- und Quer­format darge­stellt. Das ergibt einen umständ­lichen und ermü­denden Blät­ter­effekt im Kalender. Waren hier Amateure am Werk?

Kritische Masse.
Von Profis und Amateuren im Design.
196 Seiten.
form+zweck Verlag, Berlin 2010.
18 Euro.
ISBN 978–3–935053–32–7

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