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zitate
Ich hatte das Glück, zu verstehen, dass die Schrift etwas Lebendiges ist.
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Buchbesprechung

Unendlich viele neue Schriften

Rudolf Paulus Gorbach
16. August 2017
Wer die große Schrift-Ausstellung in Wien versäumt hat und wer sich für neue Text­schriften inter­essiert, dem sei ein neues Buch empfohlen: »Subtext: Type Design zeit­ge­nössisch-Lokal: Contem­porary Austrian«. Hier geht es um neue Schriften die in Österreich oder mit Österreich entstanden sind; es geht um Schriften aus den letzten 20 Jahren.

Das Buch beein­druckt durch seine groß­zügige Gestaltung. Die einzelnen Schrift­künstler werden doppel­seitig und schwarz-weiß (wie es sich für Schrift und Typo­grafie gehört) vorge­stellt und man sieht sie bei der Arbeit in ihren wunder­schönen Altbau-Studios in Wien. Die Seiten mit den vorge­stellten Schriften sind sehr viel­fältig gestaltet. Sie erinnern an  Schrift­mus­ter­bücher und wie die eben aussehen.

Von den zahl­reichen aufge­führten und abge­bildeten Schriften bewegen sich viele auf dem Feld der Fantasie. Oft sind es ganz spannende Konzepte die zu einer Schrift führen. Aber wer braucht diese vielen Schriften? Anders ist es bei den eher wenigen Mengensatz-Text­schriften, die für lange Texte und gute Lesbarkeit geeignet sind. Trotzdem freut man sich an der Vielfalt der vorge­stellten Schriften.

Martin Tiefen­thaler führt in einem höchst lesens­werten Beitrag in das Buch ein. »Die Wirkung einer Schrift liegt in diesem subtilen Spiel von Weiß und Schwarz, diesen winzigen Ausdeh­nungen und Inter­ak­tionen von Formen … «, so Martin Tiefen­thaler. 100 bis 1000-fach wiederholen sich Buch­staben auf einer Buchseite. Dabei kann eine Schrift zu gestalten kaum ohne fundierte Typo­grafie-Ausbildung verwirklicht werden und bedeutet auch ein »Abar­beiten an der Typo­grafie-Geschichte«. Zwar wird mit Schrift im Allge­meinen ähnlich schlecht umge­gangen wie beispielsweise mit dem Klima­wandel oder den Bildungs­systemen (um nur einige Beispiele zu nennen, die Tiefen­thaler brandmarkt). Lesen ist nicht nur eine geistige Fähigkeit sondern eine harte körperliche Arbeit. Darüber schreibt Tiefen­thaler sehr exakt. Falls ein Schrift­ge­stalter die Schrift­ge­schichte nicht kennt ist das in seinen Entwürfen zu sehen. Das gilt ja auch für anderes Design oder für die Kunst. »Matthew Carter, der verglichen mit seinen Schriften wie beispielsweise Verdana und Georgia als Gestalter nur wenigen Menschen bekannt ist, hat einmal sinngemäß gesagt, dass ihm bei der Arbeit zuzusehen ungefähr so spannend sei wie einer Eisma­schine beim Eis-Machen.«

Nun ist es sicher schwer, indi­vi­duelle Formen für so wenig Zeichen, wie sie das Alphabet besitzt, zu gestalten. Sie müssen miteinander harmo­nieren. Tiefen­thaler zitiert Giam­batista Bodoni, der in seinem Vorwort zu seiner »Manuale Typo­grafica« geschrieben hat: »Indem man so alles, was zur Unter­scheidung über­f­lüssig ist, gleich macht und die Unter­schiede so deutlich wie möglich hervorhebt, bekommen alle Buch­staben eine gewisse Gesetz­mä­ßigkeit und Regel­mä­ßigkeit, die Gleich­för­migkeit ohne Zwei­deu­tigkeit, Verschie­den­ar­tigkeit ohne Dissonanz und Symmetrie ohne Verwirrung schafft.«

Tiefen­thaler beklagt auch dass es in der Geschichte so wenig oder keinen öster­rei­chischen Gestalter gab. Das hat sich jedoch in der heutigen Zeit massiv geändert.

Die Pagi­nierung des Buches ist rätselhaft: Das Vorwort ist mit kleinen römischen Ziffern paginiert (gibt es die überhaupt?), der Hauptteil wird zum Teil als Doppel­seiten gezählt, Von Seite 189 geht es sofort auf der Wider­druckseite auf die Seite 416. Ich habe das nicht verstanden.

Hierzu die Antwort von Martin Tiefn­en­thaler: »… die einzelnen schriften sind durch­num­meriert und unter­strichen, manchmal über mehrere seiten, bzw. sogar mehr als eine doppelseite … im schrift­mus­terteil mit den texten von menschen aus wissen­schaft und kultur, die über ihre beziehung zu schrift schreiben, selber aber nicht profes­sionell als schrift­ge­stal­te­rInnen damit zu tun haben [ausnahme spie­kermann] wurde konven­tionell paginiert.
im index auf seite 476f. kann man das ganz gut über­blicken. da sind die schriften mit ihrer schrift­nummer (unter­strichen) und manchmal auch mit der üblichen pagina, wenn wir sie im schrift­mus­terteil für die texte angewandt haben. im perso­nen­re­gister wird’s dann noch komplexer, weil wir da zwischen auto­ren­schaften, erwähnung in texten und schrift­de­si­g­ne­rInnen unter­scheiden und auszeichen mussten — das war eine inter­essante aufgabe«.

Pagi­nierungs-conzept-art!

Andreas Pawlik, Martin Tiefen­thaler (Hg.)
Subtext: Type­design
Englisch, Deutsch
400 Seiten, 700 Illus­tra­tionen, 165 × 230 mm, Hardcover
Niggli Verlag, Salenstein 2017
39,90 Euro
ISBN 978–3–7212–0978–5

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