Das nachhaltige Design
Das Buch richtet sich in erster Linie an Produktdesigner, aber auch an Kommunikationsdesigner. Dieser Aspekt hat mich beim Lesen und Durcharbeiten besonders interessiert. Natürlich wird auch nicht mit Kritik an der Werbung gespart, die oft zu unnötigem Ressourcenverbrauch anregt.
Das Buch gliedert sich in fünf Hauptkapitel: Im ersten Teil wird nachhaltiges Design aus zwei unterschiedlichen Perspektiven definiert. Im zweiten Teil geht es um die westliche Geschichte des nachhaltigen Designs, um Vordenker und Entwicklungen. Im dritten Teil wird die Gegenwart untersucht und dargestellt. Im vierten Teil wird der Blick von außen gewagt. Im fünften Teil schließlich geht es um die Zukunft.
Ulrich Grobers Beitrag »Bildwelten der Nachhaltigkeit …« beginnt mit einem Zitat von Heinrich Campe aus dem Jahr 1809: »Nachlass … ist das, woran man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält«. Und letztlich liegt es in uns selbst, wenn wir nachhaltig im Einklang mit der Natur leben wollen, »sustamento«, alles, was zum Fortbestand notwendig ist.
Michael F. Jischa beschreibt die Folgenabschätzung anhand einer Energiegeschichte der Menschheit und weist auf die längst bekannten Tatsachen der Grenzen des Fortschritts hin. Technik wird längst in ihren wahrscheinlichen Zukunftsfolgen bewertet und offensichtlich oft genug ignoriert. Wir brauchen mehr Weitsicht.
Über nicht nachhaltiges Design schreibt Davide Brocchi. Nachhaltigkeitsexperten konzentrieren sich auf den Inhalt, Designer entwerfen aufwendige Verpackungen, die eigentlich für den Müll bestimmt sind. Hippes Design ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Vielleicht überschätzen Designer auch ihre Macht, Nachhaltigkeit zu beeinflussen. Brocchi geht der Frage nach, was Design eigentlich ist und woher es kommt. Das unterschiedliche Bild von Natur und Design, kann der Designer Alternativen finden, wo die Politik sie nicht sehen will? Es geht aber auch um einen neuen Designbegriff, weg von nur Funktion oder gar Marketing, wobei Vielfalt und Verschiedenheit wichtig bleiben sollten.
Besonders spannend finde ich den Teil des Buches, der die westliche Geschichte des nachhaltigen Designs beschreibt. René Spitz beschäftigt sich mit den Vordenkern zwischen 1850 und 1919. In England und Deutschland gab es bereits im 19. Jahrhundert Bestrebungen, der Industrialisierung durch Reformen und Geschmacksbildung entgegenzuwirken. Gleichzeitig richteten sich die gestalteten Gegenstände vor allem an eine wohlhabende und zum Teil gebildete Schicht. Zunächst dominierte die Auseinandersetzung mit der Industrie. Der moralische Anspruch an das Design war unüberhörbar.
Ab dem Bauhaus kam die Forderung nach Funktion hinzu. Und nun begann, wie Siegfried Gronert beschreibt, die Auseinandersetzung mit der Technik und nicht gegen sie. Es wurde zwar immer noch viel von Kunst geredet (und das tut es bis heute), aber Schönheit und Dauerhaftigkeit rückten in den Vordergrund der Wahrnehmung.
Anders in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, wo Macht ästhetisiert wurde, Nachhaltigkeit aber keine Rolle spielte.Die HFG Ulm war wohl die erste Hochschule, für die das Thema Nachhaltigkeit entscheidend war, so René Spitz. Das war zwar nur eine kurze Epoche, aber ähnlich wie beim Bauhaus gab es Fortsetzungen wie in Braunschweig oder eben Designerpersönlichkeiten, die das in ihrer Arbeit lebten.
1971 kritisierte der Designer Victor Papaneck die Zunft: »Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht. Wahrscheinlich ist nur ein Beruf verlogener: Werbung zu machen, Menschen zu überreden, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, für Geld, das sie nicht haben, um andere zu beeindrucken, denen das egal ist – das ist wahrscheinlich der schlimmste Beruf, den es heute gibt«.
Über Widersprüche und Zukunftsversprechen zwischen 1980 und 2010 berichtet Thomas Edelmann. Während die Selbstzerstörung der Menschheit immer wahrscheinlicher wurde, gab es Hoffnung auf eine neue Ära der Nachhaltigkeit, gleichzeitig wurde die Konsumgesellschaft zum globalen Phänomen. Designer haben zu wenig »Macht«, sind an die Vorgaben von Managern gebunden. Aber es entstehen Designgruppen, die sich des Themas annehmen, wie Des-In, LOHAS oder LOVOS. Der Designbegriff wird neu diskutiert und es wird auch die Frage gestellt, ob »nachhaltiges Design« konkret genug ist, um anwendbar zu sein. Wenn Design unsichtbar sein soll (Lucius Burckhardt 2010), so macht das heutige Marketing oft das Gegenteil, in dem Design plötzlich einen enormen Wert bekommt.
Im Hauptkapitel »Positionen der Gegenwart« setzen sich die Autoren mit aktuellen Problemen und Aspekten auseinander. Das »dematerialisierte Design« (Christa Liedtke und Johannes Buhl) versucht, Konzepte für Designer zu schaffen, um sich im Umweltraum zu orientieren. Uwe Boden informiert über ökoeffektives Design und nimmt sich die Natur zum Vorbild.
Grenzenloses Wachstum ist nicht möglich. Was reicht für ein gutes Leben, kann Suffizienz gegen materielles Wachstum durchgesetzt werden (Niko Paech). Schließlich geht es um die soziale und kulturelle Dimension von Design.Ist das Marktgängige die Grenze des sozialen Designs? Design nicht als Weltverbesserungstraum, sondern auch als Prozess des Machens und Entwickelns und leider manchmal auch des Vergessens von Problemen.
Im Teil »Außenblick« des Buches geht es um die Probleme, um die manche Designer lieber einen großen Bogen machen: Armutsbekämpfung, Entwicklungshilfe, Verwestlichung. Und das sind sehr spannende Aspekte und Projekte (wie sie zum Teil auch Florian Pfeffer in seinem Buch "To do: Die neue Rolle des Designs in einer veränderten Welt“ beschreibt. Besprochen im tgm-Blog Juli 2014).
Und der Blick in die Zukunft? Die Frage ist nicht mehr, ob wir einen radikalen Wandel wollen, sondern ob wir ihn nachhaltig gestalten. Und was bedeutet es, wenn Martin Herrndorf nachhaltiges Design in einer nicht nachhaltigen Welt fordert? Wieder einmal mehr Fragen als Antworten. Aber die Lektüre dieses Buches könnte das Denken von Designern »nachhaltig« verändern. Und dabei geht es nicht nur um Produktdesign, sondern auch um all das Schöne rund um die Kommunikation, was im Buch auch in vielen abgebildeten Beispielen dokumentiert wird.
Zur Gestaltung des Buches: Das Buch ist sehr sorgfältig und mit einigem Aufwand gestaltet. Die einzelnen Textteile sind in der Breite des Buchformates zurückgesetzt, also etwas schmaler als der Buchblock. Dies kommt der guten Lesbarkeit im einspaltigen Bereich zugute. Allerdings ist die Schrift der Bildunterschriften zu klein und zu mager. Die eigentlich lobenswerte Sekundärfarbe beginnt in den fetten Überschriften leicht zu flackern, als Farbe der Bildunterschriften ist sie lesebehindernd. Unnötig erscheinen mir die Unterstreichungen bei Überschriften dritten Grades. Die zwar konsequente Differenzierung in den Texten zu den Bildern wirkt leider etwas zerstreut. Schade bei einer ansonsten sehr guten und typografisch stimmigen Gestaltung. Die verwendeten Papiersorten sind nicht nur passend, sondern auch sehr schön.
Karin-Simone Fuhs, Davide Brocchi, Michael Maxeiner und Bernd Drasse (Hrsg.)
Die Geschichte des nachhaltigen Designs
Welche Haltung braucht Gestaltung?
382 Seiten mit vielen Abbildungen
210 × 297 mm
Ganzpappband
VAS Bad Homburg, 2013
ISBN 978–3–88864–521–1
59 Euro
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