Amtliches Regelwerk: Kleine Zeichen, große Wirkung
Sie haben es wieder getan: Zum 1. Juli 2024 wurde das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung erneut erweitert – diesmal um wesentliche Details zur Mikrotypografie.
»Die Kunst steckt zum größten Teil in den Zwischenräumen«, sagte Jan Tschichold treffend. Für Typograf·innen und Designer·innen, die sich intensiv mit ihrem Handwerk auseinandersetzen, sind diese neuen Regeln daher keine Überraschung – sie gehören zur Grundausbildung im grafischen Bereich. Doch dass diese Feinheiten nun auch für Schulen und Behörden in einem bindenden Regelwerk verankert sind, macht sie einem breiten Publikum bekannt. Es gibt jetzt einen klaren Leitfaden, der die Kunst des feinen Textsatzes noch präziser umsetzbar macht.
In der aktuellen Überarbeitung wurden wichtige Hinweise zur Mikrotypografie (Orthotypografie) hinzugefügt:
1. Die Unterscheidung von Gedankenstrich und Divis
Der Abschnitt 6 des Regelwerks betont, dass das Divis und der der Gedankenstrich nicht verwechselt werden dürfen. Das Divis [-], je nach Verwendung auch Bindestrich, Kurzstrich, Trennstrich oder Viertelgeviertstrich genannt, steht immer in direktem Kontakt zu Buchstaben und fungiert als Wortzeichen. Der längere Gedankenstrich [–], auch Halbgeviertstrich, Bis-Strich oder Streckenstrich, trennt Wörter oder Satzteile hingegen ohne Buchstabenkontakt. Zudem wird auf die unterschiedliche Länge der beiden Striche hingewiesen, was als »systematisches Unterscheidungsmerkmal« dient. Diese Regelung hilft, Missverständnisse zu vermeiden und sorgt für eine präzisere Textgestaltung.
Der Gedankenstrich wird bei Sprecherwechseln, Themenwechseln, überraschenden Wendungen und Konstruktionswechseln eingesetzt. Oft markiert er paarig eingeschobene Zusätze (»Das Buch – es lag schon lange da – wurde endlich gelesen«). Wenn der Zusatz am Anfang oder Ende eines Satzes steht, entfällt der zweite Gedankenstrich.
Das Divis ist übrigens direkt über die Tastatur (rechts unten) erreichbar, den Gedankenstrich erreicht man auf macOS über die Tastenkombination ⌥ und Divis, bzw. auf Windows über die Eingabe von 0150 bei gedrückter Alt-Taste.
2. Die richtige Anwendung von Auslassungspunkten
Der Abschnitt zur Verwendung von Auslassungspunkten im Regelwerk stellt klar, dass Auslassungspunkte »nur dann Kontakt zu Buchstaben« haben dürfen, wenn Teile von Wörtern fehlen (z. B. »Du D…!«). Bei der Auslassung ganzer Wörter müssen sie hingegen durch ein Leerzeichen vom vorhergehenden Wort getrennt werden (»Du …!«). Diese Unterscheidung fördert die Lesbarkeit und sorgt für eine klare Kommunikation. Zudem können diese drei Punkte für Aufzählungen, zur Anzeige von Pausen und Unterbrechungen sowie als Stilmittel verwendet werden, wenn beispielsweise ein Gedanke im Text nicht zu Ende geführt wird … Am Satzende kann ein zusätzlicher Satzpunkt entfallen.
Fachleute verwenden hierfür übrigens nicht drei einzelne Satzpunkte [...] sondern mit der Ellipse ein eigenständiges Schriftzeichen […]. Auf Apple-Desktops erzeugen Sie diese Auslassungspunkte mit ⌥ und dem Satzpunkt [.], auf Windows durch Eingeben der Ziffernfolge 0133 bei gedrückter Alt-Taste.
3. Flexibilität im Umgang mit dem Schrägstrich
Der dritte mikrotypografische Hinweis betrifft den Gebrauch des Schrägstrichs. Der Rat für deutsche Rechtschreibung legt fest, dass der Schrägstrich ohne Leerzeichen verwendet wird, »wenn Wortteile oder einzelne Wörter zusammengehören«, wie in den Beispielen »Patient/-in« oder »Schüler/-innen«. Bei der Zusammenfassung von Wortgruppen, wie »Ende Januar / Anfang Februar«, erlaubt das Regelwerk jedoch die Verwendung von Leerzeichen vor und nach dem Schrägstrich, um die Lesbarkeit zu verbessern. Diese Regelung geht über die DIN 5008 hinaus, die Leerzeichen bei der Zusammenfassung von Wortgruppen nur empfiehlt und weniger detaillierte Vorgaben zum Gebrauch des Schrägstrichs macht.
Wichtig ist dabei, dass der Schrägstrich entweder auf beiden Seiten ohne Leerzeichen oder auf beiden Seiten mit Leerzeichen verwendet wird – Mischformen sind nicht sinnvoll. Diese Regel sorgt für eine einheitliche und gut lesbare Textgestaltung.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist ein zwischenstaatliches Gremium, das seine Legitimation von den Regierungen der deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Belgien erhält. Er überwacht die Einheitlichkeit und Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung, gibt das amtliche Regelwerk heraus und erarbeitet Empfehlungen zur Anpassung der Rechtschreibregeln. Diese Empfehlungen sind für staatliche Institutionen, Schulen, Verlage, Medien und die allgemeine Öffentlichkeit gedacht, um eine einheitliche Anwendung der deutschen Sprache im schriftlichen Bereich sicherzustellen.
Weiterführende Informationen zu den oben genannten Themen finden Sie in der aktuellen Publikation »Amtliches Regelwerk der deutschen Rechtschreibung« vom Rat für deutsche Rechtschreibung, dass Sie am besten gleich hier als PDF laden können. Die besprochenen Neuerungen finden Sie im Kapitel »E – Zeichensetzung«.
Fazit: Die Magie liegt im Detail
Die Typographische Gesellschaft München (tgm) begrüßt die neuen mikrotypografischen Regeln im Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung. Typografische Feinheiten, die bisher oft übersehen wurden, rücken nun ins Rampenlicht. Diese Regeln feiern die feinen Nuancen und machen Texte nicht nur lesbarer, sondern auch eleganter. Ein klares Bekenntnis zu Qualität und Sorgfalt im Umgang mit Schrift – und ein bedeutender Schritt für eine moderne Kommunikationskultur.
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