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Presse

Drastische Reformen beim BR – tgm nimmt Stellung

Michael Bundscherer
23. Januar 2024
Die umstrittenen Reformen beim Baye­rischen Rundfunk (BR) werfen entscheidende Fragen auf und erfordern eine gründliche Bewertung. Der Studiobau am Münchner Haupt­bahnhof soll abge­rissen und tradi­ti­ons­reiche Kultur- und Lite­ra­tur­sen­dungen aus dem Programm von Bayern 2 gestrichen werden.
3d iconography, paperworks, of broken speakers

Der BR-Studiobau – ein Erbe aus 60 Jahren

Wenn man mit dem Zug in München ankommt, fällt einem das beein­dru­ckende Gebäude des BR-Funk­hauses auf: ein Hochhaus im Stil der 70er Jahre, 60 Meter hoch. Und in der Baugruppe dahinter verbergen sich 100 Jahre Rund­funk­ge­schichte: Der Riemer­schmid-Bau in der Hopfen­straße wurde 1929 eingeweiht. Der Studiobau, von 1958 bis 1963 von Josef Wiedemann errichtet, prägte das München der Nach­kriegszeit entscheidend. Denn das gesamte Ensemble zählte zu den modernsten Funk­häusern Europas und gilt als erste Radiocity! Alles befindet sich »unter einem Dach«: Musik- und Wort­s­tudios, Archive, Sende­komplexe, Konzertsäle, Büros, Schnei­deräume, Unterkunft für das Münchner Rund­fun­kor­chester, Proberäume, Künst­lerfoyer, Klavier­werkstatt und Instru­men­tenlager. Ein durch­kom­po­niertes Gebäude für alle Bedürfnisse. Die entkoppelte Haus-im-Haus-Bauweise der Aufnah­meräume ermöglicht die gleich­zeitige Produktion von Kammermusik- und Popmu­sik­auf­nahmen, Orches­ter­werken und Hörspielen, Features und Lesungen. Der Studiobau steht als Prototyp für die in Deut­schland erstmals reali­sierte Betonpfahl-Bauweise mit vorge­hängter hinter­lüfteter Natur­stein­fassade.

In seiner langen Geschichte sind im BR-Studiobau zahl­reiche preis­ge­krönte Musik­pro­duk­tionen, Hörspiele, Lesungen und Reportagen entstanden. Jedes der fast 60 mit speziellen Decken- und Wand­pa­neelen ausge­statteten Studios unter­schied­licher Größe ist ein akus­tisches Highlight und begeistert nicht nur Künst­le­rinnen und Künstler wie Placido Domingo, Vesselina Kasarova, Anna Netrebko, Ewa Kupiec, Sol Gabetta, Kirill Gerstein, Katie Melua und Igor Levit – aber auch Christian Gerhaher und Gerold Huber, die für ihre heraus­ragende Schumann-Gesamt­aufnahme mit dem Preis der Deutschen Schall­plat­ten­kritik 2022 ausge­zeichnet wurden sowie nicht zuletzt zahl­reiche vokale Musi­ker·innen. Beliebte Hörspiele wie »Pumuckl« und »Die Löwengrube« entstanden hier ebenso wie inno­vative Produk­tionen beispielsweise der erste inter­aktive »Radio-Tatort«, »Der Mann ohne Eigen­schaften« und »Saal 101: Doku­men­ta­r­hörspiel zum NSU-Prozess«. Prominente Persön­lich­keiten wie Gustl Bayr­hammer, Gerhard Polt, Udo Wachtveitl, Jessye Norman, Jonas Kaufmann und Hannah Arendt waren hier zu Gast. Unver­gesslich: Die Lesung von Günter Grass aus seinem damals noch unver­öf­fent­lichten Roman »Die Blech­trommel«.

Trotz seiner histo­rischen und kultu­rellen Bedeutung beab­sichtigt die Geschäfts­leitung des Baye­rischen Rundfunks, den Studiobau abzu­reißen, was das intakte System des Münchner Funk­hausareals natürlich stark beein­trächtigen würde. Diese Über­le­gungen stoßen auf Unver­ständnis und Kritik. Denn der drohende Verlust geht weit über das bauliche Erbe hinaus und betrifft kulturelle Identität, musi­ka­lische Vielfalt und Raum für Krea­tivität. Statt in das intakte System des Münchner Funk­hausareals am Haupt­bahnhof, also mitten in der Stadt, das auf eine lange Geschichte zurück­blicken kann, zu inves­tieren, beab­sichtigt die Intendanz, speziell für das Münchner Rund­fun­kor­chester und den Chor des Baye­rischen Rundfunks mehrere Millionen Euro für ein Provi­sorium auszugeben. Zwei Fern­seh­studios sollen in Unter­föhring akustisch ausgebaut werden, »out of town«, ohne Infra­s­truktur, ohne Nahver­kehrs­an­bindung. Diese Pläne haben bereits zahl­reiche Proteste nicht nur von Personen aus der Musik, Schau­spielkunst und Kunst, sondern auch von Fach­leuten aus der Archi­tektur und Denk­mal­pflege und vom Bezirks­aus­schuss München-Maxvorstadt hervor­gerufen. Weitere Infor­ma­tionen hierzu auch auf BRstu­diobau-retten.de.

Die geplante »Kultur­reform« bei Bayern 2

Bayern 2, ein Hörfunk­programm des Baye­rischen Rundfunks (BR), zeichnet sich durch ein qualitativ hoch­wertiges und viel­fältiges Programm­angebot aus, das auf anspruchsvolle Kultur- und Wissens­inhalte sowie vertiefende Hinter­grund­in­for­ma­tionen und Analysen setzt. Der Sender verbindet detail­lierte Analysen aktueller Ereignisse mit einem breiten Spektrum an Kultur-, Bildungs- und Kinder­pro­grammen aus den Fach­re­dak­tionen sowie einer unver­wech­selbaren Musik­auswahl.

Bayern 2 nimmt somit eine wichtige Stellung im öffentlich-recht­lichen Rundfunk ein und spielt eine zentrale Rolle in der Kultur­be­richt­er­stattung des Baye­rischen Rundfunks. Die Kultur­re­daktion hat sich über die Jahre eine heraus­ragende Bedeutung erar­beitet. Sie informiert über das kulturelle Leben in Bayern und darüber hinaus, bietet Raum für Debatten und dient als Plattform für die Ausein­an­der­setzung mit aktuellen poli­tischen und gesell­schaft­lichen Fragen. Gerade die Vielfalt der Stimmen macht Bayern 2 zu einem lebendigen und einfluss­reichen Medium des kultu­rellen und poli­tischen Diskurses.

Die geplante Reform von Bayern 2 hat nicht nur innerhalb der Rund­funk­­anstalt für hitzige Diskus­sionen gesorgt. Auch außerhalb des Senders regt sich Widerstand gegen diese einschnei­denden Verän­de­rungen. Vor dem Aus stehen jetzt offenbar tradi­ti­onelle Kultur- und Lite­ra­tur­sen­dungen wie »kulturWelt« (werk­­täg­liches halb­stündiges Feuilleton), »radi­oTexte« (lite­ra­rische Lesungen mit Auto­ren­ge­sprächen), »Diwan. Das Bücher­­magazin«, »Sozusagen. Bemer­kungen zur deutschen Sprache«, »Kultur­journal«, »Film­kultur«, »Nacht­studio«, »Jazz & Politik« … (Klicken Sie die Links an und hören Sie in die Sendungen rein, die es bald nicht mehr geben soll. Diese weden übrigens auch als Podcasts angeboten, die sie auf Ihrem Smartphone abonieren und zwischendurch hören können.)

Mit der werk­täg­lichen und sonn­täg­lichen »kulturWelt« wird das einzige aktuelle Kultur­magazin des BR gestrichen. Einzelne Beiträge sollen zwar in andere Maga­zin­sen­dungen einge­streut werden, eine Kontex­tu­a­li­sierung und kompetente Mode­ration durch die Kultur­re­daktion wie bisher ist aber nicht mehr vorgesehen. Die wenigen Befür­worter der geplanten Reform argu­men­tieren, dass eine Anpassung des Programm­schemas notwendig sei, um dem demo­gra­fischen Ungleich­gewicht im Publikum entge­gen­zu­wirken und verstärkt jüngere Ziel­gruppen anzu­sprechen. Dies ist zunächst ein unter­stüt­zens­wertes Anliegen. Allerdings bleiben auch nach Monaten der Ankün­digung viele Fragen offen.

Beispielsweise ist nicht klar, warum ein solcher Kahl­schlag für junge Menschen attraktiv sein soll. Es erscheint paradox, dass bewährte und geschätzte Programme, die durchaus Raum für Inno­vation und Expe­rimente bieten, abge­schafft werden sollen, bevor alter­native Konzepte überhaupt erprobt werden konnten. Kultur- und Lite­ra­tur­för­de­rungen bieten bereits heute etablierten Künst­le­rinnen und Künstlern eine Plattform und aufstre­benden Talenten die Möglichkeit, ihre Werke einem breiten Publikum vorzu­stellen. Eine Umstruk­tu­rierung hin zu einheit­lichen, mehr­stündigen Magazinen könnte dazu führen, dass Ecken und Kanten und fachliche Kompetenz verloren gehen und baju­wa­rischer Main­stream bevorzugt wird. Dies würde die kulturelle Vielfalt und den demo­kra­tischen Diskurs erheblich beein­trächtigen – eine bedenkliche Entwicklung.

Kultur in Not: Die Zivil­ge­sell­schaft muss handeln

Beiden Themen – der geplanten Reform von Bayern 2 und dem geplanten Abriss des BR-Studio­ge­bäudes – ist gemeinsam, dass es sich um Entschei­dungen handelt, die in der BR-Geschäfts­führung getroffen wurden. Der Vorstand der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München ist jedoch der Auffassung, dass diese aufgrund ihrer Bedeutung einen gesell­schaft­lichen Diskurs erfordern. Und tatsächlich haben beide Themen Kultur- und Medi­en­verbände auf den Plan gerufen, nicht zuletzt die Typo­gra­phische Gesell­schaft München. Erste Maßnahmen wurden ergriffen. So wurde der BR-Studiobau in die Rote Liste des Deutschen Kulturrats aufge­nommen, was die Dring­lichkeit der Situation verdeutlicht. Dieses prägende und einprägsame Gebäude mit seiner jahr­zehn­te­langen Tradition, dieser Ort der Krea­tivität und Inno­vation darf nicht verloren gehen.

Der Vorstand der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München schließt sich somit den Worten des Geschäfts­führers des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, an: »Wir appel­lieren an den Baye­rischen Rundfunk, den Kulturort Studiobau in der Mitte von München nicht zu zerstören.« Ein Lichtblick ist, dass das Landesamt für Denk­mal­pflege derzeit prüft, ob der Studiobau unter Denk­mal­schutz gestellt werden kann. Das könnte den Abriss verhindern.

Auch die Reform von Bayern 2 und die damit verbundene Streichung aner­kannter und erfolg­reicher Kultur- und Lite­ra­tur­sen­dungen bedroht einen wichtigen Teil unseres kultu­rellen Erbes und unserer heutigen Kultur­land­schaft in Bayern und darüber hinaus. Die Zeit drängt, denn bereits am 8.2.2024 findet die nächste Rund­fun­k­rats­sitzung statt, am 2.4.2024 soll die Bayern-2-Reform in Kraft treten!

Der Verlust dieser kultu­rellen Leuchttürme hätte nicht nur Auswir­kungen auf das kulturelle Leben in Deut­schland, sondern auch auf den demo­kra­tischen Diskurs. Bildung und kulturelle Vielfalt sind für die gesamte Gesell­schaft von großer Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb wird die Entwicklung von Bayern 2 und des Studiobaus derzeit sowohl im Vorstand als auch unter unseren Mitgliedern intensiv diskutiert.

Als stell­ver­tre­tender Vorsit­zender der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München (tgm) möchte ich betonen: »Ich appelliere eindringlich an alle Verant­wort­lichen: Der sorg­fältige Erhalt und die durch­dachte Weiter­ent­wicklung des Programm­an­gebots von Bayern 2 sind für die kulturelle Vielfalt unver­zichtbar. Ebenso muss der Studiobau als Zentrum von Krea­tivität und jour­na­lis­tischer Kompetenz erhalten bleiben. Wir fordern eine behutsame und verant­wor­tungsvolle Gestaltung dieser Verän­de­rungen, die sowohl den Bedürf­nissen der jungen Gene­ration als auch den Werten unserer Kultur gerecht wird. Eine ange­messene Finan­zierung ist entscheidend, um die Qualität der Inhalte zu sichern.«

Die aktuelle Debatte macht deutlich, wie wichtig es ist, unser kultu­relles Erbe zu schützen und für kulturelle Vielfalt einzu­treten. Dies ist jedoch eine gesam­t­­ge­sell­schaftliche Heraus­for­derung. Deshalb rufe ich mit Unter­stützung unseres Vorstandes auch die Öffent­lichkeit auf, sich aktiv in diesen Diskurs einzu­bringen und sich der Tragweite dieser Fragen bewusst zu werden.

Was können Sie unter­nehmen? Bereits am 25.1.2024 feiert der Baye­rische Rundfunk seinen 75. Geburtstag. Zu diesem Ereignis veran­stalten die »Bayern 2 Freunde« von 12 bis 14 Uhr am Rund­funkplatz 1 eine Demo, gegen den »Baye­rischen Kultur­SchrumpFunk« und für mehr Kultur auf Bayern 2. Der Baye­rische Rundfunk hat zu Jubiläum eine separate Seite einge­richtet, auf der Sie Glück­wünsche (oder auch nur Wünsche?) als Selfie-Video senden können. Wir laden Sie außerdem herzlich ein, sich an der Petition gegen die geplante Reform von Bayern 2 zu beteiligen.

Nachtrag am 31.1.2024: Trotz der Proteste von ca. 9.000 Unterstützenden und Prominenten auf openPetition und der Demonstration am 25.1.2024 (zur Video-Zusammenfassung), gegen die Kürzungen der Kultursendungen auf Bayern 2 hat der Bayerische Rundfunk (noch) nicht reagiert.
Deshalb wird am 8.2.2024, also am Tag der entscheidenden Rundfunkrats­sitzung, von 5 Minuten vor 12 Uhr bis 13 Uhr (!) (im letzten Newsletter hatten wir noch eine alte Uhrzeit genannt), zu einer noch größeren Demonstration aufgerufen – mit einer interes­santen Redeliste und Livemusik. Sie findet am Rundfunkplatz 1 in München statt, kommt gerne zahlreich.

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