typographische
zitate
Typo­grafie kann unter keinen Umständen Kunst sein.
Rudolf Paulus Gorbach

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

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Event

Der Schöpfungsakt

Helga Schörnig
4. April 2023
Und da saßen wir nun auf den Bier­bänken, gespannt, neugierig, und hörten aufmerksam zu, wie in der »Papier­werkstatt Glockenbach« Papier aus Flachs­fasern herge­stellt wird. Raphael Grotthuss gelingt es, uns mit diesen Bildern in seinen Bann zu ziehen.

In dieser Werkstatt sind alle Tische auf Rädern, damit sich die jeweils einge­setzte Gerät­schaft den Papier­formaten und Arbeits­schritten anpassen lässt. Selbst der »Holländer«, ein tradi­ti­o­nelles Gerät zum Mahlen von Lumpen, ist auf Rollen. Und wenn er z. B. die alte Jeans über viele Stunden in einen Faserbrei verwandelt, dann ist das extrem laut – auch eine Erfahrung, die wir an diesem Abend machen!

Es ist lustig, sich vorzu­stellen, wie sich die Faser­stoffe, die ungefähr wie kleine Reis­körner aussehen, mit Wasser füllen und wieder austrocknen.

Nach all der Theorie folgt die Praxis: Schöpfen, Gießen, Sprühen, diese drei Grund­techniken können wir erleben. Besonders intensiv wird es, wenn die Pigmente ins Spiel kommen und die Papiere eingefärbt werden: Das Pink ist knallig und springt einen im Wasser entgegen, wenn das Papier geschöpft wird.

Auch das Gießen von Papier, im großen Format, können wir erleben und sehen, wie das Wasser langsam nach unten tropft und in Eimern aufge­fangen wird. Etwas Geduld ist nötig, um zu sehen, wie aus dem Brei Papier wird. Aber bevor das Papier trocknet, legt Raphael Grotthuss es ganz vorsichtig in Falten. Es sieht zärtlich und behutsam aus; es entstehen Wellen wie auf hoher See. Im Anschluss kommt eine Airbrush-Pistole zum Einsatz, die mit reinem Pigment befüllt ist, das nun auf das feuchte Material gesprüht wird. Virtuos weiß Raphael Grotthuss die Lichter und Schatten zu setzen, man spürt seine Vertrautheit mit dem Material und dem Prozedere. Zum Abschluss wird das Papier wieder geglättet und siehe da, ein Bild ist entstanden. Für ein paar Tage wird der Bogen im Trocken­schrank ruhen, erst dann kann das Ergebnis beurteilt werden. An der Wand hängt die Arbeit »Land­schaft 05042022«, die ebenfalls mit dieser Technik entstanden ist – einfach nur schön.

Das Sprühen von Papier ist sehr begeisternd. Eine Sprüh­pistole, die norma­le­rweise für den Innen­ausbau für Putz verwendet wird, wird mit Papierbrei gefüllt. Hier, auf der großen Fläche, können wir sehen, wie die Ausein­an­der­setzung mit dem Material Papier statt­findet. Die Konsistenz des Faserbreis und der Pigmente so zu mischen, dass die Fasern hängen bleiben und die besondere Ober­flä­chen­struktur entstehen kann, erfordert jahrelange Erfahrung. Ein Wett­streit mit sich selbst, die Nerven und auch Ausdauer erfordert und von Raphael Grotthuss jedes Mal aufs Neue im wahrsten Sinne des Wortes als »Schöp­fungsakt« empfunden wird.

Wir sind sehr beein­druckt und danken dem Papier­künstler Raphael Grotthuss mit der ihm eigenen bemer­kens­werten Offenheit, dass wir den Papier-, zugleich künst­le­rischen Schöp­fungs­prozess in seiner Werkstatt miterleben durften.

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