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Buchbesprechung

Bürdek: Design sollte eine Disziplin sein

Rudolf Paulus Gorbach
31. Januar 2013
Bernhard E. Bürdek zählt zu den bedeu­tendsten Theo­re­tikern der Desi­gnszene. Seit 1972 lehrt er an der Hoch­schule für Gestaltung in Offenbach am Main. Seine Bücher sind Stan­dardwerke der Desi­gnge­schichte. tgm-Besucher erinnern sich viel­leicht noch an Bürdeks Vortrag auf der tgm 1995. Dieser Vortrag ist damals auch als Jahresgabe der tgm erschienen.

In seiner jetzt erschienenen Disser­tation mit dem Titel »Design auf dem Weg zu einer Disziplin« blickt Bürdek auf das 20. Jahr­hundert zurück und gibt einen Ausblick auf das 21. Design als Kern­bereich der Gestaltung, weit entfernt von ange­wandter Kunst, durchzieht den Text von den Anfängen des Designs an.

Bemängelt wird, dass Design kein eigenes diszi­plinäres Desi­gnwissen besitzt und Theorie und Praxis ange­sichts der Globa­li­sierung oft weit voneinander entfernt sind. Die Verstän­digung ist vielfach diffus. Auch in den Diskursen um Disziplin und Inter­dis­zi­pli­narität der Neunziger Jahre wird die eigene Disziplin der Designer nicht genügend beachtet.

Bürdek untersucht Design ausgehend von der Kunst, von der Technik und von der Kultur. Die Erkenntnisse der Ökonomie hält der Autor für ebenso wichtig (damit man sich nicht »hinter einem eigenen diffusen Krea­ti­vi­täts­begriff verschanzt«). Zwischen Design und »Craft« gibt es keine Konver­genzen. Das Industrial-Design ist der indus­triellen Produktion verpflichtet, während Kunst­handwerk eher zum Handwerk als zur Kunst gehört.

Die Anfänge moderner Form­gebung werden anhand einer Rückschau auf Nikolaus Pevsner und Herbert Read begonnen. So zeigt sich bereits im Übergang vom 19. zum 20. Jahr­hundert die Diskrepanz zwischen einer Tech­nologie, die lediglich als Mittel zum Zweck genutzt wird, und einer Kunst, die sich selbst als Zweck an sich begreift. Produkte für große Welt­ausstel­lungen wurden mit Bedeutung ange­reichert und dekoriert, um sie besser verkaufen zu können.

Bürdek betrachtet die Konzepte von Vitruv – Zweck­mä­ßigkeit, Festigkeit und Schönheit – als grund­legende Prin­zipien. Und daran schließt zum Beispiel Andreas Dorschel mit seiner »Gestaltung und Ästhetik des Brauchbaren« an (siehe Vier Seiten Nr. 25, 2004) an. Wilhelm Wagenfeld spricht vom Selbst­ver­ständ­lichen der funk­ti­onalen Gestaltung, die sich aus der Hand­habung des Gebrauchs und aus der Herstellung ergibt. Max Bill war ebenfalls vom Gebrauch der Dinge überzeugt und setzte diesen gegen den Schein. Und er wehrt sich gegen zufällige Ergebnisse, denn »die Gestalt umfasst das ganze Wesen einer Sache«, während die Form­gebung sich haupt­sächlich mit dem äußeren Erschei­nungsbild beschäftigt.

Wilhelm Braun-Feldwege hat den Begriff der indus­triellen Form­gebung geprägt und nennt als wichtige Parameter:
was die Funktion erfordert;
was die Produktion verlangt,
was der Markt wünscht.
Adolf Loos kriti­sierte bereits Anfang des 20. Jahr­hunderts »das lügne­rische Schlagwort ange­wandte Kunst«.

Bürdek beschäftigt sich selbst­ver­ständlich auch mit der Hoch­schule für Gestaltung in Ulm, an der er studierte. Die Ausein­an­der­set­zungen zwischen Kunst und Design sind bekannt. In der kurzen Zeit des Bestehens der hfg wurde auch in Ulm eine wissen­schaftliche Basis des Designs versucht. Demge­genüber wurde in den 1980er Jahren an der HFG Offenbach der Begriff der Produkt­sprache eingeführt.

Der Begriff »Gestaltung« ist viel­fältig und wird manchmal unseriös gehandhabt, der Begriff »Design« noch mehr. In der Archi­tektur wird der Begriff präzise verwendet. »Das Ziel aller Archi­tektur ist Gestalt. Sie ist die Über­mittlung einer Idee durch Form«, zitiert Bürdek den Archi­tek­tur­the­o­retiker Jürgen Pahl, der sich gleich­zeitig gegen den Forma­lismus (abge­wandelt vom Begriff der Idee) wendet. Und Jaques Herzog meint »Archi­tektur als Kunst ist uner­träglich«. Gestalt meint weit mehr als die Form, Gestalt ist die Voll­endung einer Idee. Leider wird der Begriff Gestaltung heute nicht mehr positiv verwendet, denn unter dem Deck­mantel »Design« erscheint eine Zusam­men­stellung von Tätig­keiten, die für den eigent­lichen Begriff der Gestaltung fatal sind.

In Offenbach wurde diszi­pli­niertes Wissen durch eine Theorie der Produkt­sprache geschaffen (Forma­läs­thetik, Anzei­chen­funktion und Symbol­funktion). Die Produkt­ge­staltung wurde in den Achtziger Jahren bei Siemens untersucht: die Form­merkmale und ihre Wirkung sowie die Bedeu­tungs­träger und ihre Inhalte. Dabei kommen auch der jeweilige Zeitgeist zwischen dem Beginn der Indus­tri­a­li­sierung und der heutigen Zeit ins Visier.

Das Design von Produkten hat heute eine enorme Bedeutung bekommen. An Formen orien­tieren sich beispielsweise besonders Heran­wachsende. Neue Tendenzen gab es ab den Achtziger Jahren. Das führte unter anderem zu einer Desi­gnkunst, die sich vom Gebrauch voll­ständig verab­schiedet hatte. Das hatte sicherlich auch mit der Post­moderne zu tun, die mit dem Funk­ti­o­na­lismus aufräumen wollte und solche Erschei­nungen wie Memphis hervor­brachte.

Bei der Frage nach der Disziplin wird deutlich, dass oft nicht das diszi­pli­nierte Wissen vorhanden ist, das für eine inter­dis­zi­plinäre Diskussion nötig wäre. Eine unbe­stimmte Haltung des Designs ist längst in Verruf geraten (Desi­g­nermöbel). Anspruch und Wirk­lichkeit klaffen hier auseinander und Bürdek beklagt und zitiert wiederholt das Dilemma.

Designer empfanden sich im 20. Jahr­hundert mitunter als die besseren Techniker, was Bürdek bereits früher als das »Leonardo-Prinzip« bezeichnet hatte. Heute wären die Designer jedoch nicht mehr die Erfinder »von Welt«, sondern eher deren Inter­preten. Richard Buck­minster Fuller wurde Vorbild für einen wissen­schaft­lichen Ansatz im Design und wird heute als Vorläufer einer Desi­gnwis­sen­schaft genannt. An der hfg in Ulm wurde die Tech­niknähe bei gleich­zeitiger Kunstferne gelehrt. Dabei erscheint gleich­zeitig eine Metho­dologie, wie sie auch in der DDR in Halle gelehrt wurde. Design wirkt heute besonders, um eigentlich Nicht­sichtbares sichtbar zu machen.

Ab den Acht­zi­ger­jahren gab es eine Renaissance des Hand­werk­lichen, was auch mitunter zu einer Mischung mit Kunst führte. Jedoch wurde Handwerk manchmal verherrlicht. Neue Tech­no­logien brachten bisher nie Gesehenes zutage, wenn man nur an die Bauten von Zaha Hadid denkt. Und ganz anders wirkt die Werkraum-Initiative in Vorarlberg. Dort wird nicht roman­tisiert, sondern an einer neuzeit­lichen Lebens­ge­staltung gear­beitet. Auch Manu­fakturen erlebten einen Neubeginn, wenn­gleich der Begriff der »Gläsernen Manu­faktur« in Dresden für den Fahr­zeugbau zwei­felhaft erscheint.

Die Bedeutung der Ökonomie für das Design kam in der Kritik der Waren­äs­thetik der achtziger Jahre zum Ausdruck. Während die Post­moderne im Design versuchte, das Denken über Design umzu­stürzen, wurde in den sozi­a­lis­tischen Ländern eine klare Rati­o­nalität bevorzugt. Große Firmen empfanden das Design ihrer Produkte als wichtig, während viele mittlere Unter­nehmen glaubten, dass die Kosten dafür zu hoch wären. Die Unter­su­chungen über den Mehrwert durch Design oder den Markenwert durch Design nahmen Ende des 20. Jahr­hunderts zu. Gleich­zeitig erlebt man die Zunahme großer Desi­gnun­ter­nehmen, deren Dienst­leis­tungen weit über das klas­sische Desi­gnangebot hinausgehen.

Für das Design ist heute auch oft schon die Aufgabe, mehr aus dem Begehren heraus zu verstehen und nicht aus den Bedürf­nissen oder aus der Funktion heraus, bedeutend. Dabei spielt das ästhe­tische Denken (Wolfgang Welsch, Gernold Böhme) eine wichtige Rolle, die Ästhe­ti­sierung der Ware gepaart mit einem Gebrauchs­wert­ver­sprechen.

Seit den 2000er Jahren gewinnen Desi­gntheorie, Desi­gnwis­sen­schaft und Desi­gnfor­schung an Bedeutung. Dabei wird der Desi­gnbegriff auch auf logische Systeme angewandt. Da Design eine praxis­be­zogene Tätigkeit ist, darf die Theorie dazu nicht nur selbs­t­re­fe­rentiell sein. Auch die starke Kritik am Design (Papanek: »die schäbige Art … sein Brot zu verdienen«) ist relevant. Der Designer, der die schwach­sinnigen Ideen ausheckt, mit denen Werbeleute hausieren gehen, dürfte sich auf die Zukunft und das Verständnis von Design auswirken. Klar, der Gegensatz zwischen indus­triellen Vorstel­lungen der Bedürf­ni­ser­weckung und den ökolo­gischen Anfor­de­rungen heute ist erheblich und eine starke Heraus­for­derung. Neues Wissen wäre nötig und dazu gehört auch, dass nicht verdrängt wird, was die letzte Gene­ration gemacht hat. Und ohne Gebrauchswert wird Design zum Styling.

Über die Zukunft des Designs resümiert Bürdek am Ende seiner Disser­tation und nennt drei unter­schiedliche Bereiche:
der indus­trielle, Produkt­ge­staltung, Industrial oder Product Design genannt;
der hand­werkliche, wozu auch die ange­wandte »Kunst« gehört und
einer beliebig ökono­mischen, doch medial wirksamer Bereich (Body-, Hair-, Waffen­design etc.) mit infla­ti­onärer Wirkung.

Sehr viele grund­legende Aspekte, finden sich in dem sehr komplexen und viel­leicht einzig­artigen Werk von Bürdek wieder. Könnte man nicht Designer und Gestalter zu dieser Lektüre verpflichten?

Aber nun auch noch etwas zur Form dieses Buches. Dem Thema nicht entsprechend, kommt die äußere Gestalt etwas dröge daher. Auch Disser­ta­tionen könnten ihre Leser etwas umwerben (vor allem wenn es um einen so hervor­ra­genden Inhalt geht). Im Anhang könnten sich Biblio­grafie und Register an eine typo­gra­fische Mindestform halten, das kostet keinen Cent mehr. Die im Anhang benutzte Einspal­tigkeit (!) ist leider armselig dilet­tantisch.

Bernhard E. Bürdek
Design – auf dem Weg zu einer Disziplin
288 Seiten
Verlag Dr. Kobalt, Hamburg 2012
ISBN 878–3–8300–6713–9
89,80 Euro

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