Hocken in Ulm und anderswo
Der Ulmer Hocker, dieses fast archaische Möbelstück, entstand in den Aufbaujahren der Hochschule für Gestaltung Ulm. Das Geld für das Gebäude reichte nicht aus und so musste bei der Möblierung empfindlich gespart werden. Verursacher, also Designer, gibt es mehrere und die genaue Aufteilung zwischen den Akteuren in der hfk ist nicht ganz geklärt: Max Bill, Hans Gugelot, aber auch Paul Hildinger (der Schreiner) und Josef Schlecker (sogar aus der Metallwerkstatt).
Der Hocker wurde während der gesamten Zeit an der Hochschule vielfältig genutzt. Nicht nur in den Vorlesungen (unbequemes Sitzen), sondern auch für alle möglichen Abstell- oder Fremdfunktionen. Eine lange Bildstrecke im Buch dokumentiert diese »Historische Nutzung und Umnutzung«.
Tiefgründig und sehr lehrreich wird der Hocker von Thomas Hensel in die Designgeschichte eingebettet, wobei die »Bezugslinien« zur Designtheorie offen gelegt werden. Bezüge werden eröffnet zu Marshall McLuhan, Friedrich Kittler und Regis Debray, aber auch zu Künstlern, die bis zur »Akteur-Medien-Theorie« (ANT) reichen und ausführlich behandelt werden. Darüber hinaus wird die besondere Technik der Fertigung eingehend beschrieben.
»Der Ulmer Hocker lässt sich aus der Architektur der HFG [die stammt von Max Bill] ableiten«, schreibt Thomas Hensel und sieht den Hocker als »Urstein« des Gebäudes oder als Modul zu verstehen. Diese Rolle spielt er sicherlich auch als Nimbus für die hfg in Ulm.
Zahlreich abgebildet und beschrieben sind Reprisen, Variationen, Nachahmungen, Varianten, Persiflagen des Hockers und seiner Idee. Die Buchgestaltung kann man im Sinne der hfg wahrnehmen, klar und einfach, und dadurch passend und sehr schön. Sie stammt vom Studio Tino Graß.
Gibt es eigentlich etwas Ähnliches wie einen Ulmer Hocker in der Typografie? Eine Frage an unsere Leser.
Viktoria Lea Heinrich, Thomas Hensel, Martin Mäntele
Der Ulmer Hocker
Idee – Ikone – Idol
Herausgegeben vom HFG-Archiv, Ulm
328 Seiten mit 300 Abbildungen
Broschur
170 × 240 mm
avedition Stuttgart, 2023
978–3–89986–360–4
39 Euro
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