Form, Funktion und Freiheit
In der Einleitung des Buches finde ich viele Hinweise: Dass Design per se nicht demokratisch sei, aber die Demokratie verbessern könne. Allein die Optimierung der Prozesse durch Design fördere bereits die Demokratie. Aber gleichzeitig wird Design als Mode und Marke benützt, was ein falsches Verständnis von Freiheit sei.
Im ersten Teil des Buches geht es um die Gestaltbarkeit der Welt. Dazu wird auf die Wurzeln von Design zurückgegriffen. Zusammenhänge von Ästhetik und Technik, Geschmackshebung durch Design, industrielle Produktionsweisen und die Gestaltung für ein würdevolles Leben. Thonet-Möbel, Weltausstellung treten in Erscheinung. Das Überflüssige wie das Ornament wurde ja tatsächlich überflüssig.
Werkbundstreit, Bauhaus und die soziale Frage werden erörtert. Daraus folgt bekannterweise eine Einheit der Dinge. Strikter Funktionalismus wäre maximale Funktion und Effizienz in sämtlichen Bereichen des Lebens.
Kosok schreibt vom Rätsel der Funktionen und führt ein Zitat von Andreas Dorschel an: Designte Dinge werden im doppelten Sinn des Wortes gebraucht: benutzt, benötigt. Und er fragt: Wie lassen sich aus der reinen Funktion nicht nur Normen, sondern auch gleich Gesetzte ableiten, welche die Form bestimmen? Kritik an Form und auch Funktion blieb nicht aus, so bei Wolfgang Fritz Haug in seiner »Kritik der Warenästhetik« von 2009 oder besonders schon 1985 bei Victor Papanek, der die Verlogenheit von Werbung umreisst.
Ein neuer Ansatz tauchte in den 1970er- und 1980er-Jahren auf, der Offenbacher Ansatz. Hierbei werden die Funktionen um sinnliche, emotionale und psychologische Aspekte erweitert. Eine zweite Kategorie der formalästethischen Funktionen, in der die sinnliche Wahrnehmung auf die Benutzer durch einen Grad der Ordnung und Komplexität wirkt. Zeichenhafte und semantische Funktionen lassen in dieser Wahrnehmung eine psychologische Wirkung erfahren. (Die Theorien sind natürlich ziemlich komplex und ich kann nur ein paar Ansätze daraus wiedergeben).
Im dritten Kapitel des Buches geht es um die Freiheit der Form. Das ist das Kapitel, das mich besonders interessierte. Felix Kosok schreibt am Schluss des Kapitels: »Die Freiheit der Form bedingt eine eigene Ethik eines »Aushandlungsprozesses«, in der das Gute und Nützliche, das sich im Design verwirklichen soll, sowie die Regeln und Kategorien seiner Bewertung nicht schon vor diesem Aushandlungsprozess abschließend feststeht, sondern wesentlich durch die Form mit beeinflusst werden, in der er sich verkörpern wird«. Dieser Aushandlungsprozess ist vielleicht entscheidend für die Freiheit. Und mehr zur Freiheit konnte ich nicht finden.
Die letzten Kapitel des Buches beschäftigen sich mit den Problem der Weltverbesserung durch Design, dessen politische Relevanz und auch den Grenzen des Designs. Und schließlich geht es in einem langen Kapitel über Design und Demokratie. Dabei werden verschiedene Theorien behandelt, die z. B. ganz bewusst zwischen »design for politics« und »political design« unterscheiden. Was im zweiten Fall designt werden soll, wäre meine Frage gewesen. Dafür fand ich im Buch keine Lösung, außer den Möglichkeiten, Widerstand zu üben, aktivistisch zu arbeiten. Der Weltenentwurf als Design? Und ist es schon politisch, wenn man sich der Diskussion stellt, warum ein Design so und nicht anders ausfällt? Wie aber kann Design tatsächlich auf die Demokratie einwirken, also politisch sein, da sie bisher so oft nur dem Markt dient?
Die Dissertation geht grundlegend und ausführlich auf die Themen ein und zeugt gleichzeitig von einer fleissigen und engagierten Arbeit. Um für das Thema mehr Leser zu bekommen wäre es gut, den Text auf 160 Seiten »einzudampfen«.
Felix Kosok
Form, Funktion und Freiheit
Über die ästhetisch-politische Dimension des Designs
398 Seiten
Broschur
transcript-Verlag, Bielefeld 2021
ISBN 978–3–8376–5610–7
44 Euro
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