Corporate-…
Ganz schön viele Begriffe, die hier auftauchen. Das besprochene Buch ist laut Verlag die vierte Auflage. Die erste Auflage erschien bereits 1980 und die Neuauflage soll vor allem einen »aktuellen Überblick über Strategien und Instrumente der CI- / CD-Gestaltung heute» geben. Dies versprechen die 25 Beiträge, die von namhaften Autoren verfasst wurden, und die Themen selbst. 4.0 im Titel weist auf die aktuelle Zukunft des Themas hin.
Der Untertitel lautet »Das Kompendium«. Kompendium bedeutet eigentlich »kurzgefasstes Handbuch«. Davon kann aber keine Rede sein. Es ist weder ein Lehrbuch noch kurz und bündig. Einzelne Aufsätze zu bestimmten Themen beziehen sich fast nie auf andere Themen. Hinzu kommt das riesige Buchformat, das eher der Repräsentation als der Lektüre dient. Die Bilder können hier weder von der Größe noch vom Inhalt her ein Argument sein, da sie bei vielen Beiträgen für das Verständnis des Textes unerheblich sind.
Dabei beginnt das Buch inhaltlich sehr anregend. Matthias Beyrow beschreibt zunächst Begriffe, Erkenntnisse und Methoden aus den Bereichen Marketing, Design und Marke. Das geht von Agonie bis Zielgruppe und ist sehr informativ und durchaus kritisch.
Florian Pfeffer beginnt mit einer Korrektur der Identität und beschreibt den Fall einer Korrektur nach dem Chemieunfall in Bhopal 1984. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit einer Marke und darum, dass »Marken nicht mehr als exklusives Eigentum von Unternehmen …, sondern als gesellschaftlich-kulturelles Gut angesehen werden. Und der Beitrag endet mit der Forderung nach neuen Wachstumsmodellen. Nur welche?
Jochen Rädeker ist schon allein durch seine »gewichtigen Bücher« bekannt. Er plädiert dafür, »die Dinge nicht schön, sondern richtig zu machen«. Weil so viele Bauchentscheidungen getroffen werden, sollten Designer »die Wirkung genau analysieren und anhand klarer Parameter logisch, messbar und nachvollziehbar kommunizieren…«. An anderer Stelle heißt es, Scheitern sei der sicherste Weg zum Erfolg. Wie das funktionieren soll, geht aus dem Text nicht hervor.
In diesem Buch geht es vor allem um große Marken. Knut Maierhofer stellt grundsätzliche Fragen (was, wer, warum, wozu, wie viel, mit wem, wann, wie, worauf?), denn der Ruf nach Orientierung und Einfachheit wird immer lauter. Zum Beispiel: Was kostet es heute, eine Marke zu entwickeln? Als Antwort gibt es eine Reihe von Argumenten oder Feststellungen (dass Logos heute wieder wie Logos aussehen dürfen) oder den Hinweis, dass täglich neue Fragen und Aufgaben auftauchen, für die ein Jahresbudget für die Markenarbeit benötigt wird.
Manchmal wird Schlichtheit mit endlosen serifenlosen Versalien verwechselt. Eine seltsame Verkürzung, unter der wir schon lange leiden. »Die ewige Wiederkehr des Immergleichen» nennt Laurent Lacour das zu Recht. Er spricht von »Corporate Costumized Design«, das ein hochkomplexes Markenmanagement erfordere. An anderer Stelle schreibt er von der Demokratisierung der Corporate Identity, bei der sich der User künftig innerhalb eines Markenauftritts seine individuelle Website zusammenstellen kann. Wie das gehen soll und vor allem warum, bleibt auch hier offen.
Petra Eisele beschreibt ein Designverständnis, in dem Designer und Nicht-Designer gemeinsam arbeiten und entwickeln, Co-Creation; denkt auch über Systeme nach, in denen Kunden Produkte individualisieren. Verwandt damit ist die Open-Source-Bewegung. Ruedi Baur richtet seinen Blick auf die Zeit nach dem »Brand». Seinem eher philosophischen Text ist etwas schwer zu folgen.
Heinrich Parivicini kommt in seinem Beitrag zum Schluss, dass seit 1000 Jahren die gleichen Bedürfnisse der Menschen gelten, nämlich Selbstverwirklichung, Anerkennung, Liebe. Und schön formuliert: »Wenn das gelingt, werden ungeahnte Kräfte freigesetzt. Dann entsteht die Kraft der Identität». Die Realität scheint mir etwas härter und anders zu sein.
Während es bisher um CI-Strategien ging, folgt nun der seitenmäßig größte Teil unter der Zwischenüberschrift »Instrumente». Hier berichten Spezialisten auf ihrem jeweiligen Gebiet über den aktuellen Stand ihrer Bemühungen oder auch Beobachtungen.
Das beginnt gleich mit Frank Heidmanns »Interface Design: Corporate Interaction». Die Berührungspunkte zwischen Marken und Kunden haben sich auf digitale Geräte und Formate verlagert. Algorithmen gelten als Vermittler zwischen Kunden und Marken. Trotz aktueller Kritik scheint Heidmann mit diesen (aktuellen) Tendenzen zufrieden zu sein. Zwar weist er in seinem Fazit darauf hin, dass der gesamte Prozess auf die Bedürfnisse der potenziellen Nutzer bzw. Kunden ausgerichtet sein müsse. Markenunternehmen gewinnen aber immer mehr Daten über ihre Kunden. Für Heidmann ist das kein Grund zur Sorge.
Wenn Organisationen sich über ihr Verhalten viel wirkungsvoller darstellen können als über ihre Kommunikationsbotschaften, dann wird Corporate Behaviour neben CD und CI noch wichtiger. Christian Vatter versucht hier, Corporate Behaviour und Service Design zu verbinden. Service Design beschäftigt sich mit der Konsequenz aus dem Verhalten. Auch nicht ganz neu, aber vielleicht besser definiert und für ein Konzept hoffentlich klarer.
Storytelling, also das Erzählen von Geschichten, gab es schon immer. Oliver Rufs Corporate Storytelling beschäftigt sich damit, wie ein solches Erzählen die Identität und Identifikation einer Marke fördert. Im Langzeitgedächtnis gespeicherte Schemata werden aktiviert und ergänzt. Ruf beschreibt sehr genau, was die Wirkung und das Wie des Erzählens ausmacht. Selbst die visuelle Erzählweise, aber auch die Situation durch Social Media wird beschrieben.
Wie Unternehmen »klingen« ist das Thema von Felix Urban und Frank Westermann. Die Wiedererkennbarkeit einer Marke lässt sich nicht nur mit einer Sound-Logo-Melodie-Sequenz sicherstellen. Und hier wird alles einbezogen, was hörbar ist: die Sprechweise der Mitarbeiter, Telefonschleifen, Imagefilme, der Klang möglicher Produkte.
Szenografie in Markenauftritten kennt man vor allem seit der Expo Hannover 2000, aber Uwe R. Brückner geht viel weiter zurück und nennt frühe Beispiele wie die Sixtinische Kapelle oder Friedrich Kieslers »Endless House» um 1930. Natürlich spielen Architekten wie Carlo Scarpa und Le Corbusier hier eine Vorbildfunktion. Die Elektronik hat der Szenografie ganz neue Möglichkeiten eröffnet, die auch für Messen oder Ausstellungsräume genutzt werden. Der Raum und seine Ausstattung werden dabei analog zu Sprache und Musik verstanden. Brückner vergleicht dies mit der Oper, bei der eine Dramaturgie geschaffen werden muss. Beispiele aus Messen, Ausstellungen (Expo), permanenten Räumen (Börse) oder Markenmuseen werden kurz beschrieben.
Zur Markeninszenierung im Raum folgt ein Beitrag von Thomas Hundt und Ingo Zirngibl. Wer schon einmal in einem der Automuseen der großen Marken war, kennt das ein wenig. Aber auch die »begehbare Autofabrik» gehört dazu, ein anderer Trend geht so weit, dass Räume zu Spielplätzen werden (Andreas Horbelt), und schließlich spielt die Architektur des Unternehmens selbst eine ganz wichtige Rolle. Jons Messedat versteht gebaute Architektur als gebaute Identität.
Bei Themen, die Typografen eher vertraut sind, wie Typografie im CD oder CI, denkt man sofort an Orientierung. Andreas Uebe le, dessen großflächige Orientierungsinszenierungen berühmt geworden sind, arbeitet theoretisch und ein wenig spielerisch mit Begriffen mit O wie Obacht, Objekt, Objektivität, Obsession, Offenheit, Ohnegleichen, Ohnmacht, on the road, Optik, Originalität, Ornament Oxymoron und erzählt damit einiges über Orientierung an sich.
Natürlich darf Erik Spiekermann in einem solchen Buch nicht fehlen. Er schreibt hier über Schrift als sichtbare Sprache, wobei natürlich vor allem seine eigenen Schriften im Vordergrund stehen. Matthias Beyrow und Constanze Vogt behandeln Logos als Qualitätsbilder. Markenzeichen dominieren natürlich das CI. Sie gelten als Signet des Unternehmens, wobei die Reduktion auf das »Richtige» erfolgen muss. Mit Hubert Jocham kommt ein erfahrener Praktiker in der Entwicklung von Wortmarken zu Wort (im Interview).
Corporate Reporting heißt heute Geschäftsbericht. In keiner Buchgattung, die wir im Buchhandel finden, wird so viel gestaltet und inszeniert wie in Geschäftsberichten. Und wohl nirgendwo sonst so wenig gelesen. Dabei ist der Geschäftsbericht das Leitmedium der Unternehmenskommunikation, so Gisela Grosse.
Was die viel zitierte Globalisierung für das CI bedeutet, beschreibt kurz Christoph Böninger. Und Corporate Industrial Design anhand von Produktlinien ist das Thema von Jürgen R. Schmid. Fast zu kurz kommt Corporate Packing in einer kurzen Darstellung (Armin Angerer), wenn man an die marktspezifisch wichtige Funktion und die Angst der Kunden vor Veränderungen denkt. Schließlich schreibt Regina Henkel über Corporate Fashion und spricht sich sehr für die Erkennbarkeit und Zuordnung der für ein Unternehmen handelnden Personen aus.
Herausgeber Matthias Beyrow, Petra Kiedaisch, Bettina Klett
Corporate Identity & Corporate Design 4.0
Das Kompendium
264 Seiten
390 Abbildungen (laut Verlag)
Avedition, Stuttgart 2018
ISBN 978–3–89986–284–3
69 Euro
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