Drastische Reformen beim BR – tgm nimmt Stellung
Der BR-Studiobau – ein Erbe aus 60 Jahren
Wenn man mit dem Zug in München ankommt, fällt einem das beeindruckende Gebäude des BR-Funkhauses auf: ein Hochhaus im Stil der 70er Jahre, 60 Meter hoch. Und in der Baugruppe dahinter verbergen sich 100 Jahre Rundfunkgeschichte: Der Riemerschmid-Bau in der Hopfenstraße wurde 1929 eingeweiht. Der Studiobau, von 1958 bis 1963 von Josef Wiedemann errichtet, prägte das München der Nachkriegszeit entscheidend. Denn das gesamte Ensemble zählte zu den modernsten Funkhäusern Europas und gilt als erste Radiocity! Alles befindet sich »unter einem Dach«: Musik- und Wortstudios, Archive, Sendekomplexe, Konzertsäle, Büros, Schneideräume, Unterkunft für das Münchner Rundfunkorchester, Proberäume, Künstlerfoyer, Klavierwerkstatt und Instrumentenlager. Ein durchkomponiertes Gebäude für alle Bedürfnisse. Die entkoppelte Haus-im-Haus-Bauweise der Aufnahmeräume ermöglicht die gleichzeitige Produktion von Kammermusik- und Popmusikaufnahmen, Orchesterwerken und Hörspielen, Features und Lesungen. Der Studiobau steht als Prototyp für die in Deutschland erstmals realisierte Betonpfahl-Bauweise mit vorgehängter hinterlüfteter Natursteinfassade.
In seiner langen Geschichte sind im BR-Studiobau zahlreiche preisgekrönte Musikproduktionen, Hörspiele, Lesungen und Reportagen entstanden. Jedes der fast 60 mit speziellen Decken- und Wandpaneelen ausgestatteten Studios unterschiedlicher Größe ist ein akustisches Highlight und begeistert nicht nur Künstlerinnen und Künstler wie Placido Domingo, Vesselina Kasarova, Anna Netrebko, Ewa Kupiec, Sol Gabetta, Kirill Gerstein, Katie Melua und Igor Levit – aber auch Christian Gerhaher und Gerold Huber, die für ihre herausragende Schumann-Gesamtaufnahme mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2022 ausgezeichnet wurden sowie nicht zuletzt zahlreiche vokale Musiker·innen. Beliebte Hörspiele wie »Pumuckl« und »Die Löwengrube« entstanden hier ebenso wie innovative Produktionen beispielsweise der erste interaktive »Radio-Tatort«, »Der Mann ohne Eigenschaften« und »Saal 101: Dokumentarhörspiel zum NSU-Prozess«. Prominente Persönlichkeiten wie Gustl Bayrhammer, Gerhard Polt, Udo Wachtveitl, Jessye Norman, Jonas Kaufmann und Hannah Arendt waren hier zu Gast. Unvergesslich: Die Lesung von Günter Grass aus seinem damals noch unveröffentlichten Roman »Die Blechtrommel«.
Trotz seiner historischen und kulturellen Bedeutung beabsichtigt die Geschäftsleitung des Bayerischen Rundfunks, den Studiobau abzureißen, was das intakte System des Münchner Funkhausareals natürlich stark beeinträchtigen würde. Diese Überlegungen stoßen auf Unverständnis und Kritik. Denn der drohende Verlust geht weit über das bauliche Erbe hinaus und betrifft kulturelle Identität, musikalische Vielfalt und Raum für Kreativität. Statt in das intakte System des Münchner Funkhausareals am Hauptbahnhof, also mitten in der Stadt, das auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, zu investieren, beabsichtigt die Intendanz, speziell für das Münchner Rundfunkorchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks mehrere Millionen Euro für ein Provisorium auszugeben. Zwei Fernsehstudios sollen in Unterföhring akustisch ausgebaut werden, »out of town«, ohne Infrastruktur, ohne Nahverkehrsanbindung. Diese Pläne haben bereits zahlreiche Proteste nicht nur von Personen aus der Musik, Schauspielkunst und Kunst, sondern auch von Fachleuten aus der Architektur und Denkmalpflege und vom Bezirksausschuss München-Maxvorstadt hervorgerufen. Weitere Informationen hierzu auch auf BRstudiobau-retten.de.
Die geplante »Kulturreform« bei Bayern 2
Bayern 2, ein Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks (BR), zeichnet sich durch ein qualitativ hochwertiges und vielfältiges Programmangebot aus, das auf anspruchsvolle Kultur- und Wissensinhalte sowie vertiefende Hintergrundinformationen und Analysen setzt. Der Sender verbindet detaillierte Analysen aktueller Ereignisse mit einem breiten Spektrum an Kultur-, Bildungs- und Kinderprogrammen aus den Fachredaktionen sowie einer unverwechselbaren Musikauswahl.
Bayern 2 nimmt somit eine wichtige Stellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein und spielt eine zentrale Rolle in der Kulturberichterstattung des Bayerischen Rundfunks. Die Kulturredaktion hat sich über die Jahre eine herausragende Bedeutung erarbeitet. Sie informiert über das kulturelle Leben in Bayern und darüber hinaus, bietet Raum für Debatten und dient als Plattform für die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen. Gerade die Vielfalt der Stimmen macht Bayern 2 zu einem lebendigen und einflussreichen Medium des kulturellen und politischen Diskurses.
Die geplante Reform von Bayern 2 hat nicht nur innerhalb der Rundfunkanstalt für hitzige Diskussionen gesorgt. Auch außerhalb des Senders regt sich Widerstand gegen diese einschneidenden Veränderungen. Vor dem Aus stehen jetzt offenbar traditionelle Kultur- und Literatursendungen wie »kulturWelt« (werktägliches halbstündiges Feuilleton), »radioTexte« (literarische Lesungen mit Autorengesprächen), »Diwan. Das Büchermagazin«, »Sozusagen. Bemerkungen zur deutschen Sprache«, »Kulturjournal«, »Filmkultur«, »Nachtstudio«, »Jazz & Politik« … (Klicken Sie die Links an und hören Sie in die Sendungen rein, die es bald nicht mehr geben soll. Diese weden übrigens auch als Podcasts angeboten, die sie auf Ihrem Smartphone abonieren und zwischendurch hören können.)
Mit der werktäglichen und sonntäglichen »kulturWelt« wird das einzige aktuelle Kulturmagazin des BR gestrichen. Einzelne Beiträge sollen zwar in andere Magazinsendungen eingestreut werden, eine Kontextualisierung und kompetente Moderation durch die Kulturredaktion wie bisher ist aber nicht mehr vorgesehen. Die wenigen Befürworter der geplanten Reform argumentieren, dass eine Anpassung des Programmschemas notwendig sei, um dem demografischen Ungleichgewicht im Publikum entgegenzuwirken und verstärkt jüngere Zielgruppen anzusprechen. Dies ist zunächst ein unterstützenswertes Anliegen. Allerdings bleiben auch nach Monaten der Ankündigung viele Fragen offen.
Beispielsweise ist nicht klar, warum ein solcher Kahlschlag für junge Menschen attraktiv sein soll. Es erscheint paradox, dass bewährte und geschätzte Programme, die durchaus Raum für Innovation und Experimente bieten, abgeschafft werden sollen, bevor alternative Konzepte überhaupt erprobt werden konnten. Kultur- und Literaturförderungen bieten bereits heute etablierten Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform und aufstrebenden Talenten die Möglichkeit, ihre Werke einem breiten Publikum vorzustellen. Eine Umstrukturierung hin zu einheitlichen, mehrstündigen Magazinen könnte dazu führen, dass Ecken und Kanten und fachliche Kompetenz verloren gehen und bajuwarischer Mainstream bevorzugt wird. Dies würde die kulturelle Vielfalt und den demokratischen Diskurs erheblich beeinträchtigen – eine bedenkliche Entwicklung.
Kultur in Not: Die Zivilgesellschaft muss handeln
Beiden Themen – der geplanten Reform von Bayern 2 und dem geplanten Abriss des BR-Studiogebäudes – ist gemeinsam, dass es sich um Entscheidungen handelt, die in der BR-Geschäftsführung getroffen wurden. Der Vorstand der Typographischen Gesellschaft München ist jedoch der Auffassung, dass diese aufgrund ihrer Bedeutung einen gesellschaftlichen Diskurs erfordern. Und tatsächlich haben beide Themen Kultur- und Medienverbände auf den Plan gerufen, nicht zuletzt die Typographische Gesellschaft München. Erste Maßnahmen wurden ergriffen. So wurde der BR-Studiobau in die Rote Liste des Deutschen Kulturrats aufgenommen, was die Dringlichkeit der Situation verdeutlicht. Dieses prägende und einprägsame Gebäude mit seiner jahrzehntelangen Tradition, dieser Ort der Kreativität und Innovation darf nicht verloren gehen.
Der Vorstand der Typographischen Gesellschaft München schließt sich somit den Worten des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, an: »Wir appellieren an den Bayerischen Rundfunk, den Kulturort Studiobau in der Mitte von München nicht zu zerstören.« Ein Lichtblick ist, dass das Landesamt für Denkmalpflege derzeit prüft, ob der Studiobau unter Denkmalschutz gestellt werden kann. Das könnte den Abriss verhindern.
Auch die Reform von Bayern 2 und die damit verbundene Streichung anerkannter und erfolgreicher Kultur- und Literatursendungen bedroht einen wichtigen Teil unseres kulturellen Erbes und unserer heutigen Kulturlandschaft in Bayern und darüber hinaus. Die Zeit drängt, denn bereits am 8.2.2024 findet die nächste Rundfunkratssitzung statt, am 2.4.2024 soll die Bayern-2-Reform in Kraft treten!
Der Verlust dieser kulturellen Leuchttürme hätte nicht nur Auswirkungen auf das kulturelle Leben in Deutschland, sondern auch auf den demokratischen Diskurs. Bildung und kulturelle Vielfalt sind für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb wird die Entwicklung von Bayern 2 und des Studiobaus derzeit sowohl im Vorstand als auch unter unseren Mitgliedern intensiv diskutiert.
Als stellvertretender Vorsitzender der Typographischen Gesellschaft München (tgm) möchte ich betonen: »Ich appelliere eindringlich an alle Verantwortlichen: Der sorgfältige Erhalt und die durchdachte Weiterentwicklung des Programmangebots von Bayern 2 sind für die kulturelle Vielfalt unverzichtbar. Ebenso muss der Studiobau als Zentrum von Kreativität und journalistischer Kompetenz erhalten bleiben. Wir fordern eine behutsame und verantwortungsvolle Gestaltung dieser Veränderungen, die sowohl den Bedürfnissen der jungen Generation als auch den Werten unserer Kultur gerecht wird. Eine angemessene Finanzierung ist entscheidend, um die Qualität der Inhalte zu sichern.«
Die aktuelle Debatte macht deutlich, wie wichtig es ist, unser kulturelles Erbe zu schützen und für kulturelle Vielfalt einzutreten. Dies ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Deshalb rufe ich mit Unterstützung unseres Vorstandes auch die Öffentlichkeit auf, sich aktiv in diesen Diskurs einzubringen und sich der Tragweite dieser Fragen bewusst zu werden.
Was können Sie unternehmen? Bereits am 25.1.2024 feiert der Bayerische Rundfunk seinen 75. Geburtstag. Zu diesem Ereignis veranstalten die »Bayern 2 Freunde« von 12 bis 14 Uhr am Rundfunkplatz 1 eine Demo, gegen den »Bayerischen KulturSchrumpFunk« und für mehr Kultur auf Bayern 2. Der Bayerische Rundfunk hat zu Jubiläum eine separate Seite eingerichtet, auf der Sie Glückwünsche (oder auch nur Wünsche?) als Selfie-Video senden können. Wir laden Sie außerdem herzlich ein, sich an der Petition gegen die geplante Reform von Bayern 2 zu beteiligen.
Nachtrag am 31.1.2024: Trotz der Proteste von ca. 9.000 Unterstützenden und Prominenten auf openPetition und der Demonstration am 25.1.2024 (zur Video-Zusammenfassung), gegen die Kürzungen der Kultursendungen auf Bayern 2 hat der Bayerische Rundfunk (noch) nicht reagiert.
Deshalb wird am 8.2.2024, also am Tag der entscheidenden Rundfunkratssitzung, von 5 Minuten vor 12 Uhr bis 13 Uhr (!) (im letzten Newsletter hatten wir noch eine alte Uhrzeit genannt), zu einer noch größeren Demonstration aufgerufen – mit einer interessanten Redeliste und Livemusik. Sie findet am Rundfunkplatz 1 in München statt, kommt gerne zahlreich.
Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten
Programm 2022 erfolgreich gestartet
Vorstand und Aktivteam der tgm präsentieren auch in diesem Jahr wieder ihr anspruchsvolles Weiterbildungsangebot unter dem Motto »the making of – make it work«. Ein professioneller Mix aus zeitaktuellen Expertenvorträgen, Seminaren und Workshops, bereichert durch Exkursionen, Kunst und Artverwandtes.
Braucht Design neue »Formate«?
Der Vortrag von Claudia Fischer-Appelt stand unter dem Titel »Vom Mut zum Experiment – Design braucht neue Formate«. Sie stellte ihre Thesen anhand von Arbeiten aus ihrer Agentur vor und betonte die Wichtigkeit von Kreativität, Know-how und Mut, von Machen und Durchhalten.
Kultur auf der Kippe – letzte Vorstellung für 3sat?
Wenn es nach den aktuellen Reformplänen geht, hat Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk offenbar keine große Zukunft mehr. Auch 3sat, der Sender für anspruchsvolle Kultur und Wissenschaft, könnte jetzt verschwinden. Ist Kultur künftig ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten wollen?