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Kultur auf der Kippe – letzte Vorstellung für 3sat?

Michi Bundscherer
14. Oktober 2024
Wenn es nach den aktuellen Reform­plänen geht, hat Kultur im öffentlich-recht­lichen Rundfunk offenbar keine große Zukunft mehr. Auch 3sat, der Sender für anspruchsvolle Kultur und Wissen­schaft, könnte jetzt verschwinden. Ist Kultur künftig ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten wollen?
Ein alter Fernseher mit einem Sendeschluss-Bild

Schon König Ludwig I. von Bayern wusste, wie wichtig Kunst und Kultur für die Gesell­schaft sind. Ihm verdanken wir Museen wie die 1830 eröffnete Münchner Glyp­tothek – das erste öffentliche Museum Europas. Sein Ziel: Kunst für alle zugänglich zu machen, nicht nur für eine elitäre Minder­heit. Er glaubte an die Kraft der Kultur, die Menschen inspiriert und erhebt. Diese Idee sollte auch den öffentlich-recht­lichen Rundfunk prägen.

Genau diese Über­zeugung scheint heute verloren gegangen zu sein. Der Sender 3sat, der seit Jahr­zehnten Raum für Kultur, Kunst und Wissen­schaft bietet, steht vor dem Aus. Die geplante Rund­fun­kreform ab 2025 soll weniger Sender und »effi­zi­entere Strukturen« schaffen. Für 3sat bedeutet das: Fusion mit Arte und de facto das Ende.

Es stimmt schon: In einer Welt, in der Streaming-Dienste um unsere Aufmerk­samkeit buhlen und TikTok-Videos unsere Gehirne auf 15-Sekunden-Häppchen kondi­tio­nieren, wirkt 3sat wie ein Anachro­nis­mus. Ein Sender, der es wagt, mehr­stündige Thea­ter­­auf­füh­rungen zu über­tragen oder tief­gründige Diskus­sionen über Quan­ten­­­physik zu führen – wie aus der Zeit gefallen, möchte man meinen.

Aber genau das macht 3sat zu einem kultu­rellen Leuchtturm. In Zeiten schwin­dender Aufmerk­sam­keits­­­spannen bietet 3sat Raum für Vertiefung und Reflexion. Ein werbe­freies Gemein­schafts­projekt von ZDF, ORF, SRG und ARD, das sich weniger um Quoten kümmert, sondern um Inhalte, die gerade bei privaten Anbietern keinen Platz finden. Doch die geplante Fusion bedeutet: weniger Raum für genau diese Themen. Kunst, Theater, Literatur und Wissen­­schaft – die Bereiche, die das private Fernsehen oft ignoriert – könnten komplett margi­na­lisiert werden.

Dass Kultur gestrichen statt gefördert wird, ist beim öffentlich-recht­lichen Rundfunk aktuell offenbar ein bekanntes Muster. Dabei wurde der ÖRR gegründet, um genau solche Inhalte zu fördern – unab­hängig von Quoten und Werbung. 3sat erfüllt diesen Auftrag.

Auch andere Sender wie Tages­schau24, Phoenix und ZDFinfo stehen auf der Streichliste. Die Redu­zierung auf weniger Infor­ma­ti­ons­kanäle bedeutet zwangs­läufig den Verlust von Vielfalt – in einer Zeit, in der fundierte Bericht­er­stattung und kulturelle Bildung wichtiger sind denn je.

Viel­leicht ist es an der Zeit, dass wir uns fragen, in welcher Gesell­schaft wir leben wollen. In einer, die Kultur auf ein massen­taug­liches Social-Media-Format reduziert? Oder in einer, die erkennt, dass wahre Armut nicht im Geld­beutel beginnt, son­dern im Geist – und entsprechend handelt.

Die Typo­gra­phische Gesell­schaft München e.V. fordert die Rund­funk­kom­mission auf, den Zusam­menschluss von 3sat und Arte zu verhindern. Kultur ist kein Luxus, sondern essenziell für eine aufge­klärte Gesell­schaft.

Für den Erhalt von 3sat laufen derzeit mehrere Peti­tionen, auf die wir hinweisen möchten:

Nachtrag am 14. Oktober 2024:
3sat hat in seiner Sendung »Kulturzeit« eine knapp 9-minütige Zusam­men­fassung zum Thema veröf­fentlicht, in der auch Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat zu Wort kommt.

In der 3sat-Mediathek ist aktuell (noch) ein 36-minütiger Beitrag mit dem Titel »Die Emoji­kalypse :-)« verfügbar, in dem unter anderem auch der Typograf Erik Spie­kermann in seiner unver­kennbaren Art zu Wort kommt 😂

Selbst­ver­ständlich hat der Deutsche Kulturrat, unser Dach­verband, ebenfalls eine ausführliche und lesenswerte Stel­lungnahme veröf­fentlicht: Kulturelle Vielfalt im öffentlich-recht­lichen Rundfunk stärken statt einschränken!

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