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Typo­grafie ist wie Klavier – aus schwarz-weißen Elementen entsteht die Kunst, Herz und Verstand zu berühren.
Michael Bundscherer

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Branche

Reflexionen über Grenzgebiete. Die Typo 2013

Rudolf Paulus Gorbach
28. Juni 2013
Die Typo 2013 in Berlin bot als inter­na­ti­onales Desi­gnforum eine facet­ten­reiche Ausein­an­der­setzung mit dem Thema »Touch«. Sie präsen­tierte inno­vative Perspektiven auf die Berüh­rungs­punkte zwischen digitaler und physischer Gestaltung.

Touch, oder was man darunter versteht

Ken Garland, einer der inter­es­san­testen britischen Gestalter, forderte bereits 1963 nützliche und nach­haltige Kommu­ni­ka­ti­ons­formen und beginnt mit Beispielen der Berührung oder sogar der Rührung anhand von Tier­bildern. Berüh­rungen, senso­rische Berührung, affektive Berührung bei den Füßen von neuge­borenen Menschen oder unter­schiedliche Hände; weiß als gesund im Gegensatz zu schwarz als krank.

Ken Garlands Bühne

Eine Hand berührt den Kopf eines Kindes, das bereits im Grab liegt. Klar, Garland möchte das Publikum sensi­bi­li­sieren und sagt auch: »Wenn wir uns darauf verlassen, was wir auf dem Bild­schirm sehen, sind wir verloren«. Wie wahr. Am Ende seines Vortrags verteilt er Gegen­stände im Publikum, die berührt werden sollen und lobt das Gefühl bei Berührung. »Touch« ist auch das Motto des inter­na­ti­onalen Design Talks Typo 2013 in Berlin. Hoffentlich ist das nicht nur eine Metapher, die die einzelnen Sprecher einfach nur erwähnen, denke ich.

Nancy Birk­hölzer und Reto Wettach sind sehr enttäuscht von einem »Inge­nieurs-Ansatz«, den sie in der Gestaltung erkennen und sind der Meinung, dass Gestalter »das Ruder rumreißen« sollten. Dank der Technik könnten den Menschen ihre Wünsche erfüllt werden. Doch die Menschen verpassen, was um sie herum geschieht, da sie mit ihren Mails beschäftigt sind. Ein Bild wird nicht mehr gesehen, sondern gemacht und sofort gepostet. Klick und »Gefällt mir«, ohne etwas wahr­zu­nehmen, aber cool aussehen.

Was ist aber mehr wert als »gefällt mir«?
Wie engagiert man sich für das, woran man glaubt oder besser gesagt, wie nimmt man besser wahr? Und dann folgen Empfeh­lungen und Warnungen: Alle Macht dem Geist zurückgeben. Täglich 63000 Wörter erhält ein Mensch zur Infor­ma­ti­ons­ver­a­r­beitung. Aufmerk­sam­keitsdauer  8 sec.. Störungen ausschalten und das Netz abstellen. Die Daumen werden stärker durch dauernde SMS Betä­tigung.  
Computer bean­spruchen immer die volle Aufmerk­samkeit.
Die beiden Refe­renten empfehlen Mobil­te­lefone, die Empfin­dungen wieder geben. Oder ein Radio mit Stopfen für eine direkte Handlung.
Und übrigens bräuchten wir Gesten.
Dabei erzählen sie von ihrer Arbeit mit Apps, da doch ab 2015 in der EU alle Autos mit dem Internet verbunden sein müssen. Und nebenbei stellen sie dauernd digitale Möglich­keiten vor, ob Tabletten genommen wurden oder nicht. In einer Bäckerei geht die Info über alles was aus dem Ofen kommt sofort ins Internet. (Und das soll gut sein?)
»Kochhaus« wird als Beispiel eines begehbaren Rezeptbuchs gesehen, alle Zutaten werden mitge­liefert. Kochen ade.
Drei Millionen Fern­be­zie­hungen gibt es in Deut­schland. Wie kann man hier intimere Kontakte schaffen? Beispielsweise mit Daumen­küssen über den Bild­schirm. Vibra­ti­onsmodus in der Wäsche, finden die beiden auch im  Prinzip toll. Lampen, die andere Bewe­gungen aufnehmen.
Xing Radar, ist doch eine schöne Art wenn man seine Freunde kommen »sieht«. Viel digitaler Touch, aber für was?
Immerhin aber die Idee der Give Box, in die man eingibt, was man nicht mehr braucht, über­f­lüssige Lebens­mittel an Sammelorte bringen. Nun ja, aber das ist auch nicht ganz neu.

Lust am Handwerk und Attraktion auf der Typo: Gestalter dürfen mit Holzschriften setzen

Harry Keller von Eden­spie­kermann findet, dass alles auf totale Vernetzung hinausläuft und überlegt für sich, ob das alles gut sei. Er findet Google Glass lächerlich und Gesichts­er­kennung ist für ihn eine schreckliche Vorstellung. Die Maschine steuert uns nicht, sondern eher die Menschen. Aber die Revo­lution benötigt Designer und Designer sollten die Zukunft denken. Er sagt, dass weniger Leute im digitalen Bereich arbeiten und viel mehr im Print­bereich. Doch dessen Zeit soll demnächst zu Ende gehen. Die Frage stellt sich, ob das Digitale Angst macht. Im Web kann viel mehr schiefgehen als im Print­bereich, wo alles bestimmt ist.

Man muss mit Entwicklern arbeiten. Doch diese Leute machen oft alles ganz anders. Der Designer entwirft für den best case, während der Entwickler die Funk­tionen möglich machen muss. Entwickler sind also nicht nur Umsetzer, sondern vor allem Partner. Die Projekte für das Web sind nie fertig, sondern gehen immer weiter. Oft entwickelt man etwas, was fehlerhaft ist, weil man nicht weiß, was draußen in der »Wildnis« geschieht.

Dann noch einige Anmer­kungen aus der Werkstatt: Der Entwurf wird nicht mit InDesign gemacht, denn im Web gibt es keine Serien von Seiten. Bei Spie­kermann wird mit Keynote gear­beitet. Ein Raster im Web hätte keinen Sinn oder man fasst einen Raster noch einfacher zusammen.

Schrift für die Goldene Kamera

Carolin Rauen und Max Kühne von Paperlux haben zunächst als Babyfoto erschienen. Der gelernte Schil­dermaler mit Hut betrachtet Kunden­be­zie­hungen als Flirt. Das mag für ihn nett sein, aber seine lang­atmige und naive Darstellung von Kunden­be­zie­hungen war nicht einfach zu ertragen.

Die aufwändigen Präsen­ta­tionen für die Goldene Kamera (Hörzu), die geprägt, gestanzt und lackiert wurden, gipfelten in banalen Druck­sachen. Seit 2012 ist auch ein sibi­rischer Illus­trator im Team. Die Cover­ge­stal­tungen für Novum sind in der Branche sehr aufge­fallen.

Nach einer Ausein­an­der­setzung mit den Ideen von Buck­minster Fuller entsteht ein Drei­ecks­raster in Farb­va­rianten. Das ist sicherlich eine inter­essante und enga­gierte Prozess­technik. Den Film über die Produktion, aber auch über die Werkstatt hätte man sich sparen können.

Design toucht wild

Kate Moross blickt zurück auf ihre Piraterie nach der Schulzeit und die Punkszene. Sie glaubt, dass wir heute in einem Punk­zeitalter leben. Heim­werken, also das Selber­machen, wäre ein Beispiel dafür.

Sie behauptet, dass es für sie keine Regeln der Gestaltung gäbe, denn es gehe lediglich um Kommu­ni­kation und dass man sich für etwas bemühe. Später sagt sie dann auch fast kokett, sie mache eigentlich nur Bullshit. Das scheint aber nicht so zu sein. Für ihre äußerst farben­frohen, über­bunten Arbeiten gründete sie ein CD-Label, um die Cover gestalten zu können.

Der einstige Typostar Neville Brody über­zeugte durch sein umfang­reiches Werk. Er begann mit früheren Arbeiten und zeigte die Entwick­lungs­spanne anhand der Zeit­schrift Fuse (siehe auch Buch­be­sprechung Fuse-Übersicht im tgm-Blog).

Er führt hand­ge­machte Beispiele vor, was manche verwundern mochte, da Brody ja mit der aufkom­menden digitalen Typo­grafie berühmt wurde. Und beim Hand­ge­machten erwähnte er gleich die im Hamburger Bahnhof laufende Gesamtsicht auf das Werk von Martin Kippen­berger samt Zwischenraum von Dieter Roth als schönes Beispiel einer Ausstellung.

Heute geht es ihm nicht mehr um die Tools, er findet die Medien anti­sozial und meint, dass die siebziger Jahre nicht so hektisch waren. Entwick­lungen liefen eher im Hintergrund, was heute nicht mehr der Fall ist.

Nach der Post­moderne wollen viele seiner Studie­renden nichts Digitales, sondern ein Buch. Und ein wichtiger Versuch für ihn ist es, das Digitale analoger zu gestalten. Mehr Fluidität und Malerei sollten ins Digitale gebracht werden, was vor 20 Jahren bereits exis­tierte. Nicht funk­tio­nierende Dinge wie ein Jahrbuch, das zerfallen soll, oder The Times als Theater.

In der Rückschau auf 20 Jahre Fuse zeigte und kommen­tierte er viele Beispiele, die inzwischen zu Typo­grafie- und Desi­gnge­schichte geworden sind. Übrigens war »Touch« einst der Titel eines Multimedia-Magazins von Jon Rozencroft.

Jessica Walsh, Partnerin von Sagmeister, hielt einen umju­belten Schluss­vortrag. Sie sprach äußerst perfekt. Bisweilen fragte man sich, ob da nicht eine digitale Puppe steht. Aber sie zeigte dann doch auch viel Leben, indem sie ihre anwesende Schwester auf die Bühne holte. Das wurde vom Publikum mit Applaus bedacht. Fragt man sich jetzt schon, ob das Kitsch ist? Zurück zum Inhalt: Was sie zeigte und kommen­tierte, waren perfekte Arbeiten. Viele Ideen kommen aus der Kunst, sind hier nur auch noch äußerst perfekt ausgeführt. Oft wundert man sich, wie große Marken­ar­tikler sich zur Umsatz­ver­grö­ßerung und Gewinn­ma­xi­mierung solcher Arbeiten bedienen. Natürlich gibt es auch die groß­spurigen »Sagmeis­tereien«, beispielsweise die Eigen­werbung im prüden Amerika mit sich und Sagmeister im Nacktfoto. Walsh sieht dies und wohl alles als Spiel, jedenfalls lautet der Text im Programmheft so, und das Spie­le­rische konnte sie auch den vielen Studie­renden im Publikum gut vermitteln.

»Gute Typo­grafie muss passend sein, das würde uns glücklich machen«, sagt sie. Das genaue Gegenteil der Bühnen­hy­pe­r­ak­ti­vitäten bieten die Schweizer Stieger, Senn und Hafen. In äußerst ruhiger Darstellung zeigten die drei Gestalter aus St. Gallen ihre sehr schönen Buch­ge­stal­tungen.

Das Buch hat sich wenig verändert. Den Weißraum gab es schon in alten Büchern. Seine Gestaltung geht betont vom Inhalt und von den Innen­seiten aus. Der Ablauf, also die Drama­turgie, ist neben dem prin­zi­piellen Seiten­rhythmus wesentlich.

In einem Buch über Jost Hochuli zum 75. Geburtstag werden Schriften verwendet, die Hochuli immer benutzt hat. Holz­haltige Papiere kommen zu neuen Ehren, da sie alle in Würde altern: der jeweilige Autor, die Leser und natürlich das Papier.

In einem Band über eine Lokremise gibt es aufeinander abge­stimmte Seiten, sodass der Text gefahrlos über den Bund laufen kann. Ihre Arbeiten findet man auch für das Kunst­museum St. Gallen sowie auf sehr schönen Theaters St. Gallen-Plakaten. Über ihre Lehr­tä­tigkeit berichteten sie im Fach Schrift­ge­staltung, wo es eine inter­essante Aufgabe gibt: Schrift­entwurf in 20 Minuten mit einer x-Höhe von 4 cm. Für sie sei es auch spannend, mit neuen Schriften zu arbeiten. Seine Allegra hatte Jost Hochuli auf van Crimpens Idee der 20er Jahre aufgebaut, aber nach dem Erscheinen der Rotis liegen­ge­lassen. Dem Team ist es gelungen, die Arbeit daran wieder aufzu­nehmen und sie erzählten dann auch, dass pro Zeichen mit einer Stunde Arbeit zu rechnen sei.

Welche Schrift könnte Kindern mit einge­schränktem Lese­vermögen helfen, besser zu lesen? Anne Bessemans hat nach ihrer Disser­tation mit dem Thema »Lesbarkeit für Kinder mit einge­schränkter Lese­fä­higkeit« einen Forschungs­beitrag auf wissen­schaft­licher Basis geleistet.

Eine neue und dafür geeignete Schrift sollte entwickelt werden. Nun weiß man, dass das Erlernen des Lesens ein sehr komplexer kognitiver Prozess ist. Lese­schwie­rig­keiten behindern auch intel­lek­tuelle Entwick­lungen, ein Prozess, der norma­le­rweise im Alter von neun Jahren abge­schlossen ist. Die Schwie­rig­keiten, Ziffern, Zeichen und Muster zu erkennen, werden manchmal mit einer Verbes­serung der Eingangs­signale versucht, indem die Schrift etwas größer gemacht wird. Aber das hilft noch nicht.

Die Lücke zwischen Praxis und Wissen­schaft ist oft eklatant. Oft werden bei wissen­schaft­lichen Forschungs­a­r­beiten keine Gestalter hinzu­gezogen. Beim Test­ma­terial in ihrem Forschungs­projekt zeigt sich, dass eine Lesbar­keits­be­ein­träch­tigung oft schon in der Schriftwahl für den Test begründet ist. Manchmal basteln Wissen­schaftler etwas selbst zusammen. Das Selbst­ge­machte reicht jedoch nicht für eine Objek­tivität aus. Aber auch schon beim Begriff der Lesbarkeit/Leser­lichkeit besteht eine konzep­ti­onelle Unklarheit. Was versteht man unter Lesbarkeit?

Ist es die Lese­ge­schwin­digkeit, die Sakkaden oder wie leicht sich bestimmte Symbole entziffern lassen? Aspekte des Lesens sind das Deco­dieren und das senso­rische Empfinden. Bessemans glaubt, dass der senso­rische Bereich sehr wichtig ist und bemühte sich daher, eindeutiges Test­ma­terial zu entwickeln. Viele Lehrer glauben, dass seri­fenlose Schriftarten einfacher zum Lesen­lernen sind. In einem Vergleich zwischen den Schriftarten »Documenta« und »Frutiger« haben 110 Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren teil­ge­nommen, darunter 54 Kinder als Kontroll­gruppe. Der Test wurde als Spiel durch­geführt und die Kinder waren voll dabei. In sechs Durch­gängen wurden insgesamt 360 Wörter gelesen.

Heraus­ge­stellt hat sich dabei, dass die Documenta lesbarer wäre als die Frutiger. Das bedeutet, dass Serifen die Zeichen »schärfen«. Die seri­fenlose Schrift in ihrer Hete­ro­genität gibt eine Art von Floating.

Von den Kindern gab es kein rele­vantes Ranking. Sie fanden nicht, dass eine der beiden Schriften besser lesbar wäre. Bei der Frage, welche Schrift Kinder lesen wollen, sind natürlich die Gewohn­heiten aus Schul­büchern zu berück­sichtigen. Seri­fen­schriften stammen danach aus »echten« Büchern (also nicht aus Schul­büchern). Bei abwei­chenden Buch­sta­ben­breiten dachten die Kinder, dass die Schrift selbst größer wäre.

Aus dem Text mit Frutiger und Documenta wurden nun Versuche für eine neue, noch lesbarere Schrift begonnen. Matilda heißt die Schrift und sie ist weiter, offen, rund und organisch. Der etwas unre­gel­mäßige Rhythmus der Buch­sta­ben­folgen wird als hilfreich für das Lesen angesehen. Genau genommen sind die Unter­schiede sehr gering. Aber viel­leicht werden auch Ergebnisse aus der Lese­praxis mit Matilda veröf­fentlicht.

Matilda

Die neue Norm »Leser­lichkeit« nach DIN 1450 ist erschienen.

Albert Jan Pool war maßgeblich daran beteiligt und berichtete auch über die Entstehung. Die alte DIN-Schrift sollte für Ungeübte lesbar sein. Der Wandel ist bekannt. Die neuen Versionen der DIN-Schrift von Pool wurden sogar von Andreas Uebele für das Corporate Design des Deutschen Bundestags verwendet. Über­le­gungen, was beim Lesen passiert, gibt es schon lange.

So liegt die Schärfe in der Mitte und darum herum nimmt die Sehschärfe ab. Kevin Larson spricht in der kognitiven Psychologie von zwei Systemen für ein schnelles und langsames Erkennen. Die schnelle Erkennung braucht eine Konvention, gute Lesbarkeit ebenso. Seri­fen­schriften werden danach etwas schneller gelesen als seri­fenlose.

Der Lesbar­keitstest von Bernard wurde auch bei Wendts berühmten Studien verwendet. Eine halbfette Schrift schneidet schlechter ab als eine magere Schrift. Dass eine magere Bodoni proble­matisch ist, weiß man spätestens seit Wendt. Die Zitate von Wendt erweisen sich als weiterhin gültig. Natürlich spielen die Text­sorten eine Rolle. Ein Beipack­zettel hat andere Aufgaben als beispielsweise ein Buch. Die Schär­fe­un­ter­suchung nach Snellen hat sich für den normalen Sehtest bewährt. Die Landol­tringe sind für Erken­nungs­muster wichtig. Die Winkel­messung des Sehwinkels in Bogen­minuten ist besonders für die Signaletik wichtig. Ist die Schrift gut geöffnet und stimmt die Strich­stärke?

Jamie Neely sagte übrigens in seinem Beitrag »Proto­typing with Web Type«, dass mitt­lerweile 17 % der Websites mit Webfonts arbeiten. Das Design der Zukunft bewegt sich in eine andere Richtung.

Design der Zukunft bewegt sich anders

Von ihrer Arbeit am Design Research Lab der UdK Berlin berichtete sie von Versuchen auf der Texti­lebene mit leitendem Garn und Bluetooth-Verbindung mit Record- und Play-Funktion. Forschung sieht hier anders aus, wenn man den Webstuhl im Labor sieht.

So wird eine Vernetzung aus der Forschung in die Gesell­schaft hinein versucht. Wie können Tech­no­logien nach­haltig in die Gesell­schaft eingehen? Joost spricht bewusst von »Sendungs­be­wusstsein« in die Gesell­schaft. Durch Proto­typing lässt sich manches einfacher erforschen.

Eine subtilere Art des Handy­klingelns durch Atmen oder Herz­schlag wäre vorstellbar. Mit der »Skin­tinesie« ließe sich über den Haut­wi­derstand und die Intensität der Berührung Musik steuern. Gesche Joost stellt viele Fragen: Wie kann man besser mit Lorm, der Sprache der Taubblinden, umgehen? Demenz-Patienten versuchen in einer Demenz-WG besser mit Tablet-PCs zurecht­zu­kommen. Und viel­leicht eine umfassende Frage (und viel­leicht spricht da schon die Poli­tikerin): Wie bekommen Designer das Mapping hin?

Sander Neijnens, der vor Jahren auf der Typo ganz wunderbar Zusam­menhänge zwischen Schrift und Akkordeon erklärt hatte, hat sich nun mit dem Zusam­menhang von Schrift und Gedichten befasst.

Es entstanden Schrift und Gedichte zum Anfassen und er fragt, was passiert, wenn wir etwas betrachten und sieht Lesen als Schaffen einer virtuellen Realität.

Er beginnt mit einem Gedicht-Projekt in Tilburg. » Ein Gedicht für eine Brandmauer. Und es folgen «groß­for­matige Projekte, beispielsweise auf Bäumen, Straßen, Zäunen. Die Schrift­zeichen können auch Tomaten oder Äpfel sein oder große Farb­flächen, wenn der Text von Außer­ir­dischen gelesen werden soll.

Äpfel als Pixel

Wie man eine Design-Zeit­schrift gestaltet, versprachen Mitya Kharshak und Peter Bankov. Sie zeigten viele Titel und Innen­seiten, selbst­gemacht und alles. Die Erklärung dazu, wie man das nun macht, blieben die Refe­renten schuldig. Dagegen kamen solche Sprüche wie »Man ist Lehrer, um Ideen von jüngeren Studenten zu klauen«. Aber es gab noch etwas dazu, wie man es macht: Das Format der Zeit­schrift entspricht den Füßen von Frau Bankov.

Klar wurde mir zwar nicht, warum Grzegorz Lazuk die polnische Plakat­schule getötet hätte. Aber es war eine historisch-ironische Darstellung der polnischen Plakat­ge­schichte. Die Texte kamen aus dem Off und Lazuk expe­ri­men­tierte mit verschiedenen Songs, die er mit einfacher Echt­zeit­elek­tronik veränderte. Da gab es sehr laute, aber doch auch schöne Klang- und Geräu­scher­lebnisse.

Der Magazin- und Zeitungs­ge­stalter Jacek Utko meint, dass alles zu viel und zu schnell im Web sei. Print soll zeitgemäß aussehen und deshalb wird die Zeitung der Zukunft im Maga­zinstil gestaltet. Es bedarf eines neuen und »kreativen« Jour­na­lismus. Angeblich bevorzugen Menschen nicht­lineare Modelle und

wir sollten lernen, häpp­chenweise zu schreiben und ziemlich viel »Inhalt« in Listenform zu verwenden. »Die Leute lieben das«. Ein schwieriger Inhalt sollte in eine Art Raster geformt werden. Ikonen, die nur wenige Sekunden zur Erkenntnis benötigen, sollten bevorzugt werden. Man sollte mehr mit den Rastern spielen. Gleich­zeitig meint er, dass die Ersten, die ihren Job verlieren, Info­grafiker und Foto­grafen wären.

Während auf der Leinwand Arbeits­bei­spiele herun­terrasen, wider­spricht sich der Sprecher. Einmal ist die Titelseite das Einzige, was einer Zeit­schrift wichtig ist, und kurz danach will er die Arti­kelseite und nicht die Titelseite als das Wich­tigste sehen. So fragt er, was im Web von Print gelernt werden kann, beklagt mangelnde Hier­a­rchien, redet von Rastern und schimpft gegen blöde Über­schriften. Aber Antworten bleiben aus.

Henrik Kubel vom Studio A2 (Büro zu zweit) erstellt für jedes Projekt eine neue Schriftart. Er begeistert sich täglich für das Gefühl, etwas erreichen zu können, und beschreibt sich als süchtig nach seiner Arbeit. Die Erfahrung der Finanzkrise, von der er über­rascht wurde, hat ihn offen­sichtlich sehr beschäftigt. Jedoch konnte er in der gewonnenen Zeit viele Schriftarten entwickeln. Wie so viele zuvor zeigt auch er sein Atelier oder seinen Arbeitsraum, relativ klein. Er lobt, dass es gut wäre, viel Raum zu haben.

Nachsätze

An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass viele »Speaker« auf dieser Konferenz eigentlich nur reden, aber keine Vorträge halten. Das wirkt recht unkon­zen­triert. In einem altmo­dischen Vortrag werden mit viel weniger Zeit­aufwand wesentlich mehr Fakten vermittelt.

Natürlich ist das wieder ein sehr unvoll­ständiger und subjektiver Bericht. Bei gleich­zeitig immer drei Vorträgen wäre eine Voll­stän­digkeit nur in einem größeren Team möglich. Zu kurz kam leider die ganze Serie von Auftritten russischer und polnischer Gestalter. Eine namhafte Kollegin sagte mir, dass sie vor allem wegen der Begegnung mit Kollegen nach Berlin käme. Auch ich finde das schön und sogar wichtig, aber das allein würde mir dann doch nicht ausreichen.

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