Bosshards sechs Essays, unvergessen
Die einzelnen Aufsätze kannte ich in ihrer ursprünglichen Form als Beiträge in der heute von mir sehr vermissten Schweizer Zeitschrift »Typografische Monatsblätter«.
1. Selten findet man eine so komprimierte und kluge Zusammenfassung über die Zusammenhänge von Lesbarkeit, Lesefreundlichkeit und typografischer Gestaltung. Dabei spielt die Geschichte von Schrift und Buchgestaltung eine Rolle, ebenso wie Sprache, Motivation, Umfeld und die Experimente in der Schriftgestaltung, Handschriften und die Gesetze der Wahrnehmung. Sogar das längst berühmte Beispiel über Schrift und Farbe wird wissend gestreift.
2. Anmerkungen zum Schriftschaffen seit 1945 (bis 1993). Da gab es zum Glück noch nicht so unendlich viele Schriften. Die wichtigen und brauchbaren wurden hier besprochen, aber auch die lebendigen Klassiker.
3. Das Kapitel über die Wahrnehmung und Lesbarkeit von Schrift im Stadtbild behandelt Geschäftsschilder, beginnend im 15. Jahrhundert, bespricht Klassiker der Moderne und endet schließlich mit dem Jahr 1995.
4. Die »Demontage der Regel« entstand zunächst als Vortrag für den Typotag 1993 in Zürich, der unter dem Thema »Russische und westeuropäische Typografie im Spannungsfeld« stand. Dazu gehören der Austausch in der Moderne der 20er und 30er Jahre via Lissitzky und Tschichold und der Unterschied der kyrillischen Minuskel und ihre Verwandtschaft zur lateinischen Schrift. Und am Schluss werden sieben Regeln zur Demontage aufgestellt, die ich jetzt nicht verrate.
5. Das Verhalten und Verhältnis zwischen Lehrer- und Schülertypografie und welche Regeln, Sehnsüchte oder Ängste damit verbunden sind.
6. Typografie und das kulturelle Umfeld oder wie man die Geschichte der Gegenwart aufnehmen kann oder könnte. Gleichzeitig ein Streifzug durch Themen der Kunst, wie Nachahmung und Originalität. Beispiele von Mallarmè bis zu Arbeiten Bosshards aus den achtziger und neunziger Jahren.
Und das sind nur einige der Themen.
Hans Rudolf Bosshard
Sechs Essays zu Typografie, Schrift und Lesbarkeit
194 Seiten mit 151 Abb.
Hardcover mit Schutzumschlag
Basel 1996
ISBN 978–3–7212–0163–5
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