Methoden und Spiel im Experiment
So kündigt der Verlag das Buch an und meint damit, dass in Kunst und Gestaltung methodische Experimente zu Findungen, Lösungen und Einfällen, also zur Kreativität führen, die nicht nur auf Intuition zurückzuführen sind.
Betina Müller und Armin Lindauer beziehen sich in ihrem Buch auf ihren einstigen Lehrer an der HdK Berlin, Helmut Lortz. Beide haben auch viel von ihm in ihre jeweilige Lehrtätigkeit übernommen. Das Buch zeigt auf 400 Seiten zahlreiche Beispiele. Doch sind die einführenden und dazwischenliegenden Texte nicht nur wichtig zum Verständnis des Buches, sondern sind darüber hinaus sehr kluger und sachkundiger Erläuterungen zu den Themen.
Die Themen lauten:
- Basis,
- Interpretation,
- Variation,
- Relation,
- Sequenz.
Neben Arbeiten der Autoren gibt es viele Beiträge von Studierenden, aber auch Gast-Beispiele von bekannten Gestaltern und Künstlern.
In der »Basis« zeigt sich bereits, wie mit einfachen Mitteln erstaunliche Ergebnisse entstehen können.
Mit der »Interpretation« kommen Verfahrenstechniken ins Spiel, wobei in der »Variation« kreative Verknüpfungen erfolgen. Wenn mehrere Elemente ein Thema ergänzen, entsteht die »Relation«. Im Kapitel »Sequenz« erreicht man den größten Freiheitsgrad.
Natürlich ist nicht alles, was als Serie auftritt, schon experimentell, worauf die Autoren hinweisen. Im vorausgehenden Text beschreiben die Autoren den Entwurf einer Systematik visueller Methoden. Das beginnt mit der Klärung des Begriffs »Experiment«, sowohl wissenschaftlich als auch für die Gestaltung. Das bedeutet auch, dass Wissenschaft und Gestaltung (oder Kunst) nicht mehr länger auseinander gehalten werden brauchen, sondern sehr viel Gemeinsames haben.
Fakten und Daten müssen erforscht und ermittelt werden, die bildlichen Vorstellungen des Gestalters, die dem eigentlichen Schöpfungsprozess vorausgehen, sind für den Gestaltenden wesentlich, wobei die eigenen ästhetischen Erfahrungen mit einfließen. Einige Arbeiten werden beispielgebend auch in ihrer Methodik beschrieben. Das beginnt mit Künstlern wie Gustave Courbet, Claude Monet, Alexej von Jawlensky, Pablo Picasso, Josef Albers, Bernd und Hilla Becher.
Wer gestalterisch experimentieren will und zu neuen und guten Ergebnissen kommen will, jenseits von platten Vorgaben, der findet hier sehr viele Anregungen, um das Feld seiner Möglichkeiten zu erweitern. Und eben einen klugen einführenden Text.
Zur Gestaltung des Buches: Sie ist logisch, die Typografie nimmt sich völlig zurück, hat fast (positiven) Dokumentencharakter. Beim Durchsehen ist das ständige Drehen (die Legenden zu den Seiten stehen immer senkrecht) ergonomisch etwas anstrengend. Der schöne, modische offene Rücken (sehr gutes Blätterverhalten) entzückt später nicht mehr, denn ich werde das Buch in der Bibliothek kaum mehr finden können. Es sei denn ich gestalte mir ein Rückenschild. Trotzdem eine großartige Sammlung.
Weitere Abbildungen auf experimentellegestaltung.com.
Armin Lindauer, Betina Müller:
Exmerimentelle Gestaltung.
Visuelle Methode und systematisches Spiel
424 Seiten mit 3.000 Abbildungen
205 × 260 mm,
offene Fadenheftung mit Folienumschlag
niggli, Zürich, 2015
ISBN 978–3–7212–0912–9
49,80 Euro
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