typographische
zitate
Gute Typo­grafie erklärt den Inhalt, nicht den Gestalter.
Kurt Weidemann

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Goethe­straße 28 Rgb.
80336 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Der Type Navigator

Oliver Linke
18. Februar 2012
Endlich fasst jemand den aktuellen Stand des Schrift­designs zusammen, stellt die Macher vor und schafft damit ein unver­zichtbares Nach­schla­gewerk für die zeit­gemäße Schrif­tenwahl.

Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema ein wenig vorein­ge­nommen bin: Kleine, unab­hängige Schrif­ten­labels und ihre Arbeit vorzu­stellen, finde ich natürlich eine tolle Idee. Aber ich bin überzeugt, dass auch viele andere Schrift­an­wender Jan Middendorp, Lupi Asensio und Martin Lorenz für ihren »Type Navigator« sehr dankbar sein werden.

Vor die umfang­reiche Sammlung von Schrift­mustern stellt Jan Middendorp in drei kurzen Kapiteln eine sehr lesenswerte Einführung. Er beschreibt die Höhen und Tiefen der letzten Jahr­zehnte, erklärt, wofür der Begriff »Schrift« ursprünglich verwendet wurde, nennt Meilen­steine und Persön­lich­keiten, macht deutlich, was sich hinter Lizenz­ver­trägen verbirgt und vieles mehr.

Im dritten Kapitel werden die Distri­butoren vorge­stellt: Von MyFonts, mit über 60.000 Schriften (Fonts) der (wahr­scheinlich) größte Anbieter weltweit, über Monotype, FontShop bis hin zu den kleineren wie Village (vllg.com) sind Kurz­porträts mit den wich­tigsten Hinter­grund­in­for­ma­tionen zusam­men­ge­stellt.

Der Hauptteil lässt auf rund 300 Seiten jedes Typo­gra­fenherz höher schlagen. Von den insgesamt 279 (!) Schrift­fa­briken, die im Anhang aufge­listet und jeweils in kurzen Sätzen charak­te­risiert werden, werden nicht weniger als 53 mit ihren Alphabeten ausführlich vorge­stellt. Angaben zu Grün­dungsjahr und Größe der Firma, zum Schrif­ten­angebot, zu Vertriebswegen und Preisen wurden zusam­men­ge­tragen; zu den Machern gibt es Kurz­bio­graphien. Als Einstieg gibt es meist eine Handvoll Anwen­dungs­bei­spiele, gefolgt von Schrift­mustern.

Während die Diplay­schriften entsprechend plakativ präsentiert werden, wird den Text­schriften ausreichend Platz für Text­bei­spiele in verschiedenen Abstu­fungen eingeräumt. Hier zeigt sich auch ganz deutlich der Vorteil der Buchform: Als Website wäre das Projekt zwar ständig aktu­a­li­sierbar, aber gerade bei den Text­schriften nicht annähernd so aussa­ge­kräftig gewesen.

Nebenbei sei auch den Buch­ge­staltern von TwoPoints.Net, Lupi Asensio und Martin Lorenz, ein großes Lob ausge­sprochen: Schön und über­sichtlich, Buch­ge­staltung, wie sie sein sollte. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Times einmal für eine gute Schriftwahl halten würde.

Auch für »Insider« wird dieses Buch viele neue Türen öffnen. Die zusam­men­ge­tragenen Infor­ma­tionen lassen plötzlich einen Überblick über das aktuelle Type­design entstehen, wie man ihn bislang nicht kannte. Zusam­menhänge werden greifbar. Mit etwas Muße lassen sich wahr­scheinlich sogar Schulen oder Stile verfolgen.

Wenn ich mir für die nächste Ausgabe etwas wünschen dürfte, dann wäre es ein Namens­re­gister. Vor allem aber wünsche ich uns allen eine nächste Ausgabe – viel­leicht in fünf Jahren oder so?

Bleibt noch zu erwähnen, dass dem Buch eine CD mit 100 kostenlosen Schriften beiliegt. Allerdings handelt es sich dabei meist um extreme Display-Fonts oder Demo-Fonts, bei denen wichtige Zeichen fehlen, oder um »Rand­schnitte« (z.B. Ultralight) einer Schrift­familie. Die meisten dürften auch im Netz zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen.

Jan Middendorp & TwoPoints.Net:
Type Navigator. The Inde­pendent Foundries Handbook
320 Seiten plus CD-ROM mit 100 Fonts
Format: 24 × 30 cm
Hardcover
Gestalten, Berlin 2011
ISBN: 978–3–89955–377–2
49,90 EUR
www.gestalten.com

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Checkliste für optimale Schrift

Rudolf Paulus Gorbach
Michael Bundscherer

Bücher zum Thema Schrift gibt es nicht wenige. Möchte sich ein neues Werk vom Rest abheben, muss es mehr bieten, als Fach­be­griffe bebildert zu erklären. Mit »Schrift. Wahl und Mischung«, einem fast 1.660 Gramm schweren Buch – das man so beispielsweise auch als kleines schwarzes Podest verwenden könnte – ist nun ein weiteres erschienen. Kann dieses Buch Neues bieten?

Buchbesprechung

Max Bollwage: Buch­sta­ben­ge­schichte(n)

Oliver Linke

»Es ist bestimmt keine Strafe, in dem Buch zu lesen« sagt Max Bollwage augen­zwinkernd über sein neues Buch, die »Buch­sta­ben­ge­schichte(n)«. Beim ersten Duch­blättern macht mich das konser­vative Layout miss­trauisch; die unzu­rei­chende Qualität einiger Abbil­dungen stört, manche sind durch Einfär­bungen sogar regelrecht verfälscht worden.

Buchbesprechung

Gedanken zur Typo­grafie bei und von Klaus Detjen

Rudolf Paulus Gorbach

Sehr viel Erfahrung und Nach­denken über Typo­grafie in kleinen Beiträgen und Miniaturen fasst Klaus Detjen zusammen. Typo­grafie im »Detjen-puren Sinn« wird hier betrachtet, von Manutio bis Malarmé, beein­flusst von Künstlern, Literaten und Philo­sophen.

Buchbesprechung

Hendrik Weber: Kursiv

Oliver Linke

Als Diplom­arbeit unter der Betreuung von Julia Blume und Fred Smeijers an der HGB Leipzig entstanden, ist die Arbeit von Hendrik Weber die erste ausführliche Mono­grafie zur kursiven Schrift.

Buchbesprechung

20+1 Seri­fenlose im Vergleich

Oliver Linke

Event

Signs of the times

Michael Lang

Die zwei­tägige Granshan-Konferenz fand im Lite­ra­turhaus mit seinem über­wäl­ti­genden Panorama über München statt. Auf der Bühne war das beherr­schende Motiv der Berg Ararat. Dieses arme­nische Wahr­zeichen verwies auf den Beginn der Idee, das sich mit nicht-latei­nischen Schriften zu beschäftigen.

Granshan-Konferenz im Literaturhaus München