Cómo crear tipografías
Wie man Schriften entwirft
Und tatsächlich: Das unscheinbare Büchlein hat es in sich. Anders als das bislang einzige ausführliche Werk zum Thema (Karen Cheng: »Anatomie der Buchstaben«, Hermann Schmidt, 2006) liefert es nicht bloße Analysen bestehender Schriften, sondern entwickelt eine echte Lehre »von der Skizze bis auf den Bildschirm«.
Das ist wohl kein Wunder, denn die Autoren Cristóbal Henestrosa, Laura Meseguer und José Scaglione sind nicht nur bekannt für zahlreiche preisgekrönte Schriftentwürfe, sie haben auch an den besten Schulen (Cooper Union New York, University of Reading, Königliche Akademie Den Haag) dieses Fach studiert.
Die Autoren nutzen in den ersten Kapiteln einen raffinierten Stil für die Entwicklung ihrer Lehre: Kurze Abschnitte wechseln sich ab, in denen sie sich gegenseitig berichten, erklären und Tipps geben. Diese dialogartige Herangehensweise macht den Text etwas kurzweiliger, man hat tatsächlich das Gefühl, als wohne man einem Fachgespräch der Drei bei. Dabei wird alles ausführlich durch Beispiele illustriert.
Nach dem ersten Kapitel zur Motivation (Warum sollte man überhaupt noch neue Schriften entwerfen?) folgt eine ausführliche Einführung zur Herkunft der Buchstabenzeichen aus dem Geschriebenen. Eine elementare Grundlage, die sich an der Schrifttheorie von Gerrit Noordzij orientiert und heute von fast allen Schulen gelehrt wird.
Weiter geht es mit wichtigem Basiswissen zu Skizziermethoden und Grundlagen zum optischen Ausgleich von Buchstabenformen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Digitalisierung, stellt sinnvolle Methoden vor und wiederholt dabei nochmals einige Beispiele optischer Angleichungen. Ebenso gibt es Hinweise zu Akzentbuchstaben und Sonderzeichen.
Es folgt ein Kapitel zur Ausrichtung, auch bei Ziffern, mathematischen Zeichen und Währungssymbolen. Ebenfalls wird auf die Problematik der vertikalen Proportionen eingegangen.
Schließlich wird im sechsten Kapitel der Ausbau der Schriftfamilie thematisiert und erklärt, wie mit Hilfe der Multiple-Master-Technologie Fettegrad, Breite oder andere Parameter eingestellt werden können. Leider wird hierbei die Beschreibung der »echten Kursiven« etwas kurz gehalten und Kapitälchen fehlen ganz.
In Kapitel sieben wird auf die Tatsache eingegangen, dass Schrift heute »Software« ist und dementsprechend stark von technischen Variablen abhängt. In diesem Zusammenhang werden technische Grundlagen geklärt und kurz auf die Besonderheiten bei nicht-lateinischen Schriftsystemen eingegangen.
Im achten Kapitel wird der Vertrieb von Schriften diskutiert: Lizenzfragen, Piraterie und verschiedene Bezahlmodelle stehen im Vordergrund. Das letzte Kapitel schließt mit »Perspektiven« im Type Design.
Im Anhang wurde ein nützliches Glossar erarbeitet, ein Stichwortverzeichnis wäre vielleicht für zukünftige Auflagen noch anzuregen.
Fazit: »Cómo crear tipografías« verspricht nicht zu viel: Hier wird Schriftentwurf bis ins Detail und auf höchstem Niveau vermittelt. Auch wenn sich an wenigen Stellen Inhalte durch Autorenwechsel doppeln, vermindert das die Qualität keineswegs. Wir können nur hoffen, dass bald eine englische oder gar deutsche Fassung verfügbar wird.
Nachtrag: zwischenzeitlich wurde das Buch ins englische übersetzt:
Cristóbal Henestrosa, Laura Meseguer, José Scaglione, translated by Christopher Burke and Patricia Córdoba
How to create typefaces: from sketch to screen
152 Seiten
Format 17 × 21 cm
Tipo e Editorial, Madrid, 2017
ISBN 978–84–938654–3–6
£24.00 + Versand
www.tipo-e.com
Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten
Checkliste für optimale Schrift
Bücher zum Thema Schrift gibt es nicht wenige. Möchte sich ein neues Werk vom Rest abheben, muss es mehr bieten, als Fachbegriffe bebildert zu erklären. Mit »Schrift. Wahl und Mischung«, einem fast 1.660 Gramm schweren Buch – das man so beispielsweise auch als kleines schwarzes Podest verwenden könnte – ist nun ein weiteres erschienen. Kann dieses Buch Neues bieten?
Wenn Buchstaben tanzen
Und die Typografie bewegt sich doch! Nach fünf Jahren fand wieder unser Dynamic Font Day in München statt – »endlich wieder«, möchte man sagen! Von 3D-Fonts über eingebettete Schriftdynamik bis hin zu parametrisierbarer Designsoftware wurden die neuesten Entwicklungen vorgestellt und diskutiert. Und ja: Eine Weltpremiere gab es auch!
PostScript-Type 1 ist am Ende, was nun?
Wer mit InDesign arbeitet, bekommt seit einigen Monaten einen blauen Hinweis angezeigt: »Adobe stellt Anfang 2023 die Unterstützung für Type-1-Schriften ein«. Obwohl diese Schriften im System installiert sind, werden sie dann im Schriftenmenü nicht mehr angezeigt.