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Gute Typo­grafie erklärt den Inhalt, nicht den Gestalter.
Kurt Weidemann

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Buchbesprechung

Moral und Gestaltung

Rudolf Paulus Gorbach
1. Februar 2012
Die hfg Ulm bedeutete für mich über Jahr­zehnte hinweg gestal­te­rische Größe und konzep­ti­onelle Klarheit. Das wirkte sympa­thisch aus der Ferne gesehen. Die kritische Biografie über Otl Aicher von Eva Moser korrigiert das Bild.

Es ist schon eine erstaunliche Lebens­ge­schichte von der »Provinz der Klein­bür­ger­lichkeit« in Ulm-Söflingen durch ein wider­sprüch­liches Leben zur »autonomen Republik Rotis«. Eva Moser nimmt Teil an Otl Aichers Leben, scheint auch keine Wider­sprüche zu verschweigen.

Die Jugendzeit im nazi­ge­prägten Ulm um das Leben im Umkreis der Weissen Rose, nämlich mit Sophie und Inge Scholl und die Zeit als Soldat sind durch Aichers persönliche Aussagen im Buch »Innen­seiten des Krieges« doku­mentiert. Doch sind durch die viel­fältigen Recherchen der Autorin einige Fakten ergänzt, manchmal lesen sie sich sogar etwas anders.

Der neue Anfang nach 1945 ist von der Gründung der Volks­hoch­schule Ulm geprägt, den Aicher zusammen mit Inge Scholl vorantrieb. »Das Gefäß Mensch ist umge­stürzt und will neu gefüllt werden«, hieß es in einer Infor­ma­ti­ons­bro­schüre der Volks­hoch­schule. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Plakate Otl Aichers, einem Gestalter, der diesen Beruf so nicht gelernt hatte und entsprechend konven­tionell sehen diese Arbeiten aus. Das sollte sich aber bald ändern. Ein reli­giöser, katho­lischer Hintergrund war erstaun­li­cherweise vorherr­schend. Doch die Refe­renten der vhs und später auch der sich allmählich entwi­ckelnden Hoch­schule für Gestaltung zeigten eine enorme Weite.

Die Gründung der Hoch­schule für Gestaltung gilt als heraus­ra­gendes Ereignis. Jedenfalls war es ein konse­quenter Anfang und hat wahr­scheinlich die Lehre in ähnlichen Instituten maßgeblich beein­flusst. Gegenüber den exis­tie­renden Werk­kunst­schulen war die hfg für den Bereich des Designs sicher auch konkur­renzlos. Die Schweiz übte erheb­lichen Einfluss auf die hfg, da Max Bill für eine relativ kurze Zeit mit Aicher zusammen arbeitete und das Gebäude der Hoch­schule plante.

Aicher war von Technik und Funk­tionen beseelt. Viel­leicht ist das auch typisch für einen »Self­mademan«. Gestalter sollten auch politisch handeln und dement­sprechend war die Ausbildung in Ulm aufgebaut.

Als Typo­grafen inter­essiert uns natürlich besonders der Bereich der visuellen Kommu­ni­kation (ein Begriff, der in Ulm geprägt wurde). Die Typo­grafie war streng und frei von Ballast oder Dekor. Und die Autorin kommt dann natürlich ausführlich auf die großen Projekte Otl Aichers zu sprechen: Die Produkt­de­si­gnge­schichte mit Braun, das Erschei­nungsbild der Lufthansa und später des ZDF, die lange Zusam­me­n­arbeit mit der Baye­rischen Rück und vor allem das groß­artige Erschei­nungsbild der Olympiade in München 1972. Aicher hätte auch gerne seine Schrift Rotis als finales Ergebnis der Schrift­ge­schichte gesehen. Doch da sind die Fachleute etwas anderer Meinung.

Ein Kapitel des Buches widmet sich Aichers »Leben im Wider­spruch«. Das sind die immer wieder erfolgten poli­tischen Einmi­schungen, sein eigenes Leben zwischen Kargheit und genüss­lichem Gebrauch der Verkehrs­techniken (Motorrad, schnelle Autos und Flugzeug). So ergänzen sich in dieser Biografie viele der nach wie vor lesens­werten Essays Aichers (das sind drei Bände) und geben das Bild eines hoch geachteten und dennoch wider­sprüch­lichen Gestalters wieder.

Eva Moser
Otl Aicher Gestalter
456 Seiten
374 Abbildungen
Ganzpappband
Hatte Cantz Verlag, Stuttgart 2012
38 Euro
ISBN 978-3-7757-3201-7

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