Das Graue
Die in der Ausstellung gezeigten künstlerischen Bilder sind im Buch abgebildet und – zum besseren Verständnis – beschrieben. Grau in ganz feinen Nuancen hat ja bei manchen Gestaltern einen hohen Stellenwert. Ich denke da sofort an das Ulmer Grau, wie es Otl Aicher verwendet hat.
Die Ausstellungszyklen waren unterteilt in Hauptsache Grau, Lebendiges Grau, Farbiges Grau und Konstruiertes Grau.
Grau, das manche für eine Nichtfarbe halten, kann etwas völlig Gleichgültiges oder etwas ohne Wirkung sein, schreibt Michael Fehr in seinem Textbeitrag »Lebendiges Grau«. Grau hat keine Gegenfarbe, ist aber zum Beispiel bei Philipp Otto Runge das Zentrum seines Farbkosmos. Der Zyklus »Lebendiges Grau« umfasst vor allem Werke bildender Künstler, die sich mit dem reinen Grau auseinandergesetzt haben. Und so finden sich graue Bilder in allen erdenklichen Schattierungen und Nuancen.
Zum Thema »farbiges Grau« schreibt Matthias Bleyl, es sei interessant zu beobachten, wie aus Grau mit Farbanteil ein farbiges Grau wird. Designer mögen sich an ihre eigenen Versuche erinnern, wenn Grau zu bunt wurde. Josef Albers hat immer gesagt, er male keine Farben, sondern Farbbezüge und bestätigt damit Theo van Doesburgs Aussage »… die Farbe bestimmt sich durch den Gegensatz zu einer anderen Farbe«.
Die konzeptionelle Idee hinter der künstlerischen Arbeit sieht Wita Noack in ihrem Beitrag zum konstruierten Grau. Das beste Grau ist das Grau, das in naturnahen Prozessen entstanden ist, sagte der berühmte japanische Teemeister Sen no Rikyu im 16. Und das Grau des Schattens gewinnt an Bedeutung. Aspekte, die für die Wahrnehmung der Arbeiten vieler Konzeptkünstler von Bedeutung sind.
In weiteren Beiträgen beschreibt Nicola von Albrecht Hirches Grau-Koffer, der vor zwei Jahren auch in der Ausstellung im Berliner Werkbundarchiv zu sehen war, wo es um das Lebenswerk des für das moderne Design wichtigen Herbert Hirche ging (Fernsehgerät HF 1 von Braun mit grauer Frontplatte), während die Werkbundgründer dem Grau eher skeptisch gegenüberstanden.
Sprachhistorische Anmerkungen leistet Harald Bichlmeier. Und das reicht von der Herkunft des Begriffs Grau bis in verschiedene Sprachen der Welt und untersucht ausgiebig, was es mit dem Familiennamen Grau auf sich hat.
Besonders spannend ist der Beitrag von Axel Buether über die Wirkung der Farbe Grau auf unser Erleben und Verhalten. Farbwirkungen gehen zu 99 % auf implizites Wissen zurück, das nicht ins vordere Bewusstsein dringt. Wir spüren Farben daher mehr, als dass wir die damit zusammenhängenden Wirkungszusammenhänge verstehen. Jeder Farbton enthält im Kopf des Betrachters eine Welt assoziativer Erinnerungen. Die heutige Farbwelt ist von Menschen gemacht, während die Farben der Natur für die Menschen an Bedeutung verloren gegangen sind.
Die Gedächtnislandkarte der Farbe Grau mit ihren assoziativen Wirkungsfeldern ergab sich aus einer Untersuchung von 500 Teilnehmern, die Buether nach umfangreichen wissenschaftlichen Maßstäben durchgeführt hat. Hier ging es vor allem um die Wirkungen, die die Probanden an sich selbst erforschen mussten. Zahlreiche Zuordnungen zur Farbe Grau im Natur- und Kulturbereich wurden erstellt.
Neben vielen weiteren lesenswerten Beiträgen möchte ich noch den von Bendict Tonon erwähnen, der sich im Fall des Graus mit der Stofflichkeit des Bauens beschäftigt. Das Grau der Moderne kann man im Kloster »La Tourette« von Le Corbusier erleben und es offenbart eine »werkimanente Ordnung«. Die plastische Formkraft wird anhand von Gaudis Casa Mila untersucht. Und Grau spielt auch in der späteren Moderne oft eine wichtige Rolle (was positiv gemeint ist).
Die Abbildungen des Buches sind gut reproduziert und gedruckt, das Layout ist angenehm schlicht, die Papiersorten sind passend und dem Zweck entsprechend gut. Doch in der Typografie stört einiges das Lesen. Grau ist für das Satzbild wohl zu wörtlich genommen worden. Die magere konstruktivistische Schrift wirkt etwas zu klein, mit ihrem kleinen Schriftbild hätte sie etwas mehr Laufweite gebraucht und Blindzeilen statt Absätze mit Einzügen erinnern mehr an kurze Prospekttexte.
Matthias Bleyl, Michael Fehr, Wita Noack
Hauptsache Grau
320 Seiten
mit zahlreichen Abbildungen
165 × 235 mm, Verlag Form und Zweck, Berlin 2014
ISBN 978–3–935053–75–4
39,90 Euro
Die beteiligten Künstler finden Sie unter: formundzweck.de/produkt/hauptsache-grau/
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