Der Type Navigator
Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema ein wenig voreingenommen bin: Kleine, unabhängige Schriftenlabels und ihre Arbeit vorzustellen, finde ich natürlich eine tolle Idee. Aber ich bin überzeugt, dass auch viele andere Schriftanwender Jan Middendorp, Lupi Asensio und Martin Lorenz für ihren »Type Navigator« sehr dankbar sein werden.
Vor die umfangreiche Sammlung von Schriftmustern stellt Jan Middendorp in drei kurzen Kapiteln eine sehr lesenswerte Einführung. Er beschreibt die Höhen und Tiefen der letzten Jahrzehnte, erklärt, wofür der Begriff »Schrift« ursprünglich verwendet wurde, nennt Meilensteine und Persönlichkeiten, macht deutlich, was sich hinter Lizenzverträgen verbirgt und vieles mehr.
Im dritten Kapitel werden die Distributoren vorgestellt: Von MyFonts, mit über 60.000 Schriften (Fonts) der (wahrscheinlich) größte Anbieter weltweit, über Monotype, FontShop bis hin zu den kleineren wie Village (vllg.com) sind Kurzporträts mit den wichtigsten Hintergrundinformationen zusammengestellt.
Der Hauptteil lässt auf rund 300 Seiten jedes Typografenherz höher schlagen. Von den insgesamt 279 (!) Schriftfabriken, die im Anhang aufgelistet und jeweils in kurzen Sätzen charakterisiert werden, werden nicht weniger als 53 mit ihren Alphabeten ausführlich vorgestellt. Angaben zu Gründungsjahr und Größe der Firma, zum Schriftenangebot, zu Vertriebswegen und Preisen wurden zusammengetragen; zu den Machern gibt es Kurzbiographien. Als Einstieg gibt es meist eine Handvoll Anwendungsbeispiele, gefolgt von Schriftmustern.
Während die Diplayschriften entsprechend plakativ präsentiert werden, wird den Textschriften ausreichend Platz für Textbeispiele in verschiedenen Abstufungen eingeräumt. Hier zeigt sich auch ganz deutlich der Vorteil der Buchform: Als Website wäre das Projekt zwar ständig aktualisierbar, aber gerade bei den Textschriften nicht annähernd so aussagekräftig gewesen.
Nebenbei sei auch den Buchgestaltern von TwoPoints.Net, Lupi Asensio und Martin Lorenz, ein großes Lob ausgesprochen: Schön und übersichtlich, Buchgestaltung, wie sie sein sollte. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Times einmal für eine gute Schriftwahl halten würde.
Auch für »Insider« wird dieses Buch viele neue Türen öffnen. Die zusammengetragenen Informationen lassen plötzlich einen Überblick über das aktuelle Typedesign entstehen, wie man ihn bislang nicht kannte. Zusammenhänge werden greifbar. Mit etwas Muße lassen sich wahrscheinlich sogar Schulen oder Stile verfolgen.
…
Wenn ich mir für die nächste Ausgabe etwas wünschen dürfte, dann wäre es ein Namensregister. Vor allem aber wünsche ich uns allen eine nächste Ausgabe – vielleicht in fünf Jahren oder so?
Bleibt noch zu erwähnen, dass dem Buch eine CD mit 100 kostenlosen Schriften beiliegt. Allerdings handelt es sich dabei meist um extreme Display-Fonts oder Demo-Fonts, bei denen wichtige Zeichen fehlen, oder um »Randschnitte« (z.B. Ultralight) einer Schriftfamilie. Die meisten dürften auch im Netz zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen.
Jan Middendorp & TwoPoints.Net:
Type Navigator. The Independent Foundries Handbook
320 Seiten plus CD-ROM mit 100 Fonts
Format: 24 × 30 cm
Hardcover
Gestalten, Berlin 2011
ISBN: 978–3–89955–377–2
49,90 EUR
www.gestalten.com
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