Bayern streicht Sonderzeichen
Legislativer Paukenschlag: Das Ende der Gendersprache?
In einem furiosen Akt legislativer Kühnheit zieht das bayerische Kabinett überraschend klare Linien: Seit dem 1. April 2024 ist die »Gendersprache mit Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung unzulässig«. Somit ist künftig in Bayerns Amtsstuben, Klassenzimmern, Hörsälen und zugehörigen Publikationen das Gendersternchen (Bürger*innen), die Binnenmajuskel (GestalterInnen), der Doppelpunkt (Kommunikationsdesigner:innen), der mittelstehende Punkt (Schriftsetzer·innen), der Gendergap (Typograf_innen), Gendern mit Schrägstrich (Mitarbeiter/in), ja selbst ein Genderkruzifix (Webdesigner†in) verboten.
»Sprache muss klar und verständlich sein. Es soll kein ideologiegetriebenes Sprachoktroy […] geben«, sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann nach der Kabinettssitzung. Klar, da hilft nur eine ideologiegetriebene Sprachrestriktion – übrigens »unabhängig von etwaigen künftigen Entscheidungen des Rates für deutsche Rechtschreibung«.
Von Cool bis Gendern: Sprachliche Doppelmoral
Wann hat es das je gegeben? Unschuldige Interpunktionszeichen, ursprünglich eingeführt, um Klarheit und Verständlichkeit zu fördern, werden nun amtlich geächtet. Ein kleines bisschen erinnert das an die Zeit, als Jugendliche ungewohnte Anglizismen in die deutsche Sprache integrierten. Plötzlich war etwas nicht mehr »dufte«, sondern »cool«. Wie heute beim Thema Gendern, galt das als Frontalangriff auf die »Reinheit der Sprache«.
Doch im sprachpuritanischen Bayern ist die Verwendung von englischsprachigen Lehnwörtern heute oft selbstverständlicher Bestandteil der Kommunikation (Beispiel: Laptop und Lederhose) – leider zu oft auch sichtbar in Dokumenten der Bayerischen Staatsregierung (Beispiel: Health Care BY Your Side). Hätte man also nicht erst vor der eigenen Tür kehren und mit gutem Beispiel vorangehen sollen?
Rebellen-Symbole
Womöglich verschafft genau dieser Schritt den Verfechter:innen einer Sprache, die niemanden ausschließen möchte (hoppla, müssen wir jetzt vorschriftsmäßig schreiben »Verfechterinnen, Verfechtern und eventuell vorhandenen nonbinären Personen, die ebenfalls engagiert mitwirken« oder doch kurz »Verfechtenden«?), eine unerwartete Rolle in den Annalen der bayerischen Geschichte. Finden sich diese nun wieder in der Walhalla des bayerischen Widerstandsgeistes und des kreativen Regelbruchs, Schulter an Schulter mit dem furchtlosen Wilderer Jennerwein und dem listigen Brandner Kaspar?
Ironischerweise werden die jahrhundertealten, nun geächteten typografischen Sonderzeichen zu Symbolen des Widerstands. Wer hätte noch vor kurzem gedacht, dass das ach so brave Asterisk, das Kolon und der Unterstrich von bürgerlichen typografischen Arbeitszeichen zu »coolen« Rebellen werden? Ein ungewollter Ritterschlag durch das Kabinett, der sogar einigen Gender-Skeptikern zu weit geht.
Entstehen nun in Bayerns Wäldern, oder zumindest außerhalb der Sichtweise von Kitas, heimlich Gender-Clubs? Entwickeln sich in neuen Flüstercafés statt des Gendergaps nun neue Codes wie Nicken oder Zwinkern? Werden in Bayerns Schulen im Unterricht künftig Spickzettel mit Genderzeichen herumgereicht oder wird nur noch auf Schultoiletten heimlich gegendert?
Ein Plädoyer für Vielfalt
Aber vielleicht zeigt sich gerade in dieser Kontroverse der wahre Geist der »Liberalitas Bavariæ«: In diesem Gewirr aus Tradition und Fortschritt sollte Gelassenheit und Einigkeit vorherrschen. In Bayern, wo Sturheit und Herzlichkeit eine seltene Allianz eingehen, ist dieses Gesetz nicht das Ende, sondern lediglich ein neues Kapitel in der unendlichen Debatte um Sprache und Inklusion. Es bekräftigt die ungezähmte Lebendigkeit unserer Sprache, die von denen, die sie sprechen und schreiben, beständig und beherzt gestaltet und neu definiert wird – ob es der Obrigkeit gefällt oder nicht.
In der Typographischen Gesellschaft München wird das Thema geschlechtergerechte Sprache schon länger behandelt, in Vorträgen und Seminare vertieft und intern wie extern diskutiert. Trotz unterschiedlicher Standpunkte, die in einer pluralistischen Gesellschaft unbedingt erwünscht sind, führen wir diese Diskussionen weitgehend ohne Polarisierung. Das ist das Schöne an unserer Gemeinschaft.
Wir sind dabei, ein Dossier zu erarbeiten, das verschiedene Aspekte unserer Diskussion aufgreift und damit vielleicht eine Grundlage für die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache in der Kommunikationsbranche bieten könnte.
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