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Buchbesprechung

Das Graue

Rudolf Paulus Gorbach
7. Februar 2014
Aus einem vier­teiligen Ausstel­lungs­projekt im »Mies van der Rohe Haus« in Berlin ist ein span­nendes Graubuch, oder besser ein Buch über die Farbe Grau entstanden. Und es ist erstaunlich, was Grau alles kann.

Die in der Ausstellung gezeigten künst­le­rischen Bilder sind im Buch abge­bildet und – zum besseren Verständnis – beschrieben. Grau in ganz feinen Nuancen hat ja bei manchen Gestaltern einen hohen Stel­lenwert. Ich denke da sofort an das Ulmer Grau, wie es Otl Aicher verwendet hat.

Die Ausstel­lungs­zyklen waren unterteilt in Hauptsache Grau, Lebendiges Grau, Farbiges Grau und Konstru­iertes Grau.

Grau, das manche für eine Nichtfarbe halten, kann etwas völlig Gleich­gültiges oder etwas ohne Wirkung sein, schreibt Michael Fehr in seinem Text­beitrag »Lebendiges Grau«. Grau hat keine Gegenfarbe, ist aber zum Beispiel bei Philipp Otto Runge das Zentrum seines Farb­kosmos. Der Zyklus »Lebendiges Grau« umfasst vor allem Werke bildender Künstler, die sich mit dem reinen Grau ausein­an­der­gesetzt haben. Und so finden sich graue Bilder in allen erdenk­lichen Schat­tie­rungen und Nuancen.

Zum Thema »farbiges Grau« schreibt Matthias Bleyl, es sei inter­essant zu beob­achten, wie aus Grau mit Farb­anteil ein farbiges Grau wird. Designer mögen sich an ihre eigenen Versuche erinnern, wenn Grau zu bunt wurde. Josef Albers hat immer gesagt, er male keine Farben, sondern Farb­bezüge und bestätigt damit Theo van Doesburgs Aussage »… die Farbe bestimmt sich durch den Gegensatz zu einer anderen Farbe«.

Die konzep­ti­onelle Idee hinter der künst­le­rischen Arbeit sieht Wita Noack in ihrem Beitrag zum konstru­ierten Grau. Das beste Grau ist das Grau, das in naturnahen Prozessen entstanden ist, sagte der berühmte japa­nische Teemeister Sen no Rikyu im 16. Und das Grau des Schattens gewinnt an Bedeutung. Aspekte, die für die Wahr­nehmung der Arbeiten vieler Konzept­künstler von Bedeutung sind.

In weiteren Beiträgen beschreibt Nicola von Albrecht Hirches Grau-Koffer, der vor zwei Jahren auch in der Ausstellung im Berliner Werk­bun­d­archiv zu sehen war, wo es um das Lebenswerk des für das moderne Design wichtigen Herbert Hirche ging (Fern­sehgerät HF 1 von Braun mit grauer Front­platte), während die Werk­bund­gründer dem Grau eher skeptisch gegen­über­standen.

Sprach­his­to­rische Anmer­kungen leistet Harald Bichlmeier. Und das reicht von der Herkunft des Begriffs Grau bis in verschiedene Sprachen der Welt und untersucht ausgiebig, was es mit dem Fami­li­ennamen Grau auf sich hat.

Besonders spannend ist der Beitrag von Axel Buether über die Wirkung der Farbe Grau auf unser Erleben und Verhalten. Farb­wir­kungen gehen zu 99 % auf implizites Wissen zurück, das nicht ins vordere Bewusstsein dringt. Wir spüren Farben daher mehr, als dass wir die damit zusam­men­hän­genden Wirkungs­zu­sam­menhänge verstehen. Jeder Farbton enthält im Kopf des Betrachters eine Welt asso­ziativer Erin­ne­rungen. Die heutige Farbwelt ist von Menschen gemacht, während die Farben der Natur für die Menschen an Bedeutung verloren gegangen sind.

Die Gedächt­nis­landkarte der Farbe Grau mit ihren asso­ziativen Wirkungs­feldern ergab sich aus einer Unter­suchung von 500 Teil­nehmern, die Buether nach umfang­reichen wissen­schaft­lichen Maßstäben durch­geführt hat. Hier ging es vor allem um die Wirkungen, die die Probanden an sich selbst erforschen mussten. Zahl­reiche Zuord­nungen zur Farbe Grau im Natur- und Kultur­bereich wurden erstellt.

Neben vielen weiteren lesens­werten Beiträgen möchte ich noch den von Bendict Tonon erwähnen, der sich im Fall des Graus mit der Stoff­lichkeit des Bauens beschäftigt. Das Grau der Moderne kann man im Kloster »La Tourette« von Le Corbusier erleben und es offenbart eine »werki­manente Ordnung«. Die plas­tische Formkraft wird anhand von Gaudis Casa Mila untersucht. Und Grau spielt auch in der späteren Moderne oft eine wichtige Rolle (was positiv gemeint ist).

Die Abbil­dungen des Buches sind gut repro­duziert und gedruckt, das Layout ist angenehm schlicht, die Papier­sorten sind passend und dem Zweck entsprechend gut. Doch in der Typo­grafie stört einiges das Lesen. Grau ist für das Satzbild wohl zu wörtlich genommen worden. Die magere konstruk­ti­vis­tische Schrift wirkt etwas zu klein, mit ihrem kleinen Schriftbild hätte sie etwas mehr Laufweite gebraucht und Blind­zeilen statt Absätze mit Einzügen erinnern mehr an kurze Prospekttexte.

Matthias Bleyl, Michael Fehr, Wita Noack
Hauptsache Grau
320 Seiten
mit zahl­reichen Abbil­dungen
165 × 235 mm, Verlag Form und Zweck, Berlin 2014
ISBN 978–3–935053–75–4
39,90 Euro

Die betei­ligten Künstler finden Sie unter: form­undzweck.de/produkt/hauptsache-grau/

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