Zum 100. Geburtstag von Günter Gerhard Lange
Er war auch Lehrer, brillanter und gefragter Vortragsredner und ein nie ermüdender Förderer von qualitätvoller Gestaltung. Neben vielen anderen Ehrungen war er auch seit 1990 Ehrenmitglied der Typographischen Gesellschaft München. Deshalb ist es uns eine Verpflichtung – und eine große Ehre – an diesen bemerkenswerten Mann zu erinnern.
Redner, Lehrer und Propagandist der Qualität
Lange ist als Schriftgestalter berühmt. Sein Wirken für die H. Berthold AG und die schier unglaublich lange Liste der von ihm entworfenen oder überarbeiteten Satzschriften spricht für sich. Im Gedächtnis bleibt er denen, die ihn erleben durften, als brillanter Redner und Lehrender. Unvergessen seine unvermittelten, oft brüskierenden Einstiege, seine Publikumsbeschimpfungen, aber auch sein Ermutigen und sein Werben für Haltung und Beharrlichkeit. »Seien Sie nicht lau! Seien Sie entweder heiß oder kalt!«
Ihn als Redner zu erleben war eine Wucht: Mal leise, mal fast brüllend brachte er sein Anliegen für Engagement, Akribie in der Umsetzung und Entschiedenheit im Denken vor. Er sah nämlich weder Schriftgestaltung noch Typografie isoliert, sondern im Kontext der anderen Kunstgattungen wie Literatur, Architektur, Musik und Malerei. Offenheit, Begeisterung und Reflektierheit forderte er ein. »Kinder, die Augen müssen Euch glänzen!« Schon seit seinen frühen Jahren war er nebenberuflich Dozent, ohne allerdings einen Stil oder eine »Schule« zu begründen. Er gab gerne von seinem Wissen weiter, war aber vor allem ein Motivator. Er war sehr kritisch, sparte aber auch nicht mit Lob. Bei aller Explosivität, die auch gefürchtet war, war er großzügig und sensibel.
Er sah sich als »Rufer in der Wüste«. Manfred Klein hat ihn »das Maschinengewehr Gutenbergs« genannt. Sprüche wie »Das ist wie ein ungeküsstes Mädchen, …« oder »Ich bin immer auf der Suche nach Menschen, finde aber nur Fachleute.« bekam man nur bei ihm!
Künstlerische Leitung bei der H. Berthold AG
Wenn er uns auch als Redner in Erinnerung ist – seine Haupttätigkeit war die Schriftgestaltung. Geboren 1921 in Frankfurt an der Oder, war er jung bereits ein sehr erfolgreicher Leistungssportler. Er absolvierte, nachdem er früh seine Begeisterung für Schrift entdeckt hatte, ein erstes Volontariat in einer Druckerei, bevor er mit Beginn des Weltkrieges eingezogen und 1940 schwer verwundet wurde. Nach Beinamputation nicht mehr kriegstauglich, konnte er studieren und im Anschluss als Assistent bei Prof. Walther Tiemann arbeiten.
Er verlies 1949 ganz legal — noch vor Gründung der DDR — die russisch besetzte Zone, zog nach Berlin, studierte dort weiter und arbeitete als Gebrauchsgrafiker, aber schon seit 1950 als freier Mitarbeiter für die H. Berthold AG. Dort stand er vor der Aufgabe, passende Schriften zu liefern. Das waren seine Entwürfe wie zum Beispiel »Boulevard«, »Champion«, »Derby« oder »El Greco«. Dazu kamen Mengensatzschriften wie »Arena« und »Concorde«. Zu nennen ist auch die in sehr vielen Schnitten ausgeführte Adaption der »Akzidenz Grotesk«, die als sachliche Serifenlose den Zeiterfordernissen entsprach und ein Konkurrent zur geläufigen »Helvetica« der Schriftgießerei Stempel war.
Die Firma Berthold war zu diesem Zeitpunkt vor allem ein Lieferant von Bleilettern für Handsatz und verfügte über ein sehr großes Schriftprogramm. Der aufkommende Offsetdruck erforderte aber Filme als Druckvorlagen und damit ein neues Satzverfahren, den Fotosatz. Hier erkannte man rechtzeitig die Zeichen der Zeit und stellte mit der Diatype ab 1958 und den späteren Generationen von Fotosatzbelichtern geeignete Geräte bereit.
Man kann diesen Wechsel vom Bleisatz zum Fotosatz in einem 500 Jahre alten Handwerk innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren als Revolution bezeichnen. So waren die folgenden Jahre von stürmischer technischer Entwicklung geprägt. Langes Leistung war der Aufbau einer großen Schriftenbibliothek und die systematische Neuzeichnung vieler Schriften der Bleisatz-Ära für die Erfordernisse des Fotosatzes. Und das tat man bei Berthold, indem man weltweit die Maßstäbe für Form- und Satzqualität setzte. Mit der »Bodoni Old Face« schuf Lange hier, im Gegensatz zum erwarteten Schriftbild, eine warme, lesbare und geschmeidige klassizistische Antiqua.
GGL war 1960 künstlerischer Leiter und seit 1970 Prokurist: Seine Tätigkeit unterschied sich dadurch insoweit von der anderer freiberuflicher Kollegen, als er für ein einziges, großes Unternehmen und dessen Schriftprogramm arbeitete – und nicht nur seine eigenen Entwürfe zu bearbeiten hatte. Ihm stand ein eigener Mitarbeiterstab im Berthold-Schriftenatelier in Taufkirchen bei München zur Verfügung. GGL symbolisierte »Berthold« und propagierte weltweit deren Schriften (und deren damit verbunden Fotosatzanlagen) auf unzähligen Vorträgen und Events.
Doch Berthold machte einen historischen Fehler: Er hielt zu lange an der analogen »stehenden Belichtung« eines Buchstabennegativs auf Fotomaterial als Ausgabeprinzip fest und verpasste damit den Übergang zum aufkommenden, zunächst als »Lichtsatz« bezeichneten digitalen Satz. Dieses neue Verfahren hatte natürlich zu Beginn noch mit Auflösungs- und Qualitätsproblemen zu kämpfen, was sich aber rasch änderte. 1993 wurde die H. Berthold AG aufgelöst.
Lange ging 1990, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, in den Ruhestand. Er lebte die folgenden Jahre in München, arbeitete weiter als Schriftgestalter und Berater, war ein gefragter Redner und wirkte als Dozent in München und Wien. 1989 erhielt er den Goudy-Award, 1992 wurde er Ehrenmitglied des Art Director Clubs Deutschland, 2000 erhielt er die Medaille des Type Directors Club New York und 2003 den Designpreis der Stadt München.
Der Typographischen Gesellschaft München war Lange sehr verbunden: im Zeitraum von 1951 bis 1994 hielt er über 15 Vorträge und etliche Kurse und Werkstattgespräche. Die tgm gab ihrem langjährigen Mitglied, noch zu seiner Berthold-Zeit 1983, das Buch »G.G.L.« heraus und ernannte ihn 1990 zum Ehrenmitglied. Günter Gerhard Lange verstarb am 2. Dezember 2008 in Großhesselohe bei München.
Sehr empfehlenswert:
gglange.org
Aus Anlass des 100. Geburtstags von Günter Gerhard Lange veröffentlicht seine ehemalige Mitarbeiterin und Verwalterin des künstlerischen Nachlasses von GGL Kirsten Solveig Schneider eine Website, die über das Leben und Werk des großen Gestalters informiert.
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