Bürdek: Design sollte eine Disziplin sein
In seiner jetzt erschienenen Dissertation mit dem Titel »Design auf dem Weg zu einer Disziplin« blickt Bürdek auf das 20. Jahrhundert zurück und gibt einen Ausblick auf das 21. Design als Kernbereich der Gestaltung, weit entfernt von angewandter Kunst, durchzieht den Text von den Anfängen des Designs an.
Bemängelt wird, dass Design kein eigenes disziplinäres Designwissen besitzt und Theorie und Praxis angesichts der Globalisierung oft weit voneinander entfernt sind. Die Verständigung ist vielfach diffus. Auch in den Diskursen um Disziplin und Interdisziplinarität der Neunziger Jahre wird die eigene Disziplin der Designer nicht genügend beachtet.
Bürdek untersucht Design ausgehend von der Kunst, von der Technik und von der Kultur. Die Erkenntnisse der Ökonomie hält der Autor für ebenso wichtig (damit man sich nicht »hinter einem eigenen diffusen Kreativitätsbegriff verschanzt«). Zwischen Design und »Craft« gibt es keine Konvergenzen. Das Industrial-Design ist der industriellen Produktion verpflichtet, während Kunsthandwerk eher zum Handwerk als zur Kunst gehört.
Die Anfänge moderner Formgebung werden anhand einer Rückschau auf Nikolaus Pevsner und Herbert Read begonnen. So zeigt sich bereits im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert die Diskrepanz zwischen einer Technologie, die lediglich als Mittel zum Zweck genutzt wird, und einer Kunst, die sich selbst als Zweck an sich begreift. Produkte für große Weltausstellungen wurden mit Bedeutung angereichert und dekoriert, um sie besser verkaufen zu können.
Bürdek betrachtet die Konzepte von Vitruv – Zweckmäßigkeit, Festigkeit und Schönheit – als grundlegende Prinzipien. Und daran schließt zum Beispiel Andreas Dorschel mit seiner »Gestaltung und Ästhetik des Brauchbaren« an (siehe Vier Seiten Nr. 25, 2004) an. Wilhelm Wagenfeld spricht vom Selbstverständlichen der funktionalen Gestaltung, die sich aus der Handhabung des Gebrauchs und aus der Herstellung ergibt. Max Bill war ebenfalls vom Gebrauch der Dinge überzeugt und setzte diesen gegen den Schein. Und er wehrt sich gegen zufällige Ergebnisse, denn »die Gestalt umfasst das ganze Wesen einer Sache«, während die Formgebung sich hauptsächlich mit dem äußeren Erscheinungsbild beschäftigt.
Wilhelm Braun-Feldwege hat den Begriff der industriellen Formgebung geprägt und nennt als wichtige Parameter:
was die Funktion erfordert;
was die Produktion verlangt,
was der Markt wünscht.
Adolf Loos kritisierte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts »das lügnerische Schlagwort angewandte Kunst«.
Bürdek beschäftigt sich selbstverständlich auch mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm, an der er studierte. Die Auseinandersetzungen zwischen Kunst und Design sind bekannt. In der kurzen Zeit des Bestehens der hfg wurde auch in Ulm eine wissenschaftliche Basis des Designs versucht. Demgegenüber wurde in den 1980er Jahren an der HFG Offenbach der Begriff der Produktsprache eingeführt.
Der Begriff »Gestaltung« ist vielfältig und wird manchmal unseriös gehandhabt, der Begriff »Design« noch mehr. In der Architektur wird der Begriff präzise verwendet. »Das Ziel aller Architektur ist Gestalt. Sie ist die Übermittlung einer Idee durch Form«, zitiert Bürdek den Architekturtheoretiker Jürgen Pahl, der sich gleichzeitig gegen den Formalismus (abgewandelt vom Begriff der Idee) wendet. Und Jaques Herzog meint »Architektur als Kunst ist unerträglich«. Gestalt meint weit mehr als die Form, Gestalt ist die Vollendung einer Idee. Leider wird der Begriff Gestaltung heute nicht mehr positiv verwendet, denn unter dem Deckmantel »Design« erscheint eine Zusammenstellung von Tätigkeiten, die für den eigentlichen Begriff der Gestaltung fatal sind.
In Offenbach wurde diszipliniertes Wissen durch eine Theorie der Produktsprache geschaffen (Formalästhetik, Anzeichenfunktion und Symbolfunktion). Die Produktgestaltung wurde in den Achtziger Jahren bei Siemens untersucht: die Formmerkmale und ihre Wirkung sowie die Bedeutungsträger und ihre Inhalte. Dabei kommen auch der jeweilige Zeitgeist zwischen dem Beginn der Industrialisierung und der heutigen Zeit ins Visier.
Das Design von Produkten hat heute eine enorme Bedeutung bekommen. An Formen orientieren sich beispielsweise besonders Heranwachsende. Neue Tendenzen gab es ab den Achtziger Jahren. Das führte unter anderem zu einer Designkunst, die sich vom Gebrauch vollständig verabschiedet hatte. Das hatte sicherlich auch mit der Postmoderne zu tun, die mit dem Funktionalismus aufräumen wollte und solche Erscheinungen wie Memphis hervorbrachte.
Bei der Frage nach der Disziplin wird deutlich, dass oft nicht das disziplinierte Wissen vorhanden ist, das für eine interdisziplinäre Diskussion nötig wäre. Eine unbestimmte Haltung des Designs ist längst in Verruf geraten (Designermöbel). Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier auseinander und Bürdek beklagt und zitiert wiederholt das Dilemma.
Designer empfanden sich im 20. Jahrhundert mitunter als die besseren Techniker, was Bürdek bereits früher als das »Leonardo-Prinzip« bezeichnet hatte. Heute wären die Designer jedoch nicht mehr die Erfinder »von Welt«, sondern eher deren Interpreten. Richard Buckminster Fuller wurde Vorbild für einen wissenschaftlichen Ansatz im Design und wird heute als Vorläufer einer Designwissenschaft genannt. An der hfg in Ulm wurde die Techniknähe bei gleichzeitiger Kunstferne gelehrt. Dabei erscheint gleichzeitig eine Methodologie, wie sie auch in der DDR in Halle gelehrt wurde. Design wirkt heute besonders, um eigentlich Nichtsichtbares sichtbar zu machen.
Ab den Achtzigerjahren gab es eine Renaissance des Handwerklichen, was auch mitunter zu einer Mischung mit Kunst führte. Jedoch wurde Handwerk manchmal verherrlicht. Neue Technologien brachten bisher nie Gesehenes zutage, wenn man nur an die Bauten von Zaha Hadid denkt. Und ganz anders wirkt die Werkraum-Initiative in Vorarlberg. Dort wird nicht romantisiert, sondern an einer neuzeitlichen Lebensgestaltung gearbeitet. Auch Manufakturen erlebten einen Neubeginn, wenngleich der Begriff der »Gläsernen Manufaktur« in Dresden für den Fahrzeugbau zweifelhaft erscheint.
Die Bedeutung der Ökonomie für das Design kam in der Kritik der Warenästhetik der achtziger Jahre zum Ausdruck. Während die Postmoderne im Design versuchte, das Denken über Design umzustürzen, wurde in den sozialistischen Ländern eine klare Rationalität bevorzugt. Große Firmen empfanden das Design ihrer Produkte als wichtig, während viele mittlere Unternehmen glaubten, dass die Kosten dafür zu hoch wären. Die Untersuchungen über den Mehrwert durch Design oder den Markenwert durch Design nahmen Ende des 20. Jahrhunderts zu. Gleichzeitig erlebt man die Zunahme großer Designunternehmen, deren Dienstleistungen weit über das klassische Designangebot hinausgehen.
Für das Design ist heute auch oft schon die Aufgabe, mehr aus dem Begehren heraus zu verstehen und nicht aus den Bedürfnissen oder aus der Funktion heraus, bedeutend. Dabei spielt das ästhetische Denken (Wolfgang Welsch, Gernold Böhme) eine wichtige Rolle, die Ästhetisierung der Ware gepaart mit einem Gebrauchswertversprechen.
Seit den 2000er Jahren gewinnen Designtheorie, Designwissenschaft und Designforschung an Bedeutung. Dabei wird der Designbegriff auch auf logische Systeme angewandt. Da Design eine praxisbezogene Tätigkeit ist, darf die Theorie dazu nicht nur selbstreferentiell sein. Auch die starke Kritik am Design (Papanek: »die schäbige Art … sein Brot zu verdienen«) ist relevant. Der Designer, der die schwachsinnigen Ideen ausheckt, mit denen Werbeleute hausieren gehen, dürfte sich auf die Zukunft und das Verständnis von Design auswirken. Klar, der Gegensatz zwischen industriellen Vorstellungen der Bedürfniserweckung und den ökologischen Anforderungen heute ist erheblich und eine starke Herausforderung. Neues Wissen wäre nötig und dazu gehört auch, dass nicht verdrängt wird, was die letzte Generation gemacht hat. Und ohne Gebrauchswert wird Design zum Styling.
Über die Zukunft des Designs resümiert Bürdek am Ende seiner Dissertation und nennt drei unterschiedliche Bereiche:
der industrielle, Produktgestaltung, Industrial oder Product Design genannt;
der handwerkliche, wozu auch die angewandte »Kunst« gehört und
einer beliebig ökonomischen, doch medial wirksamer Bereich (Body-, Hair-, Waffendesign etc.) mit inflationärer Wirkung.
Sehr viele grundlegende Aspekte, finden sich in dem sehr komplexen und vielleicht einzigartigen Werk von Bürdek wieder. Könnte man nicht Designer und Gestalter zu dieser Lektüre verpflichten?
Aber nun auch noch etwas zur Form dieses Buches. Dem Thema nicht entsprechend, kommt die äußere Gestalt etwas dröge daher. Auch Dissertationen könnten ihre Leser etwas umwerben (vor allem wenn es um einen so hervorragenden Inhalt geht). Im Anhang könnten sich Bibliografie und Register an eine typografische Mindestform halten, das kostet keinen Cent mehr. Die im Anhang benutzte Einspaltigkeit (!) ist leider armselig dilettantisch.
Bernhard E. Bürdek
Design – auf dem Weg zu einer Disziplin
288 Seiten
Verlag Dr. Kobalt, Hamburg 2012
ISBN 878–3–8300–6713–9
89,80 Euro
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