typographische
zitate
Gute Typo­graphie ist ganz und gar nicht von auffälligen und sonderbaren Schriften abhängig. Dies meint nur der uner­fahrene.
Jan Tschichold

Typographische
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Event

Jerusalem, zweiter Tag

Boris Kochan
29. Dezember 2010
Das Öster­rei­chische Hospiz, in dem die meisten von uns über­nachten, liegt mitten in der Altstadt und ist eine wunderbare Oase der Ruhe, etwas burgartig gebaut. Früh­morgens hört man die Hähne krähen oder den Muezzin rufen, je nach Lage des Zimmers.
Western Wall, Jerusalem

Geschichte, Reli­gionen, Bücher und Essen

Von der toten Davidstadt über lebendige Via Dolorosa zur Grabes­kirche

Morgens brechen wir zu Fuß auf zur Davidsstadt, vorbei an der Klagemauer und durch Sicher­heits­kon­trollen darumherum, hinunter in das Kidron-Tal und wieder hinauf (diese kleine Fleiß­aufgabe hat sich unser Reise­leiter Ittai Tamari ausgedacht, weil wir sonst zu früh in der Ausgra­bungs­stätte gewesen wären).

Die Davidsstadt ist der älteste Teil Jeru­salems, der Über­lie­ferung nach war hier die Stadt Zion der Kana­aniter, die David eroberte und zu seiner Hauptstadt machte (Jerusalem ist also die Tochter Zions, für die Weih­nachts­lied­kenner). Ob der Palast König Davids schon gefunden wurde: viel­leicht, viel­leicht auch nicht. Diese Erkenntnis wird vermittelt in einer mehr als ausführ­lichen Führung und mit einem aufwendigen 3D-Film, der offenbar gemacht ist für Touristen, die schwer von Gehör und von Begriff sind (und die Land­karten offenbar besser verstehen, wenn die Städ­tenamen in 3D darüber schweben).

Nach den toten Steinen tauchen wir ein in das lebendige (mitt­lerweile erwachte) Jerusalem.  Die Via Dolorosa führt durch das Gewimmel der Altstadt, durch das arabische und christliche Viertel hindurch, von Pontius Pilatus (bzw. seinem Palast) zur Grabes­kirche.

Die Idee der Kreuz­weg­sta­tionen stammt aus Italien und wurde im 18. Jahr­hundert von den Fran­zis­kanern an den vermeint­lichen Origi­nal­schauplatz nach Jerusalem gebracht. Doch die Stadt wurde in den letzten 2000 Jahren mindestens zweimal zerstört, und das heutige Stra­ßen­niveau liegt etwa 15 Meter höher als damals. Der Weg, der direkt an unserem Hospiz vorbeiführt, ist ein großer Markt, auf dem natürlich auch Pilger­de­vo­ti­o­nalien verkauft werden, z.B. Dornen­kronen und mannshohe Kreuze zur realis­ti­scheren Ausge­staltung bei der Nach­ahmung des Kreuzweges.

Durch eine äthi­o­pische Kapelle, die wir gewis­sermaßen als Abkürzung nehmen, gelangen wir vor die Grabes­kirche. Hier teilt sich die Gruppe bis zum Nach­mittag. Wir besichtigen die Grabes­kirche: ein Labyrinth in vielen Stilen, ein unüber­sicht­liches Über- und Durch­einander verschiedener Kapellen vieler christ­licher Konfes­sionen, die zum Teil miteinander im Streit liegen. Eine ausge­brannte Kapelle kann nicht renoviert werden, weil andere den Zugang für Baua­r­beiten verweigern. Der Schlüssel zur Grabes­kirche wird übrigens von einem Muslim verwahrt; die Vertreter der christ­lichen Konfes­sionen vertrauen sich unter­einander nicht.

Klagemauer, auch unter­irdisch 

Gestärkt mit Granat­ap­felsaft und Falafel ziehen wir uns in unser Hospiz zurück und genießen den Kaffee auf einem der Türmchen mit schönem Blick über die Altstadt. Unser Versuch, das arme­nische Viertel zu besuchen, scheitert im Gassen­gewirr am Zeit­mangel, denn wir treffen die ganze Gruppe wieder pünktlich an der Klagemauer. Diese ist die einzige noch erhaltene Origi­nalmauer des hero­di­a­nischen Tempels, der im Jahr 69 nach unserer Zeit­rechnung zerstört wurde. Im Laufe der Zeit (wir hätten gerne eine genauere Angabe) hat sich das Ritual entwickelt, Zettel mit Wünschen und Gebeten in die Ritzen der Mauer zu stecken. Frauen und Männer haben getrennte Maue­r­ab­schnitte, der größere Männerteil setzt sich unter­irdisch fort: der Mauerrest ist noch viel länger, aber von der Altstadt überbaut.

Wir besichtigen diese über­bauten Mauerreste des Tempels und gehen unter­irdisch auf der Straße aus hero­di­a­nischer Zeit an der Mauer entlang; auch hier sind überall Zettel ange­bracht, und an der Stelle, die dem früheren Aller­hei­ligsten des Tempels am nächsten liegt, ist eine kleine Gebets­nische einge­richtet.

Nati­o­nal­bi­bliothek und »Ein Karem«

In der Nähe des Löwentors kommen wir wieder an die Ober­fläche und werden von unserem Busfahrer abgeholt, der uns zur Nati­o­nal­bi­bliothek bringt. Man zeigt uns die Bibliothek des Kabbala-Forschers Gershom Scholem, die er der Nati­o­nal­bi­bliothek vermacht hat, alte Land­karten von Jerusalem, außerdem uralte Manu­skripte und wie sie hier bear­beitet und ediert werden.

Wer einen kleinen Einblick gewinnen möchte, sei auf »Digi­talized Manus­cripts« verwiesen. Der lange Tag neigt sich dem Ende zu, es ist längst dunkel (um diese Jahreszeit etwa ab 17 Uhr), für den Abend ist noch ein kleiner Einblick in die liba­ne­sische Küche geplant. Das Restaurant »Ein Karen« hat wie das gestrige eigentlich geschlossen, aber für uns wird mit spürbarer Begeis­terung gekocht, sehr gut und sehr viel. So müssen nun die Eindrücke auf Geist, Seele und Leib vera­r­beitet werden, bevor sie am nächsten Tag erweitert werden.

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