Der Schöpfungsakt
In dieser Werkstatt sind alle Tische auf Rädern, damit sich die jeweils eingesetzte Gerätschaft den Papierformaten und Arbeitsschritten anpassen lässt. Selbst der »Holländer«, ein traditionelles Gerät zum Mahlen von Lumpen, ist auf Rollen. Und wenn er z. B. die alte Jeans über viele Stunden in einen Faserbrei verwandelt, dann ist das extrem laut – auch eine Erfahrung, die wir an diesem Abend machen!
Es ist lustig, sich vorzustellen, wie sich die Faserstoffe, die ungefähr wie kleine Reiskörner aussehen, mit Wasser füllen und wieder austrocknen.
Nach all der Theorie folgt die Praxis: Schöpfen, Gießen, Sprühen, diese drei Grundtechniken können wir erleben. Besonders intensiv wird es, wenn die Pigmente ins Spiel kommen und die Papiere eingefärbt werden: Das Pink ist knallig und springt einen im Wasser entgegen, wenn das Papier geschöpft wird.
Auch das Gießen von Papier, im großen Format, können wir erleben und sehen, wie das Wasser langsam nach unten tropft und in Eimern aufgefangen wird. Etwas Geduld ist nötig, um zu sehen, wie aus dem Brei Papier wird. Aber bevor das Papier trocknet, legt Raphael Grotthuss es ganz vorsichtig in Falten. Es sieht zärtlich und behutsam aus; es entstehen Wellen wie auf hoher See. Im Anschluss kommt eine Airbrush-Pistole zum Einsatz, die mit reinem Pigment befüllt ist, das nun auf das feuchte Material gesprüht wird. Virtuos weiß Raphael Grotthuss die Lichter und Schatten zu setzen, man spürt seine Vertrautheit mit dem Material und dem Prozedere. Zum Abschluss wird das Papier wieder geglättet und siehe da, ein Bild ist entstanden. Für ein paar Tage wird der Bogen im Trockenschrank ruhen, erst dann kann das Ergebnis beurteilt werden. An der Wand hängt die Arbeit »Landschaft 05042022«, die ebenfalls mit dieser Technik entstanden ist – einfach nur schön.
Das Sprühen von Papier ist sehr begeisternd. Eine Sprühpistole, die normalerweise für den Innenausbau für Putz verwendet wird, wird mit Papierbrei gefüllt. Hier, auf der großen Fläche, können wir sehen, wie die Auseinandersetzung mit dem Material Papier stattfindet. Die Konsistenz des Faserbreis und der Pigmente so zu mischen, dass die Fasern hängen bleiben und die besondere Oberflächenstruktur entstehen kann, erfordert jahrelange Erfahrung. Ein Wettstreit mit sich selbst, die Nerven und auch Ausdauer erfordert und von Raphael Grotthuss jedes Mal aufs Neue im wahrsten Sinne des Wortes als »Schöpfungsakt« empfunden wird.
Wir sind sehr beeindruckt und danken dem Papierkünstler Raphael Grotthuss mit der ihm eigenen bemerkenswerten Offenheit, dass wir den Papier-, zugleich künstlerischen Schöpfungsprozess in seiner Werkstatt miterleben durften.
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