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Buchbesprechung

Bilderbücher: illustriert und inszeniert

Rudolf Paulus Gorbach
10. März 2022
Eine Ausstellung von Bilder­büchern. Die Bücher liegen auf dem Tisch, man kann darin blättern. Und es geht dieses Mal nicht um die Illus­tra­tionen, die gewöhnlich an der Wand hängen und als Kunst betrachtet werden. Der Titel der Ausstellung »Bilder­bücher: illus­triert & inszeniert« macht mich besonders neugierig aufgrund des Begriffs »inszeniert«. Was hat es damit auf sich?
Ausstellungsplakat 2022. Illustration: It’s Rainig Elephants. Grafikdesign: Stillhart Konzept.

Ich krame in meinem Gedächtnis zum Thema der Geschichte von Bilder­büchern und erinnere mich an den inhalt­lichen und auch gestal­te­rischen Aufbruch der 1960er und 1970er-Jahre. Ein Blick in das Stan­dardwerk »Das Bilderbuch« (Klaus Doderer / Helmut Müller, Weinheim 1973) bestätigt meine Erin­nerung. In dieser Zeit sind wesentliche neue Titel erschienen. Neue Kunst und Illus­tration befruchteten kleine und auch sehr große Verlage. Die pädago­gischen Folgen der 68er wurden breit diskutiert. Doch mit dem Verschwinden oder Verkauf der kleinen Verlage wurde es in den folgenden Jahren wieder etwas ruhiger, viel­leicht auch betu­licher in der Bilder­buchszene.

Manche tgm-Mitglieder mögen sich viel­leicht auch noch an einen groß­artigen Vortrag zur Geschichte und Gegenwart des Bilderbuchs von Gisela Stottele (Ravens­burger Verlag) erinnern (Besprechung in »vier Seiten« Nr. 17, März 2002). Jetzt verkündet diese Ausstellung jedoch ein neues Denken, das vor allem weit ins Konzep­ti­onelle und in die Insze­nierung reicht. Natürlich ist nicht alles ganz neu, was jetzt ange­priesen wird. Aber viel­leicht doch in einer bisher noch nicht erlebten Konsequenz.

Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung erklärte Hans ten Doornkaat als Gast­kurator mit der Direktorin des Gewer­be­museums Susanna Kumschick das Konzept und die Darstellung der 120 Bücher dieser Ausstellung. Wie man heute Konzepte viel­fältig und intensiv erar­beitet zeigt die Ausstellung anhand von Konzept­tafeln verschiedener Bilder­buch­ge­stalter. Die Recher­che­arbeit, Recher­che­zeich­nungen, Abfol­ge­versuche und selbst gebaute Szenen­modelle dienen einer strin­genten Vorbe­reitung und Gestaltung. Das Verstehen einer Bildfolge läuft ähnlich wie das Lesen von Sätzen ab: Bild­signale regen eine Vermutung an, wohin die Story führen könnte. Das geschieht meist blitz­schnell und unbewusst (Zitate aus den beglei­tenden Tafeln der Ausstellung). Und ein Vergleich mit den Theorien der Lesbarkeit bleibt nicht aus.

Recherche, Planung und Konzept für ein Bilderbuch.

Die Abfolge im Buch zwischen Bild und Text wird bedeu­tender. Spezielle Farben, Figuren oder Requisiten inten­si­vieren dies. Das Vorsatz oder auch der Umschlag werden in die gesamte Geschichte schon im Storyboard intensiv mit einbezogen. Auch der Buch­umfang verlässt bisweilen die Marke der 32 Inhalts­seiten (womöglich abzugsweise des inte­grierten Vorsatzes). Da spielt auch das Blät­ter­ver­halten mit und selbst der Bund des Buches kann mit Bestandteil einer Bühne für die Erzählung sein. Das andere Extrem wäre dabei das klas­sische Leporello.

Der Bund im Buch als Barriere für die Geschichte im Buch. Isabel Minhós Martins (Text) und Bernardo P. Carvalho (Illustration): Hier kommt keiner durch!

Indi­viduell wird auch das Buch­format selbst den Bedürf­nissen angepasst, bis hin zu extremen Quer- oder Hoch­formaten. »Auch das Viel­fältige kann einfach sein, wenn es leicht zugänglich konzipiert ist. Wimmelige Szenen sind ein Hingucker und ermög­lichen es indi­viduell in das Bild einzu­steigen«.

Es wimmelt.

Wegen der Kürze der Bilder­bücher haben die Illus­tra­tionen ein großes Gewicht. »Die Expo­niertheit der wenigen Zeilen fordert Präzision, textlich und typo­grafisch«. Typo­grafie hat in der Insze­nierung eine große Chance der Verdeut­lichung und Präzi­sierung des Inhalts und ist visuell prägend.

B. J. Novak: Das Buch ohne Bilder. Blanvalet Verlag 2014.

Unter­schiedliche Bild­größen, Zoom­bewe­gungen und parallele Bildebenen aus dem »Guck­kasten« des Bilderbuchs erinnern an bewegte Bilder. Dabei dient das Buch immer auch als Bühne für die Doppelseite, welche entweder linear oder sogar verdichtet genutzt wird.

Zwei Bildebenen im Buch. Miro Poferl: Zum Donnerwetter noch mal! tulipan Verlag 2019.
David Wiesner: Strandgut.

Löcher, Fenster und Klappen können die Erzählung auch materiell und damit haptisch bereichern. Papier­me­chanik und Stan­zungen, bis hin zu den Pop-up-Welten in Büchern, versprechen viel­leicht neue Möglich­keiten, wenn sie nicht nur des Gags wegen eingesetzt werden.

Hier werden die Buchseiten immer kleiner. Johanna Schaible: Es war einmal und wird noch lange sein.

Expe­rimente im Kinderbuch sind dann besonders gut, wenn sie die Kinder (und auch ihre Eltern) erreichen. Grapic Novels, Comics werden verstanden. Und auch die Methode, den Text statt in einer Geschichte nur in direkter Rede der einzelnen Figuren ablaufen zu lassen, samt der Aufgabe für die lesbare Typo­grafie. 

Die Ausstellung bietet insgesamt einen hervor­ra­genden Über- und auch Einblick in das gegen­wärtige Schaffen deutsch­spra­chiger Kinder­buch­ge­stalter und deren Produkte. Man wünscht sich, dass die Ausstellung beispielsweise auch in der Inter­na­ti­onalen Jugend­bi­bliothek in München gezeigt würde. 
Die Ausstellung läuft im Gewer­be­museum Winterthur bis 23. Oktober 2022.
gewer­be­museum.ch

Hans ten Doornkaat hat als Lektor viele Jahr­zehnte Bilder­bücher betreut, von dtv, Nord-Süd-Verlag bis zu Atlantis und war auch Theo­rie­dozent für Illus­tration an der Hoch­schule Luzern Design & Kunst. Demnächst erscheint beim Triest Verlag sein Buch mit dem Titel: Das Medium Bilderbuch (256 Seiten, ISBN 978–3–03836–070–8, 39 Euro).

Blick in die Ausstellung mit Hans ten Doornkaat, dem Gastkurator der Ausstellung.

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