typographische
zitate
In Systemen zu denken und zu arbeiten, schafft neue Perspektiven.
Dr. Martin Lorenz bei seinem tgm-Vortrag

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Elsenheimerstraße 48
80687 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Schriftgestaltung in Zürich

Rudolf Paulus Gorbach
18. August 2021
Warum gestaltet jemand eine neue Schrift, wo es doch unzählige gibt, vor allem neue? Zum Brot­erwerb dient es eher selten. Aber das Entwickeln und Gestalten einer neuen, eigenen Schrift bietet dem Schrift­ge­stalter inter­essante und viel­fältige Erfah­rungen. Rudolf Barmettler von der Zürcher Hoch­schule für Gestaltung berichtet aus seiner umfang­reichen Erfahrung über die Ausbildung von Schrift­ge­staltern und über Aspekte rund um das Thema.
»Zürich Type Designein Fach- und Lesebuch für alle an Schrift Inter­es­sierten« fasst von Rudolf Barmettlers Erfahrungen zur Lehre für Schriftgestalter an der Züricher Hochschule für Gestaltung zusammen

Gestalten hat viel mit Haltung zu tun, das wird schon im Vorwort deutlich. Viele Gestalter wollen sich mit einer eigenen Gestal­tungs­i­dentität insze­nieren. Als Beweis dafür gilt eine indi­viduell kreierte Schrift. Für die Außen­wahr­nehmung eines Unter­nehmens gilt eine neue Schrift auch als neuer Look, beschränkt sich aber oft auf »des Kaisers neue Kleider«.

Schrift­pro­duktion wird häufig von »deko­rie­renden« Grafikern erobert. Hierzu nennt Barmettler die Schule von Lausanne. Wogegen in Den Haag und Reading alte Schriften ausge­graben und neuge­staltet würden. Und in Zürich bemühe man sich einfach um neue Schriften, nämlich Text­schriften, so Barmettler. Beständig und nach­haltig sollen diese Schriften sein und nicht nur ein »blosses Spiel mit Formen auf der Fläche«. Es geht dagegen um sehr feine formale Diffe­renzen, um Propor­tionen auch der Tradition, wissen­schaftlich-optische Tatsachen, die Zusam­menhänge daraus und natürlich das Lernen aus der Schrift­ge­schichte. 

Über die Aufgabe der Schriftlehre speziell in Zürich berichtet Barmettler ausführlich. Der schwierige Weg, wie es überhaupt zu der Sonderform dieses Studiums kam, wie tief verwurzelt in die Möglich­keiten eines modernen und intensiven Unter­richts seine Arbeit ist und vor allem wie für das Ziel der Gestaltung einer Lese­schrift vorge­gangen wird. Dazu kommen auch Barmettlers Mitstreiter und Dozenten zu Wort wie André Baldinger Hans-Jürg Hunziker und Anton Studer. 

Dass Kalli­grafie für die Schrift­ge­staltung nicht nur wichtig, sondern bedeutend ist, stellt Katharina Wolff dar. Sie geht dabei auf verschiedene Entwurfs­prin­zipien, Schreib­tra­di­tionen, Werkzeuge und Übungen ein. Dass künftige Schrift­ent­wick­lungen nicht dem aktuellen Zeitgeist folgen, sondern aus der Vergan­genheit neu entstehen müssen, ist Barmettlers Prinzip, die er in seinem Fach Geschichte der Schrift vertritt. 

Basis des Buches sind aber 70 neue Schriften, die vorge­stellt werden und im Schrift­un­terricht von CAS Schrift­ge­staltung und MAS Type Design und MAS (das sind die Namen der Kurse) als Ergebnis und praxisreif entstanden sind. Dazu gehören auch einige Schriften, die bereits in der Praxis bekannt und etabliert sind. 

Spannend sind auch zusätzliche Beiträge wie die Vorstellung des »Type­finders« von Christian Flepp oder die Entwicklung des Type-Gene­rators von Remo Caminada. Doch kommt auch die Geschichte nicht nur in den Darstel­lungen zur Schrift­ge­schichte oder Kalli­grafie zur Geltung. Robert Kinross über die große Zeit der Monotype. Georg Saldens erinnert daran, dass Form­arbeit nur aus der Hand­arbeit entstehen kann und Schrif­ten­machen auch eine Schulung des optischen Empfindens ist. An Eduard Meier wird erinnert (er hatte schon in den Fünf­zi­ger­jahren des vergangenen Jahr­hunderts eine neue Schrift (erstmals viel­leicht) konzep­tionell vorge­stellt; die Schrift heißt Syntax. Bruno Margreth gibt eine spezielle Epoche wieder mit seiner Abhandlung zum Schriftbild im Fotosatz. 

Das sich Schrift­ent­wicklung längst nicht mehr nur im euro­pä­ischen Raum abspielt, ist auch der Blick von Fiona Ross auf »Non-latin type design« unent­behrlich.

Während ich dies schreibe und zum Lesen der Seiten­zahlen laufend das doch relativ große Buch drehen muss, denke ich auch über die Gestaltung, also die Typo­grafie dieses Buches nach. Generell eine sympa­thische schwei­ze­rische Buch­ge­staltung, ohne »Kinker­litzchen«, gesetzt aus der Baldinger Pro. Jedoch sind die Fußnoten in einer dünnen, sehr kleinen Bline Mono gesetzt. Die kleinen Seiten­zahlen sind zudem gestürzt ange­ordnet. Ein Wider­spruch zu dem, was hier über Lesbarkeit gesagt wird?

Zürich Type Design
Ein Fach- und Lesebuch für alle an Schrift Inter­es­sierten
Rudolf Barmettler (Hrsg.)
Buch­ge­staltung: Baldinger + Vu-Huu, Paris
296 Seiten, durch­gehend illus­triert
222 × 30,7 mm
Broschur mit freiem Rücken und Schutz­um­schlag
Triest Verlag, Zürich 2020
49 Euro
ISBN 978–3–03863–043–2

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Schrift­studium in Deut­schland

Rudolf Paulus Gorbach

Für die Geschichte des Blei­satzes im 20. Jahr­hundert ist Leipzig mit seinen engen Verbin­dungen zum graphischen Gewerbe, zu Schrift­gie­ßereien und Buch­verlagen von zentraler Bedeutung.

Sansa von Fred Smeijers, 2003
Buchbesprechung

Schrift – nicht nur in Print und Screen

Rudolf Paulus Gorbach

Das große Rätselraten beginnt immer dann, wenn Typo­grafen ihr ange­stammtes Gebiet, meist Print oder Screen, verlassen: Wie macht man das denn dort, zum Beispiel auf Stein?

Buchbesprechung

Schön­schrift bis Kugel­schreiber

Rudolf Paulus Gorbach

Nachdem sich der Begriff »Lettering« von seiner ursprüng­lichen Bedeutung zu einem modischen Trend gewandelt hatte, rückte die persönliche Hand­schrift natürlich immer mehr in den Mittelpunkt des allge­meinen Interesses.

Christine Nelson: Zauber der Schrift