Macht durch Schrift oder ein Ansatz zur Designforschung?
Die Betrachtungen beziehen sich auf Höhepunkte der Buch- und Typografiegeschichte. Über den Teil Faschismus gibt es ein eigenes Buch (NSCI, siehe »vier Seiten« Nr. 39 März 2009) und über Schrift und Macht hat Koop letztes Jahr in Mainz gesprochen (Beitrag im tgm-Blog »Schrift und Macht in der Welt«).
Der Zusammenhang zwischen Herrscher und Schrift bzw. deren Ausführenden wird bei Koop schlüssig dargelegt. Ich halte diese Querverweise zur Schriftgeschichte für sehr wichtig und für ein Stück Kulturbewusstsein. Karl der Große, Maximilian I., König Ludwig XIV., Napoleon I. und im 20. Jahrhundert Kemal Atatürk, Adolf Hitler, Benito Mussolini und die Bundesrepublik Deutschland sowie die Gegenpositionen in politischen Alternativen werden behandelt.
Der erste Teil befasst sich allgemein mit der Problematik der Designforschung. Ruedi Baur schreibt in seinem informativen Vorwort über den Kontext, in dem wir uns als Leser befinden und der unsere Wahrnehmung stark beeinflusst. Der Gestalter bestimmt diesen Einfluss durch die Wahl der Schrift, durch die Form, die er dem Text gibt. Da der Gestalter mitverantwortlich ist für eine »Macht«, die ein Text mittransportiert, ist auch die Verantwortung entsprechend groß. Fraglich ist auch die Kompetenz des Designers, wenn er nur das schafft, was der Wirtschaft dient und ihre Kunden bindet, aber nicht das, was die Gesellschaft braucht (Peter Kümmel hat gerade in der Zeit" vom 6. Juni 2013 der Werbung und den Agenturen einen schrecklichen Spiegel vorgehalten).
Andreas Koop plädiert für eine Designforschung als Disziplin und welche Möglichkeiten es dafür gibt. In der Forschungslandschaft hat es Design immer noch schwer, weil eben auch der Designbegriff nicht klar abgegrenzt ist. Zwar sprechen größere Agenturen auf ihren Websites von »Labs« oder »Research«. Aber ob es sich dabei schon um Forschung handelt oder eher um die Aufwertung der Agentur, ist zumindest nicht klar. Die Veränderbarkeit der Welt hat ihren Reiz, und vielleicht gelingt das besser, wenn man die Wissenschaft mit einbezieht.
Für die Ursprünge der Designforschung nennt Koop lediglich Otto Neurath und Otl Aicher. Wobei Aichers Beitrag im Rahmen der hfg Ulm zu sehen ist, die zweifellos den wichtigsten Ansatz zur Designforschung innerhalb der eigenen Szene initiiert hat. Bei den Forschungsansätzen folgt Koop den Theorien, dass es Forschung über Design, Forschung für Design und Forschung durch Design gibt. Forschung über Design findet sich in der Designgeschichte oder in einer immer stärker werdenden Designkritik. Die Methoden stammen meist aus anderen Disziplinen. Wenn für Design geforscht wird, steht oft ein konkreter Auftrag dahinter. Die Ergebnisse sind in der Regel nicht öffentlich und werden erst publik, wenn sich das eigentlich zu erforschende Projekt gut verkauft hat. Forschung durch Design könnte interdisziplinär sein und mit der Entwicklung eines neuen Designs die Reaktionen untersuchen.
Wo also beginnt Designforschung? Sicherlich gibt es bereits vieles, was im Vorfeld darauf hindeutet. So entstehen immer häufiger Diplom- oder Magisterarbeiten, für die sich der Autor recht intensiv mit einem Teilbereich auseinandergesetzt hat. Aber auch Semesterarbeiten oder Studienarbeiten bieten sich an.
Das Buch ist vom Autor sehr sorgfältig gestaltet. Es ist eigentlich ein Textbuch mit gelegentlichen Abbildungen und da frage ich mich schon, warum das Buchformat so groß sein muss. Natürlich kann man mit einem größeren Format mehr machen, aber die Bilder rechtfertigen kaum das Format von 195 × 250 mm. Man muss also am Tisch lesen (was die Rezension dieses Buches verzögert hat). Und noch eine Frage zur Lesbarkeit: Die Absätze sind überbetont (oder ist das »designspezifisch«?), weil danach immer eine Leerzeile kommt und dazu noch ein tiefer Absatzeinzug von gut einer Drittelszeile, das »hämmert«. Die Bildunterschriften in hellem Goldgelb sind nur bei Tageslicht lesbar. Trotzdem fasziniert mich das Buch sehr, und schon deshalb wäre ein Register eine tolle Sache gewesen.
Andreas Koop
Die Macht der Schrift
Eine angewandte Designforschung
304 Seiten
Niggli Verlag Sulgen, 2012
46 Euro
ISBN 978–3–7212–0780–4
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