Kultur auf der Kippe – letzte Vorstellung für 3sat?
Schon König Ludwig I. von Bayern wusste, wie wichtig Kunst und Kultur für die Gesellschaft sind. Ihm verdanken wir Museen wie die 1830 eröffnete Münchner Glyptothek – das erste öffentliche Museum Europas. Sein Ziel: Kunst für alle zugänglich zu machen, nicht nur für eine elitäre Minderheit. Er glaubte an die Kraft der Kultur, die Menschen inspiriert und erhebt. Diese Idee sollte auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk prägen.
Genau diese Überzeugung scheint heute verloren gegangen zu sein. Der Sender 3sat, der seit Jahrzehnten Raum für Kultur, Kunst und Wissenschaft bietet, steht vor dem Aus. Die geplante Rundfunkreform ab 2025 soll weniger Sender und »effizientere Strukturen« schaffen. Für 3sat bedeutet das: Fusion mit Arte und de facto das Ende.
Es stimmt schon: In einer Welt, in der Streaming-Dienste um unsere Aufmerksamkeit buhlen und TikTok-Videos unsere Gehirne auf 15-Sekunden-Häppchen konditionieren, wirkt 3sat wie ein Anachronismus. Ein Sender, der es wagt, mehrstündige Theateraufführungen zu übertragen oder tiefgründige Diskussionen über Quantenphysik zu führen – wie aus der Zeit gefallen, möchte man meinen.
Aber genau das macht 3sat zu einem kulturellen Leuchtturm. In Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen bietet 3sat Raum für Vertiefung und Reflexion. Ein werbefreies Gemeinschaftsprojekt von ZDF, ORF, SRG und ARD, das sich weniger um Quoten kümmert, sondern um Inhalte, die gerade bei privaten Anbietern keinen Platz finden. Doch die geplante Fusion bedeutet: weniger Raum für genau diese Themen. Kunst, Theater, Literatur und Wissenschaft – die Bereiche, die das private Fernsehen oft ignoriert – könnten komplett marginalisiert werden.
Dass Kultur gestrichen statt gefördert wird, ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aktuell offenbar ein bekanntes Muster. Dabei wurde der ÖRR gegründet, um genau solche Inhalte zu fördern – unabhängig von Quoten und Werbung. 3sat erfüllt diesen Auftrag.
Auch andere Sender wie Tagesschau24, Phoenix und ZDFinfo stehen auf der Streichliste. Die Reduzierung auf weniger Informationskanäle bedeutet zwangsläufig den Verlust von Vielfalt – in einer Zeit, in der fundierte Berichterstattung und kulturelle Bildung wichtiger sind denn je.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. In einer, die Kultur auf ein massentaugliches Social-Media-Format reduziert? Oder in einer, die erkennt, dass wahre Armut nicht im Geldbeutel beginnt, sondern im Geist – und entsprechend handelt.
Die Typographische Gesellschaft München e.V. fordert die Rundfunkkommission auf, den Zusammenschluss von 3sat und Arte zu verhindern. Kultur ist kein Luxus, sondern essenziell für eine aufgeklärte Gesellschaft.
Für den Erhalt von 3sat laufen derzeit mehrere Petitionen, auf die wir hinweisen möchten:
»Rettet 3sat – unser Kultursender darf nicht verschwinden!« auf innn.it von der Kulturjournalistin Katja Riha.
»Erhalt von 3sat« auf openpetition.de von Karin Aschenbach.
»Fakten statt Fake News: ARD und ZDF schützen!« von Campact.
Nachtrag am 14. Oktober 2024:
3sat hat in seiner Sendung »Kulturzeit« eine knapp 9-minütige Zusammenfassung zum Thema veröffentlicht, in der auch Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat zu Wort kommt.
In der 3sat-Mediathek ist aktuell (noch) ein 36-minütiger Beitrag mit dem Titel »Die Emojikalypse :-)« verfügbar, in dem unter anderem auch der Typograf Erik Spiekermann in seiner unverkennbaren Art zu Wort kommt 😂
Selbstverständlich hat der Deutsche Kulturrat, unser Dachverband, ebenfalls eine ausführliche und lesenswerte Stellungnahme veröffentlicht: Kulturelle Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken statt einschränken!
Nachtrag am 19. Oktober 2024:
Auch der »Münchner Kulturetat« steht vor erheblichen Einschnitten: 16,8 Millionen Euro sollen Münchens Kulturinstitutionen einsparen. Das könnte auch die ehrenamtliche Arbeit in unserem Verein beeinträchtigen. Weitere Informationen dazu finden Sie unter anderem bei einer Petition von Campact.
Nachtrag am 25. Oktober 2025:
Hat der zivilgesellschaftliche Protest zumindest für 3sat etwas bewirkt? Die in Vorfeld diskutierte Fusion von 3sat und arte wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz nicht beschlossen (wengleich weiterhin mit einschneidenden Veränderungen zu rechnen ist).
Nachtrag am 6. November 2024:
In der November-Ausgabe von Politik & Kultur kritisieren Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz vom Deutschen Kulturrat den Beschluss der Ministerpräsidenten zum ÖRR-Reformstaatsvertrag. Sie sehen darin eine Gefährdung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Kulturberichterstattung und fordern u.a. mehr Kulturpolitik auf Bundesebene.
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