Schriftgestaltung in Zürich
Gestalten hat viel mit Haltung zu tun, das wird schon im Vorwort deutlich. Viele Gestalter wollen sich mit einer eigenen Gestaltungsidentität inszenieren. Als Beweis dafür gilt eine individuell kreierte Schrift. Für die Außenwahrnehmung eines Unternehmens gilt eine neue Schrift auch als neuer Look, beschränkt sich aber oft auf »des Kaisers neue Kleider«.
Schriftproduktion wird häufig von »dekorierenden« Grafikern erobert. Hierzu nennt Barmettler die Schule von Lausanne. Wogegen in Den Haag und Reading alte Schriften ausgegraben und neugestaltet würden. Und in Zürich bemühe man sich einfach um neue Schriften, nämlich Textschriften, so Barmettler. Beständig und nachhaltig sollen diese Schriften sein und nicht nur ein »blosses Spiel mit Formen auf der Fläche«. Es geht dagegen um sehr feine formale Differenzen, um Proportionen auch der Tradition, wissenschaftlich-optische Tatsachen, die Zusammenhänge daraus und natürlich das Lernen aus der Schriftgeschichte.
Über die Aufgabe der Schriftlehre speziell in Zürich berichtet Barmettler ausführlich. Der schwierige Weg, wie es überhaupt zu der Sonderform dieses Studiums kam, wie tief verwurzelt in die Möglichkeiten eines modernen und intensiven Unterrichts seine Arbeit ist und vor allem wie für das Ziel der Gestaltung einer Leseschrift vorgegangen wird. Dazu kommen auch Barmettlers Mitstreiter und Dozenten zu Wort wie André Baldinger Hans-Jürg Hunziker und Anton Studer.
Dass Kalligrafie für die Schriftgestaltung nicht nur wichtig, sondern bedeutend ist, stellt Katharina Wolff dar. Sie geht dabei auf verschiedene Entwurfsprinzipien, Schreibtraditionen, Werkzeuge und Übungen ein. Dass künftige Schriftentwicklungen nicht dem aktuellen Zeitgeist folgen, sondern aus der Vergangenheit neu entstehen müssen, ist Barmettlers Prinzip, die er in seinem Fach Geschichte der Schrift vertritt.
Basis des Buches sind aber 70 neue Schriften, die vorgestellt werden und im Schriftunterricht von CAS Schriftgestaltung und MAS Type Design und MAS (das sind die Namen der Kurse) als Ergebnis und praxisreif entstanden sind. Dazu gehören auch einige Schriften, die bereits in der Praxis bekannt und etabliert sind.
Spannend sind auch zusätzliche Beiträge wie die Vorstellung des »Typefinders« von Christian Flepp oder die Entwicklung des Type-Generators von Remo Caminada. Doch kommt auch die Geschichte nicht nur in den Darstellungen zur Schriftgeschichte oder Kalligrafie zur Geltung. Robert Kinross über die große Zeit der Monotype. Georg Saldens erinnert daran, dass Formarbeit nur aus der Handarbeit entstehen kann und Schriftenmachen auch eine Schulung des optischen Empfindens ist. An Eduard Meier wird erinnert (er hatte schon in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eine neue Schrift (erstmals vielleicht) konzeptionell vorgestellt; die Schrift heißt Syntax. Bruno Margreth gibt eine spezielle Epoche wieder mit seiner Abhandlung zum Schriftbild im Fotosatz.
Das sich Schriftentwicklung längst nicht mehr nur im europäischen Raum abspielt, ist auch der Blick von Fiona Ross auf »Non-latin type design« unentbehrlich.
Während ich dies schreibe und zum Lesen der Seitenzahlen laufend das doch relativ große Buch drehen muss, denke ich auch über die Gestaltung, also die Typografie dieses Buches nach. Generell eine sympathische schweizerische Buchgestaltung, ohne »Kinkerlitzchen«, gesetzt aus der Baldinger Pro. Jedoch sind die Fußnoten in einer dünnen, sehr kleinen Bline Mono gesetzt. Die kleinen Seitenzahlen sind zudem gestürzt angeordnet. Ein Widerspruch zu dem, was hier über Lesbarkeit gesagt wird?
Zürich Type Design
Ein Fach- und Lesebuch für alle an Schrift Interessierten
Rudolf Barmettler (Hrsg.)
Buchgestaltung: Baldinger + Vu-Huu, Paris
296 Seiten, durchgehend illustriert
222 × 30,7 mm
Broschur mit freiem Rücken und Schutzumschlag
Triest Verlag, Zürich 2020
49 Euro
ISBN 978–3–03863–043–2