Volksdesign oder Gestaltung
Die Grenzen zwischen Amateur und Profi verschwimmen, meint Florian Alexander Schmidt. Menschen wollen sich selbst immer mehr als Marken inszenieren. Dabei wird vorhandenes Material recycelt. Medienrechtler, Netzaktivisten und auch Roland Barth werden als Zeugen aufgerufen, was darauf hinausläuft, dass jeder, der etwa sampelt, zum Designer wird.
Crowdsourving (Schwarmauslagerung) gilt oder galt als Zauberwort, wo sich Scharen unbezahlter Mitarbeiter für einen Wertschöpfungsprozess einspannen lassen. Was manchmal hervorragend funktioniert (Linux), weil die Beteiligten viel Wissen haben und damit ein echtes demokratisches Produkt geschaffen wird, dürfte im gestaltenden Prozess schon wesentlich problematischer sein.
Der Bastelbegriff »Bricolage« (Claude Levi-Strauss), bei dem der Amateur bewusst einfachere und laienhaftere Werkzeuge verwendet, mag für die »Bastler« sinnvoll sein. Schmidt meint, dass sich das Kochen von ambitionierten Amateuren mit der Küche in einem Hotel vergleichen lässt. Der Koch in einem Hotel muss eine zuverlässig hohe Qualität bei hoher Nachfrage liefern. Der Hobbykoch ist nur seinem eigenen Geschmack verpflichtet. Jedoch geht der Vergleich auf die visuelle Gestaltung ins Leere, wenn die Gestaltung nicht nur für sich selbst gemacht wird.
Unzählige Entwürfe werden heute archiviert und etwas Neues zu erfinden ist kaum mehr möglich. Der Stardesigner, der sich vor allem selbst feiert, wird völlig überbewertet. Starck hat das bereits öffentlich verkündet. Design ist mittlerweile Volkssport geworden, doch bleiben gute Ergebnisse im Kommunikationsdesign aus. Die Amateure sind da und bleiben. Einige werden Profis, wie wir es seit der Zeit von DTP erleben.
Für Free-Design spricht Peter Lasch in seinem Beitrag, der den Vorteil einer Open-Source-Software hervorhebt und dies auch mit den Möglichkeiten eines Open Designs vergleicht. Dabei führt er an, dass das Wissen der Massen im Vergleich zu dem eines Einzelnen im Vorteil wäre. Außerdem weist er auf die vielen Innovationen hin, die in großen und kleinen Betrieben immer wieder von Mitarbeitern an der Basis gegeben werden.
Mit einer kreativen Entfesselung befasst sich Susanne Stauch. Sie kritisiert dabei den Konsumzwang mit nicht ausgereiften Produkten, wodurch immer wieder Neues gekauft werden muss. Selbstbestimmte Entscheidungen werden dem gegenübergestellt. Dabei ist jede Entscheidung anhand der ungeheuren Möglichkeiten auch eine Entscheidung gegen etwas anderes. Je präziser das Wissen, das das angestrebte Ziel umfasst, umso vorteilhafter ist die optionale Auswahl. Stauch resümiert, dass sowohl die professionellen Gestalter als auch die interessierten und engagierten Laien ihre Aufgabe haben werden. Es gibt nicht mehr DIE eine Mode oder DIE eine Wahrheit.
Für einen Baukasten in der mobilen Elektronik spricht sich Friedrich Kautz aus. Eine nachhaltige Alternative wäre ein offenes System von Grundkomponenten, das sich auf einen der größten Märkte, die mobile Elektronik, bezieht.
Und Friedrich Gobesso beschäftigt sich mit Falschheit als Original. Anfangs werden Fälschungen als Original betrachtet, bis sie enttarnt werden. Die Problematik von Adaptionen in unserer sich reichlich dokumentierenden Zeit mag für bildende Kunst anders aussehen als für angewandte Gestaltung. Zwischen Fälschungen, dem Begriff des Realen und den Arten von Kopien bewegt sich Gobesso vor allem in der Kunst. Wenngleich die Verwendung von Fakes in den angewandten Gestaltungsbereichen auch äußerst kritisch gegenüber der Gesellschaft ist.
Übrigens stellt das Buch den Leser auf eine Geduldsprobe. Die einzelnen Beiträge sind abwechselnd, wie üblich, im Hoch- und Querformat dargestellt. Das ergibt einen umständlichen und ermüdenden Blättereffekt im Kalender. Waren hier Amateure am Werk?
Kritische Masse.
Von Profis und Amateuren im Design.
196 Seiten.
form+zweck Verlag, Berlin 2010.
18 Euro.
ISBN 978–3–935053–32–7
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