Lizenziert euch doch selbst!

Noch vor wenigen Jahren war der Schriftvertrieb ein überschaubares Feld. Mein Typografie-Lehrer Joachim Opfer oder Gestalter wie Hansjörg Stulle behaupteten, alle relevanten Schriften benennen zu können. Das war keineswegs anmaßend: Der Markt war kleiner, die Auswahl kuratierter, die Szene vernetzt. Doch heute? Was gilt überhaupt noch als »relevant« – in einem Umfeld, das von Vielfalt überflutet und von Sichtbarkeit abhängig ist?
Zugleich wird der kommerzielle Lizenzmarkt zunehmend von finanzgetriebenen Unternehmen geprägt, deren Priorität weniger auf typografischer Kultur liegt als auf Skalierung und Rendite. Für viele Foundries bedeutet das: sinkende Margen, begrenzte Sichtbarkeit, Vertragsbedingungen, die Abhängigkeiten schaffen – ökonomisch wie gestalterisch.
Doch auch die Nutzerseite ist zunehmend unter Druck: Die Vielfalt digitaler Kanäle hat zu immer kleinteiligeren Lizenzmodellen geführt. Wer eine Schrift einsetzen will, muss sich durch Regelwerke arbeiten, die nach Medium, Reichweite, Format oder Nutzungsdauer differenzieren. Kein Wunder, dass viele lieber auf vermeintlich kostenfreie Alternativen ausweichen – von Google Fonts bis zu Schriften, die als Beigabe in Software-Abos enthalten sind – oder gar zu Systemschriften greifen.
Font-Standpunkt: Schrift als Gemeinschaftsprojekt
Fontstand, die 2015 gegründete Plattform für Miet- und Testlizenzen hochwertiger Schriften, stellt sich nun gegen diesen Trend. Auf der hauseigenen Konferenz im Juni 2025 in Den Haag gab das Gründerteam – Andrej Krátky, Peter Biľak, Christine Bateup und Christopher Slye – bekannt, dass die Plattform noch dieses Jahr als internationale Genossenschaft operativ werden soll. Foundries, Designer:innen und Anwender:innen selbst sollen das Projekt künftig gemeinsam tragen, finanzieren und weiterentwickeln. Für den Umbau sollen 500.000 Euro über ein Community-basiertes Crowdfunding eingesammelt werden.
Den Auftakt bildet eine offene Umfrage. Fontstand möchte wissen: Was läuft beim Schriftenkauf schief, was ist verwirrend, was überholt? Alle, die mit Schrift arbeiten, sind eingeladen, ihre Perspektive einzubringen. Die Community selbst soll neue Standards setzen.

Lizenz zum Kollektiv
Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Denn je mehr Plattformen auf SEO-Tauglichkeit, Preisdruck und Standardästhetiken optimieren, desto weniger Raum bleibt für gestalterische Handschrift, kulturelle Diversität und typografisches Experiment. Besonders Independent Type Foundries, die mit multiscriptalen Systemen, Custom Fonts oder forschungsbasierter Gestaltung Innovationen vorantreiben, geraten in einem uniformierten Markt zunehmend ins Hintertreffen.
Eine Genossenschaft könnte das ändern: Weg von Shareholder-Logik, hin zu demokratischer Teilhabe mit nachvollziehbare Entscheidungen und faire Verteilung der Erlöse. Ein Lizenzsystem, das der Realität der Gestaltenden entspricht – und den Wert von Schrift als kulturelles Gut anerkennt.
Glyphen und Genossen
Ob das Experiment gelingt, wird sich zeigen. Der Aufbau eines global handlungsfähigen Kollektivs ist komplex, rechtlich wie organisatorisch. Aber dennoch sendet Fontstand damit schon jetzt ein deutliches Signal: Schrift ist keine beliebig skalierbare Datenmenge, sondern gestaltete Kultur – und ihre Vermarktung darf sich dieser Tatsache nicht entziehen.
Der Schritt zur Genossenschaft ist eine bewusste Antwort auf die Schwächen des bestehenden Systems. Er steht für Verantwortung statt Verwertung, für Mitsprache statt Margendruck. Und vielleicht auch für eine Haltung in der Branche: dass gute Gestaltung nicht nur im Detail der Buchstaben liegt – sondern auch in der Art, wie wir zusammenarbeiten. Gute Gestaltung ist zunächst eine Haltung, kein Business.
Nachtrag am 7. Juli 2025: Die Umfrage zur Fontstand-Genossenschaft wurde am 6. Juli geschlossen. Aktuell startet die Auswertung der Ergebnisse.
Nachtrag am 9. Juli 2025: Das Foto vom Fontstand Foundry Meeting am 22. April 2018 wurde dem Artikel hinzugefügt.
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