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Typo­grafie dient der Kommu­ni­kation im Dienst einer Aufgabe.
Jan Tschichold

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Buchbesprechung

Basel und eine Stilgeburt

Rudolf Paulus Gorbach
5. April 2017
Folgt man der Autorin, so begann die Basler Schule der Gestaltung bereits in der Renaissance. Damals förderte der Basler Drucker Johannes Froben zusammen mit Erasmus von Rotterdam die Aufklärung. Direktere Verbin­dungen bestehen aber zur Zeichen­schule des Hieronymus Holzach und zu den pädago­gischen Muster­blättern Heinrich Pesta­lozzis. Die hohe Qualität der Ausbildung an der Basler Schule mag also tief in der lokalen Tradition verwurzelt sein. Dies spricht nicht gegen einen starken Einfluss des Bauhauses und verwandter Rich­tungen.

Zu Beginn des 20. Jahr­hunderts wurden Kunst- und Gewer­be­schulen sowie Gewer­be­museen gegründet. In diesem Zusam­menhang entstanden auch die ersten gestal­te­rischen Vorkurse für verschiedene Fach­aus­bil­dungen. Am Bauhaus in Weimar spielte der Vorkurs eine sehr wichtige Rolle, wobei sich die Vorkurs­konzepte von Johannes Itten, Josef Albers oder Làzló Moholy-Nagy bereits stark unter­schieden.

Das »Schweizer Plakat« als Parallele zur Schweizer Grafik entwi­ckelte sich bereits zu Beginn des 20. Jahr­hunderts recht eigen­ständig (Burkhard Mangold, Paul Kammüller, Robert Stöcklin). Viele auslän­dische Lehrer unter­richteten in Basel, so Fritz Helmut Ehmke, Anna Simons, Anton Stan­kowsky oder Jan Tschichold, zum Teil als Flüchtlinge.

Dorothea Hofmann hat ein umfang­reiches und mit vielen Beispielen versehenes Buch vorgelegt. Die Basler Schule für Gestaltung war sehr wichtig für die Entwicklung der Nach­kriegs­ge­staltung. Besonders inter­essant ist in diesem Zusam­menhang die Entwicklung der Typo­grafie-Lehre.

Das Schweizer Design wird derzeit sehr intensiv beschrieben und aufge­ar­beitet (siehe auch Grafik­design und histo­rische Forschung", tgm-Blog vom 11. Januar 2017 und Les Suisses de Paris" über die Schweizer in Frankreich, tgm-Blog vom 21. November 2016). Ergänzt dieses Buch richtig?

In den zwanziger Jahren brachte Ernst Keller sehr dominante Schüler hervor: Walter Käch, Theo Balmer, Hermann Eidenbenz, Max Huber und Richard Paul Lohse.

Schüler des Foto­grafen Hans Finsler waren René Burry, Karl Gerstner, Bruno Bischo­berger, Ernst Schei­degger u.a. Die Foto­montage, wie sie Herbert Matter lehrte, und die Konkrete Kunst wurden für die Gestal­tungs­rich­tungen der Basler Schule wichtig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Berufsbild des Typo­grafen in Basel aufge­wertet und ihm endlich eine eigen­ständige künst­le­rische Gestal­tungskraft zuge­standen. Die Werbung verändert sich, ein neues, typo­grafisch domi­niertes Grafikbild entsteht. Neben anderen wichtigen Lehrern sind Armin Hofmann und Emil Ruder die wich­tigsten Impulsgeber. Dieser Stil wird aber auch von Wirt­schaft und Industrie, vor allem aber von kultur­prä­genden Insti­tu­tionen über­nommen. So »erobert« über Basel (aber auch Zürich) eine neue, strenge und funk­tionale Gestaltung die Welt, die später als »Inter­na­ti­onaler Stil« bekannt wird. Stil­bildend wirken große Firmen wie Geigy, deren Ateli­er­personal wiederum eng mit der Kunst­ge­wer­be­schule zusam­me­n­a­r­beitet. Max Schmid als Leiter des Geigy-Ateliers arbeitet mit Karl Gerstner zusammen, der als einer der wich­tigsten Erneuerer von Typo­grafie, Werbe­grafik und Corporate Design gilt. Basler Professoren nehmen Lehr­aufträge in den USA an und vor allem über Armin Hofmann wird das Schweizer Grafik­design in Amerika etabliert. Die tonan­gebende Zeit­schrift »Die neue Grafik« erscheint jedoch in Zürich. Aus der typo­gra­fischen Über­zeugung Emil Ruders entsteht auch das wohl wich­tigste Lehrbuch der Schweizer Typo­grafie (Ruder, Typo­grafie).

Leider finden die späteren und äusserst wichtigen Lehrer wie Wolfgang Weingart und Emil Ruder kaum Platz. Insofern bricht die Geschichte in den sechziger Jahren etwas ab.

Gestaltung und Druck des Buches sind von solidem Standard. Die vielen Gestal­tungs­bei­spiele von Pestalozzi bis heute sind sehr anregend. Allerdings ist die stark klam­mernde Bindung (mit dem funk­ti­ons­widrigen geraden Rücken) für den Benutzer ein nicht zu recht­fer­ti­gendes Ärgernis. Das hat auch die Freude an der Arbeit mit diesem Buch gedämpft. Das Buch bleibt leider nicht aufge­schlagen, sondern schließt sich immer wieder von selbst.

Dorothea Hofmann
Die Geburt eines Stils
Der Einfluss des Basler Ausbil­dungs­modells auf die Schweizer Grafik
472 Seiten mit 400 Abbil­dungen und 1 Plakat
Triest Verlag Zürich, 2016
ISBN 978–3–03863–017–3
65 Euro

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