typographische
zitate
Typo­grafie zieht Texte an – passend zu Aussage und Anlass, mal Jeans, mal das kleine Schwarze.
John D. Berry

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Goethe­straße 28 Rgb.
80336 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Methoden und Spiel im Experiment

Rudolf Paulus Gorbach
18. Oktober 2016
Über ein wichtiges Kompendium zur Gestaltung: »Wie können Expe­riment und Methode für die Gestaltung nutzbar gemacht werden? Gerade in diesem Fach­gebiet wird der Begriff ›expe­ri­mentell‹ häufig mit einer gewissen Willkür verwendet«.

So kündigt der Verlag das Buch an und meint damit, dass in Kunst und Gestaltung metho­dische Expe­rimente zu Findungen, Lösungen und Einfällen, also zur Krea­tivität führen, die nicht nur auf Intuition zurück­zu­führen sind.

Betina Müller und Armin Lindauer beziehen sich in ihrem Buch auf ihren einstigen Lehrer an der HdK Berlin, Helmut Lortz. Beide haben auch viel von ihm in ihre jeweilige Lehrtätigkeit übernommen. Das Buch zeigt auf 400 Seiten zahlreiche Beispiele. Doch sind die einführenden und dazwischenliegenden Texte nicht nur wichtig zum Verständnis des Buches, sondern sind darüber hinaus sehr kluger und sachkundiger Erläuterungen zu den Themen.

Die Themen lauten:

  • Basis,
  • Interpretation,
  • Variation,
  • Relation,
  • Sequenz.

Neben Arbeiten der Autoren gibt es viele Beiträge von Studie­renden, aber auch Gast-Beispiele von bekannten Gestaltern und Künstlern.

In der »Basis« zeigt sich bereits, wie mit einfachen Mitteln erstaunliche Ergebnisse entstehen können.

Mit der »Inter­pre­tation« kommen Verfah­rens­techniken ins Spiel, wobei in der »Variation« kreative Verknüp­fungen erfolgen. Wenn mehrere Elemente ein Thema ergänzen, entsteht die »Relation«. Im Kapitel »Sequenz« erreicht man den größten Frei­heitsgrad.

Natürlich ist nicht alles, was als Serie auftritt, schon expe­ri­mentell, worauf die Autoren hinweisen. Im voraus­ge­henden Text beschreiben die Autoren den Entwurf einer Systematik visueller Methoden. Das beginnt mit der Klärung des Begriffs »Expe­riment«, sowohl wissen­schaftlich als auch für die Gestaltung. Das bedeutet auch, dass Wissen­schaft und Gestaltung (oder Kunst) nicht mehr länger auseinander gehalten werden brauchen, sondern sehr viel Gemeinsames haben.

Fakten und Daten müssen erforscht und ermittelt werden, die bild­lichen Vorstel­lungen des Gestalters, die dem eigent­lichen Schöp­fungs­prozess vorausgehen, sind für den Gestal­tenden wesentlich, wobei die eigenen ästhe­tischen Erfah­rungen mit einfließen. Einige Arbeiten werden beispiel­gebend auch in ihrer Methodik beschrieben. Das beginnt mit Künstlern wie Gustave Courbet, Claude Monet, Alexej von Jawlensky, Pablo Picasso, Josef Albers, Bernd und Hilla Becher.

Wer gestal­terisch expe­ri­men­tieren will und zu neuen und guten Ergeb­nissen kommen will, jenseits von platten Vorgaben, der findet hier sehr viele Anre­gungen, um das Feld seiner Möglich­keiten zu erweitern. Und eben einen klugen einfüh­renden Text.

Zur Gestaltung des Buches: Sie ist logisch, die Typo­grafie nimmt sich völlig zurück, hat fast (positiven) Doku­men­ten­cha­rakter. Beim Durchsehen ist das ständige Drehen (die Legenden zu den Seiten stehen immer senkrecht) ergo­nomisch etwas anstrengend. Der schöne, modische offene Rücken   (sehr gutes Blät­ter­ver­halten) entzückt später nicht mehr, denn ich werde das Buch in der Bibliothek kaum mehr finden können. Es sei denn ich gestalte mir ein Rücken­schild. Trotzdem eine groß­artige Sammlung.

Weitere Abbil­dungen auf expe­ri­men­tel­le­ge­staltung.com.

Armin Lindauer, Betina Müller:
Exme­ri­mentelle Gestaltung.
Visuelle Methode und syste­ma­tisches Spiel

424 Seiten mit 3.000 Abbil­dungen
205 × 260 mm,
offene Faden­heftung mit Foli­en­um­schlag
niggli, Zürich, 2015
ISBN 978–3–7212–0912–9
49,80 Euro

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Zu Theorien der Illus­tration

Rudolf Paulus Gorbach

Illus­tration und Typo­grafie – verwandte Themen, seit es den Buchdruck gibt. Zur Theorie der Illus­tration haben Juliane Wenzl und Ulrike Stoltz einen schön gestalteten und reich bebil­derten Aufsatzband heraus­gegeben.

Buchbesprechung

Bilder­bücher: illus­triert und inszeniert

Rudolf Paulus Gorbach

Eine Ausstellung von Bilder­büchern. Die Bücher liegen auf dem Tisch, man kann darin blättern. Und es geht dieses Mal nicht um die Illus­tra­tionen, die gewöhnlich an der Wand hängen und als Kunst betrachtet werden. Der Titel der Ausstellung »Bilder­bücher: illus­triert & inszeniert« macht mich besonders neugierig aufgrund des Begriffs »inszeniert«. Was hat es damit auf sich?

Event

Der mit der Hand denkt

Martina Kopp

Wer mit Daniel Weil in seinen Skiz­zen­büchern blättert, begegnet seinem Leben. In über 400 Skiz­zen­büchern finden sich unzählige Zeich­nungen … und jede erzählt, was ihn inspiriert hat, wo er war. Und nicht selten wird spürbar, was er beim Zeichnen empfunden hat.

Buchbesprechung

Kinder­bücher gestalten

Rudolf Paulus Gorbach

Es ist immer schön, einem Profi über die Schulter schauen zu können. In diesem Fall haben die Profis alles aufge­schrieben, was man über die Schulter schauen kann. Heraus­ge­kommen ist ein Grundlagen-Buch über das »Machen« von Bilder­büchern.

Michael Wrede und Annabelle von Sperber geben einen kompakten Überblick über Bilderbuchgestaltung mit Illustratorenbeispielen zu Themen wie Storytelling und Drucktechnik.
Buchbesprechung

Ideen­ge­schichten

Rudolf Paulus Gorbach

»Viele Wege führen zu groß­artigem Grafik­design. Sie müssen Talent haben, denn das ist die Voraus­setzung für jeden Erfolg. Sie brauchen Leiden­schaft für alles, was Sie tun. Und ohne Ehrgeiz geht es auch nicht.«

Buchbesprechung

Geschichte der Info­grafik

Rudolf Paulus Gorbach

Während die Geburt der Info­grafik auf das 18. Jahr­hundert geschätzt wird, beginnt moderne Info­grafik in illus­trativen Tafeln in der Zeitung »USA Today« 1982 und in Deut­schland mit der »Focus« 1993. Der umfang­reiche Band »History of Infor­mation Graphics« geht jedoch viel weiter zurück und präsentiert den Plan des Klosters Sankt Gallen von 800.