Moral und Gestaltung
Es ist schon eine erstaunliche Lebensgeschichte von der »Provinz der Kleinbürgerlichkeit« in Ulm-Söflingen durch ein widersprüchliches Leben zur »autonomen Republik Rotis«. Eva Moser nimmt Teil an Otl Aichers Leben, scheint auch keine Widersprüche zu verschweigen.
Die Jugendzeit im nazigeprägten Ulm um das Leben im Umkreis der Weissen Rose, nämlich mit Sophie und Inge Scholl und die Zeit als Soldat sind durch Aichers persönliche Aussagen im Buch »Innenseiten des Krieges« dokumentiert. Doch sind durch die vielfältigen Recherchen der Autorin einige Fakten ergänzt, manchmal lesen sie sich sogar etwas anders.
Der neue Anfang nach 1945 ist von der Gründung der Volkshochschule Ulm geprägt, den Aicher zusammen mit Inge Scholl vorantrieb. »Das Gefäß Mensch ist umgestürzt und will neu gefüllt werden«, hieß es in einer Informationsbroschüre der Volkshochschule. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Plakate Otl Aichers, einem Gestalter, der diesen Beruf so nicht gelernt hatte und entsprechend konventionell sehen diese Arbeiten aus. Das sollte sich aber bald ändern. Ein religiöser, katholischer Hintergrund war erstaunlicherweise vorherrschend. Doch die Referenten der vhs und später auch der sich allmählich entwickelnden Hochschule für Gestaltung zeigten eine enorme Weite.
Die Gründung der Hochschule für Gestaltung gilt als herausragendes Ereignis. Jedenfalls war es ein konsequenter Anfang und hat wahrscheinlich die Lehre in ähnlichen Instituten maßgeblich beeinflusst. Gegenüber den existierenden Werkkunstschulen war die hfg für den Bereich des Designs sicher auch konkurrenzlos. Die Schweiz übte erheblichen Einfluss auf die hfg, da Max Bill für eine relativ kurze Zeit mit Aicher zusammen arbeitete und das Gebäude der Hochschule plante.
Aicher war von Technik und Funktionen beseelt. Vielleicht ist das auch typisch für einen »Selfmademan«. Gestalter sollten auch politisch handeln und dementsprechend war die Ausbildung in Ulm aufgebaut.
Als Typografen interessiert uns natürlich besonders der Bereich der visuellen Kommunikation (ein Begriff, der in Ulm geprägt wurde). Die Typografie war streng und frei von Ballast oder Dekor. Und die Autorin kommt dann natürlich ausführlich auf die großen Projekte Otl Aichers zu sprechen: Die Produktdesigngeschichte mit Braun, das Erscheinungsbild der Lufthansa und später des ZDF, die lange Zusammenarbeit mit der Bayerischen Rück und vor allem das großartige Erscheinungsbild der Olympiade in München 1972. Aicher hätte auch gerne seine Schrift Rotis als finales Ergebnis der Schriftgeschichte gesehen. Doch da sind die Fachleute etwas anderer Meinung.
Ein Kapitel des Buches widmet sich Aichers »Leben im Widerspruch«. Das sind die immer wieder erfolgten politischen Einmischungen, sein eigenes Leben zwischen Kargheit und genüsslichem Gebrauch der Verkehrstechniken (Motorrad, schnelle Autos und Flugzeug). So ergänzen sich in dieser Biografie viele der nach wie vor lesenswerten Essays Aichers (das sind drei Bände) und geben das Bild eines hoch geachteten und dennoch widersprüchlichen Gestalters wieder.
Eva Moser
Otl Aicher Gestalter
456 Seiten
374 Abbildungen
Ganzpappband
Hatte Cantz Verlag, Stuttgart 2012
38 Euro
ISBN 978-3-7757-3201-7
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