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Bayern streicht Sonderzeichen

Michi Bundscherer
28. April 2024
Zeichen setzen, indem man sie streicht; Diskursräume öffnen, indem man sie einengt – paradoxe Signale aus dem baye­rischen Kabinett. Doch dieses Verbot könnte die soge­nannte Gender­sprache sogar aufwerten. Eine Glosse.

Legis­lativer Pauken­schlag: Das Ende der Gender­sprache?

In einem furiosen Akt legis­lativer Kühnheit zieht das baye­rische Kabinett über­ra­schend klare Linien: Seit dem 1. April 2024 ist die »Gender­sprache mit Sonder­zeichen zur Geschlech­ter­um­schreibung unzu­lässig«. Somit ist künftig in Bayerns Amts­stuben, Klas­sen­zimmern, Hörsälen und zuge­hörigen Publi­ka­tionen das Genders­ternchen (Bürger*innen), die Binnen­ma­juskel (Gestal­te­rInnen), der Doppelpunkt (Kommu­ni­ka­ti­ons­­­de­signer:innen), der mittel­stehende Punkt (Schrift­set­zer·innen), der Gendergap (Typograf_innen), Gendern mit Schräg­strich (Mita­r­beiter/in), ja selbst ein Gender­kruzifix (Webde­si­g­ner†in) verboten.

»Sprache muss klar und verständlich sein. Es soll kein ideo­lo­gie­ge­triebenes Spra­choktroy […] geben«, sagt Staats­kanz­leichef Florian Herrmann nach der Kabi­netts­sitzung. Klar, da hilft nur eine ideo­lo­gie­ge­triebene Sprachre­striktion – übrigens »unab­hängig von etwaigen künftigen Entschei­dungen des Rates für deutsche Recht­schreibung«.

Von Cool bis Gendern: Sprachliche Doppelmoral

Wann hat es das je gegeben? Unschuldige Inter­punk­ti­ons­zeichen, ursprünglich eingeführt, um Klarheit und Verständ­lichkeit zu fördern, werden nun amtlich geächtet. Ein kleines bisschen erinnert das an die Zeit, als Jugendliche unge­wohnte Angli­zismen in die deutsche Sprache inte­grierten. Plötzlich war etwas nicht mehr »dufte«, sondern »cool«. Wie heute beim Thema Gendern, galt das als Fron­ta­l­angriff auf die »Reinheit der Sprache«.

Doch im sprach­pu­ri­ta­nischen Bayern ist die Verwendung von englisch­spra­chigen Lehn­wörtern heute oft selbst­ver­ständ­licher Bestandteil der Kommu­ni­kation (Beispiel: Laptop und Lederhose) – leider zu oft auch sichtbar in Doku­menten der Baye­rischen Staats­re­gierung (Beispiel: Health Care BY Your Side). Hätte man also nicht erst vor der eigenen Tür kehren und mit gutem Beispiel vorangehen sollen?

Rebellen-Symbole

Womöglich verschafft genau dieser Schritt den Verfechter:innen einer Sprache, die niemanden ausschließen möchte (hoppla, müssen wir jetzt vorschriftsmäßig schreiben »Verfech­te­rinnen, Verfechtern und eventuell vorhandenen nonbinären Personen, die ebenfalls engagiert mitwirken« oder doch kurz »Verfech­tenden«?), eine uner­wartete Rolle in den Annalen der baye­rischen Geschichte. Finden sich diese nun wieder in der Walhalla des baye­rischen Wider­stands­­­geistes und des kreativen Regel­bruchs, Schulter an Schulter mit dem furchtlosen Wilderer Jennerwein und dem listigen Brandner Kaspar?

Ironi­scherweise werden die jahr­hun­der­tealten, nun geächteten typo­gra­fischen Sonder­zeichen zu Symbolen des Wider­stands. Wer hätte noch vor kurzem gedacht, dass das ach so brave Asterisk, das Kolon und der Unter­strich von bürger­lichen typo­gra­fischen Arbeits­zeichen zu »coolen« Rebellen werden? Ein unge­wollter Ritter­schlag durch das Kabinett, der sogar einigen Gender-Skep­tikern zu weit geht.

Entstehen nun in Bayerns Wäldern, oder zumindest außerhalb der Sichtweise von Kitas, heimlich Gender-Clubs? Entwickeln sich in neuen Flüs­tercafés statt des Gend­ergaps nun neue Codes wie Nicken oder Zwinkern? Werden in Bayerns Schulen im Unterricht künftig Spick­zettel mit Gender­zeichen herum­ge­reicht oder wird nur noch auf Schul­toi­letten heimlich gegendert?

Ein Plädoyer für Vielfalt

Aber viel­leicht zeigt sich gerade in dieser Kontroverse der wahre Geist der »Libe­ralitas Bavariæ«: In diesem Gewirr aus Tradition und Fort­s­chritt sollte Gelas­senheit und Einigkeit vorherrschen. In Bayern, wo Sturheit und Herz­lichkeit eine seltene Allianz eingehen, ist dieses Gesetz nicht das Ende, sondern lediglich ein neues Kapitel in der unend­lichen Debatte um Sprache und Inklusion. Es bekräftigt die unge­zähmte Leben­digkeit unserer Sprache, die von denen, die sie sprechen und schreiben, beständig und beherzt gestaltet und neu definiert wird – ob es der Obrigkeit gefällt oder nicht.

In der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München wird das Thema geschlech­ter­ge­rechte Sprache schon länger behandelt, in Vorträgen und Seminare vertieft und intern wie extern diskutiert. Trotz unter­schied­licher Stand­punkte, die in einer plura­lis­tischen Gesell­schaft unbedingt erwünscht sind, führen wir diese Diskus­sionen weit­gehend ohne Pola­ri­sierung. Das ist das Schöne an unserer Gemein­schaft.

Wir sind dabei, ein Dossier zu erar­beiten, das verschiedene Aspekte unserer Diskussion aufgreift und damit viel­leicht eine Grundlage für die Diskussion über geschlech­ter­ge­rechte Sprache in der Kommu­ni­ka­ti­ons­branche bieten könnte.

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