Kein Stil – und es wurde Stil: Ernst Keller
Dieses Buch zeigt Kellers Spuren. Spuren, die leise, subtil und sorgfältig den »Swiss Style« ermöglichten.Das geschieht vor allem durch seine intensive Lehrtätigkeit zwischen 1918 und 1956. Was für eine Zeitspanne!
Dabei wirken einige seiner frühen Arbeiten eher angestaubt. Es lag vor allem an seiner Didaktik, seiner Aufgabenstellung und seiner Vermittlung der Gestaltungspraxis an seine Schüler.
Unter ihnen sind viele berühmte Gestalter wie Walter Käch, Richard Paul Lohse, Josef Müller-Brockmann, Gérard Miedinger, Carlo Vivarelli und Hans Eduard Maier, um nur einige zu nennen.
Da Keller keine schriftlichen Arbeiten hinterließ, musste für dieses Buch im Archiv der Hochschule der Künste in Zürich recherchiert werden.Das geschah anhand von Stundenplänen, Schülerlisten und Arbeiten der Schüler.
Keller war gelernter Zeichner und Lithograph, ging nach seiner Ausbildung nach Leipzig zur Weiterbildung bei Johannes Weidenmüller, der eine für diese Zeit aktive Werkstatt und »Agentur« betrieb. Weidenmüller war ein bekannter Theoretiker, der sich auch »Werbeanwalt« nannte. Und Leipzig war in dieser Zeit für die grafische Szene besonders prädestiniert. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs musste Keller zurück in die Schweiz und ging bereits 1918 als Lehrer an die Kunstgewerbeschule Zürich, Fach Angewandte Grafik. In Zürich herrschte zu dieser Zeit eine besondere Aufbruchsstimmung (Dada, Anarchisten, Intellektuelle und Künstler aus vielen Ländern). Von diesem Umfeld war Keller vielleicht inspiriert. Wesentlich scheint aber die bereits laufende Reformierung der Kunstgewerbeschule zu sein, die sich von einer traditionellen Malerschule zu einer werkstattorientierten Ausbildung entwickelt hat.
Das Oeuvre von Ernst Keller wurde von Walter Herdeg in der »Graphis« (der berühmten Schweizer Zeitschrift) vorgestellt. Das waren vor allem Plakate, Signets und Beschriftungen zwischen 1916 und 1968, zunächst eher konventionell.
Doch ab 1926 ändert sich das; ein anderes, konzeptionelles Denken macht sich bemerkbar, weg vom Künstler hin zum Gestalter. Die danach entstandenen Schriftplakate wurden wegweisend für mindestens zwei Generationen von Typografen.
Bereits für die legendäre Schweizerische Landesausstellung von 1939 arbeiteten zahlreiche Schüler von Keller mit. Keller selbst widmete sich zwischenzeitlich oft ganz anderen Bereichen wie einem Ziffernblatt, Ladenausstattungen oder Wappen.
Was war nun das Konzept von Ernst Keller? Nach der Recherche für dieses Buch scheint es der Dialog anhand der Entwürfe seiner Schüler zu sein, wohl kaum Vorlesungen. Ehemalige Schüler erinnern sich:
Begründer eines ausdrucksstarken Flächenstils (Richard Paul Lohse),
Vor seiner harten, oft bissigen Kritik wurde niemand verschont (H.U. Steger),
… nicht Keller bewertete, jeder Schüler musste sein Urteil aussprechen (Jaques Plancherel),
Er korrigierte, indem er auf wichtige Merkmale hingewiesen hat (Lora Lamm),
… er gab uns nur kurze, prägnante Hinweise auf Schwachstellen unserer Arbeiten. Die Korrektur überließ er dem Schüler (Josef Müller-Brockmann).
Viele seiner Schüler unterrichteten später erfolgreich selbst. Doch wäre die Neue Grafik von Lohse, Müller-Brockmann, Hans Neuburg und Carlo Vivarelli ohne Kellers Ausbildung kaum möglich geworden, genauso wenig wie die Banknoten von Gauchat oder die Arbeit der Zeitschrift „Graphis“ durch Walter Herdeg, die Grafik für La Rinascente von Lora Lamm und die Grafik des Opernhauses Zürich von K. Domenic Geissbühler.
Ein empfehlenswerter Einblick in die jüngere Geschichte des Grafik-Designs, auch wenn der Text bisweilen zu viel wiederholt. Im letzten Teil des Buches werden die berühmten Schüler gewürdigt, aber auch die Digitalisierung der Gebäudeinschrift der Zürcher Gewerbeschule, die Rudolf Barmettler in seinem Kurs initiiert hatte.
Peter Vetter, Katharina Leuenberger, Meike Eckstein
No Style. Ernst Keller (1891–1968)
254 Seiten
200 × 245 mm
527 Abbildungen
Klappenbroschur
49.– Euro
Triest Verlag, Zürich 2017
ISBN 978–3–03863–023–4
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