Im wahrsten Sinne des Wortes: MEGA
Reisebericht: Donnerstag 16. bis Sonntag 19. Oktober 2025 mit Fotos der Teilnehmenden.
Eine ehemalige Seidenbandfabrik – erweitert mit wohltuendem Beton-Charme und mit Liebe zum Detail – die Jugi, wie die Basler sagen. Hier begegnen wir auch unserer ersten Stiftung: Die Christoph-Merian-Stiftung, die das Büro Buchner Bründler beauftragte, die Renovierung der Fabrik zu übernehmen. Herausgekommen ist – zu lesen im Gästebuch: »Die schönste Jugendherberge in Europa«. Schaut selbst!
Also, an diesem schönen Ort, mitten in Basel erwartete uns unser TGM-Basel-Reise-Team. Ausgestattet mit Programm, Basel-Card, Zimmerschlüssel und Schoggistängeli stand der ersten Erkundung nichts im Wege.
Um 16.30 Uhr sind wir im Atelier Icona (Kommunikationsdesign und Fotografie) verabredet. In einer lichten, ehemaligen Hinterhofwerkstatt werden wir herzlich von Katharina Marti, Christoph Gysin und Nicholas Mühlberg empfangen. Bücher – für uns ausgelegt –, mit Sorgfalt bis ins Detail gestaltet. Zum Beispiel die 9-teilige Buchreihe »Stadtgeschichte Basel«, selten hat man bei Geschichtsbüchern das Verlangen nach: Oh, lass mal lesen, studieren, blättern und versinken. Nach der Präsentation sind wir liebenswürdigerweise zum Apéro geladen – ein Getränk, kleine Häppchen. Eine Gelegenheit zum Beisammensein, zum Entspannen und, in unserem Fall, viele Fragen stellen zu dürfen. Ein feiner Brauch in der Schweiz.
Lautlos über den Rhein
Die Fähre »Wilde Maa« gleitet mit uns von Großbasel nach Kleinbasel (übrigens, dass es die Rhein-Fähren noch gibt, ist natürlich einer Stiftung und dem Fähri-Verein Basel, zu verdanken).
Da wir eilen müssen, bleiben viele Fragen an den Fährimann offen – in einem der Stadtgeschichtsbücher von Atelier Icona (s. o.) könnten wir es nachlesen, ansonsten hier.
Bewegende Kunst
Unser letzter Besuch am Abend gilt dem Tinguely-Museum (1996, Mario Botta, Tessiner Architekt).
Jean Tinguely, ein bedeutender Vertreter der kinetischen Kunstbewegung, wäre dieses Jahr im Mai 100 Jahre alt geworden. Skulpturen, heiter, monumental, skurril. Reflektierend und kritisch die zunehmende Industrialisierung und Automatisierung der Nachkriegszeit anprangernd.
Tinguelys gesellschaftskritische Position gegen den Konsum zeigt sich unverkennbar in den Materialien – dem Schrott –, mit denen er sich ausdrückte. Außerdem die Sonderausstellung Midnight Zone von Julian Charrière.
Es ist schon sehr dunkel als wir das Museum verlassen. Der Kopf ist voll. Der Magen hängt am Knie.
Abendessen unter einem 27 Meter hohen Kuppelbau
Wir arbeiten gute 10 Minuten unseres Gesamt-Schritte-Kontingents ab (plus Tram 2) bis zur Basler Großmarkthalle. 1929 erbaut (zur damaligen Zeit der drittgrößte Stahlbeton-Kuppelbau der Welt), bis 2004 als Großmarkt genutzt. Es gab viele Konzepte für die Anlage, u. a. erwog der Basler Zoo, aus der Markthalle eine Bleibe für seine Pinguine, Seeotter und Seeanemonen zu schaffen.
Wir waren froh, dass bunte Straßenküchen aus der ganzen Welt hier eine Heimat gefunden haben. Lieber pakistanisch oder vietnamesisch oder italienisch, nein argentinisch – wir fanden alle etwas für unser wohliges Sattwerden.
Wir arbeiten weitere 20 Minuten unseres Gesamt-Schritte-Kontingents ab, um in die Herberge zu gelangen.
Freitag, der Tag der Superlative
Ich lass jetzt mal weg, wie die Nacht und das Frühstück war (ganz kurz: mega).
Wir gehen gemeinsam los (ein kleines Lunchpaket in der Tasche).
Schaulager. Licht und Bässe
Worte genügen hier nicht, um die Kunstheimat der Laurenz-Stiftung — das Werk der beauftragten Architekten Herzog & de Meuron — zu vermitteln.
Wir bekommen eine Sonderführung. Der virtuose, somnambule Guide Andy Blättler beantwortet unermüdlich unsere Fragen. Das Schaulager ist eine Heimat für Kunst, die noch keiner versteht, bzw. noch keiner verstanden hat. Hier sind die Kunstwerke unter sich, behütet von den ausgeklügeltsten Klima-Anlagen, Licht-Installationen und Menschen, die sich um sie kümmern und sorgen. Aktuell war die Ausstellung des Künstlers und Filmemachers Steve McQueen mit dem Titel »Bass« über 5 Etagen zu erleben. Nur für uns wurden über 1000 Lichtröhren und Bässe losgelassen. Man wird still, ruhig und reist mit den weichen Bässen und dem sich ändernden Licht in die Höhe. Ich könnte jetzt noch von der schönsten Toilettenwandfarbe, die ich je erlebt habe, schreiben … Ich sag nur: Flieder erfrischt.
Wir müssen rennen, denn Philipp Messner, der Leiter der Plakatsammlung der Schule für Gestaltung, wartet schon.
Der Besuch der öffentlichen Plakat-Gedächtnisinstitution
Im Eingangsbereich: Buchstaben, Ziffern, Farbe, Typografie auf Weltformat, die das Gestalterherz beseelen und in ihrer Einfachheit bestürzen.
Seit 1896 sammelt die Institution Plakate — mittlerweile sind es rund 100 000. Weitgehend Plakate aus der Schweiz, aus den Bereichen Kultur, Politik und Wirtschaft. In großen Schubladen, harren sie auf …?
Aktuell zu sehen war die Ausstellung »Plakatszene Luzern«. Arbeiten von Grafiker:innen aus dem Umfeld der Veranstaltungsorte Treibhaus, Südpol und Neubad, sowie dem seit 2009 jährlich stattfindenden »Weltformat Festival«.
Ein Kaffee. Ein baskischer Käsekuchen. Und weiter geht’s.
Superlative im Hinterhof
Von wegen feuchte Keller, bröckelnder Putz und alte Verstärker. Wahr gewordene Akustik-Raum-Träume für Musiker.
Bernhard Ley, mit Leib und Seele verbunden mit dieser Örtlichkeit – ohne sein Organisationstalent, Hartnäckigkeit und die Umtriebigkeit gäbe es höchstwahrscheinlich keine Jazzabteilung an der Basler Musik-Akademie – führte uns durch die ehemalige, zum größten Teil neu gebaute Maschinenfabrik – mitten in der Altstadt von Basel. Häuser, schmal, mit hohen Giebeln, die sich um den engen Hof drängen. Fassaden aus handgestrichenen grau-weißen Ziegeln und Erker aus Beton. Gemauerte Bögen mit offenem Kamin. Wir erfahren, lernen und staunen, mit welcher Wertschätzung die Töne und diejenigen, die sie von sich geben, umhegt werden. Den Zufall gibt es nicht — nicht bei dieser Institution. Über 50 Probe- und Unterrichtsräume wurden unterschiedlich dimensioniert, was die akustische Individualität eines jeden Raumes akzentuiert. Wir durften Europas beste Jazz-Schule besichtigen. Ermöglicht durch eine Stiftung — welche Frage.
Die Musiker bzw. die Studenten sind jung. Das Publikum, das in der Regel Jazz hört 50+.
Die Frage, warum das so ist, konnten wir nicht klären — denn Bianca Wyss erwartete uns – nur 10 Minuten — oder so — zu Fuß von hier.
Sie teilen sich die Räume einvernehmlich
Die Gestalter von Stauffenegger + Partner teilen sich ein Haus aus dem Jahr 1272 mit dem Werk von Rolf Rappaz (1914–1996), dem Basler Grafiker und konstruktivistischen Künstler.
1272: Die Zeit, als Rudolf von Habsburg in Basel tobte (näheres in einem der Bände der Stadtgeschichte Basel zu lesen und sich typografisch daran zu erfreuen). Die Werke von Rolf Rappaz sind wertschätzend in die Umgebung integriert und blinzeln einem grafisch zu.
Bianca Wyss stellt uns das Haus vor. Feine, stille Bescheidenheit. Steile Treppen und Veranden sind der Ort, wo Stauffenegger & Partner arbeiten. Das Büro spannt einen großen grafischen Bogen. Ihr Public Design besticht durch die semantische Übereinstimmung der Gestaltung mit dem Sinn des Ortes.
Auch hier sind wir zum Apéro geladen – und mir dämmert, wir haben unbotmäßig alle Kringel gegessen. Bianca, entschuldige bitte — uns war vor lauter Eindrücken magenschwach.
Jetzt »dürften« wir noch schlendern, steht im Programm. Wir streben zielsicher einem Ort mit warmem Essen entgegen: auf zum Klara —, eine Bar mit 9 Küchen. Unkompliziertes Markthallenfeeling. Satt mit roten Backen, finden wir den Weg in unsere Betten.
Samstagmorgen
Der Bach vor der Herberge rauscht, die Luft ist frisch, der Himmel wird blau, der Bergkäse und das Birchermüesli sind cremig und mega gesund. Jetzt nur noch 20 Minuten zum Stadtcasino laufen.
Amazing. And the Oscar goes to …
Vor dem Stadtcasino erwartet uns Frau Wipf für eine sehr informative Führung. Uns wird bewusst, wie sehr Architektur uns bloßstellen kann — wenn man nicht den Räumen angemessen gekleidet ist. Wir gehen auf — nein, wir schweben über Linsen-Parkett, bedacht von silbern gehämmerten Quadraten an der Decke. Wände mit ochsenblutroten, gewebten Trevira-Tapeten (dem Brandschutz geschuldet, sonst wären sie aus Seide) bespannt. Toiletten: Boudoir in tiefrotem Lack.
Leuchtend, bekrönt und perücken-glitzernd, atemberaubend, das Stadtcasino, das Konzerthaus von Basel. Das Orientierungskonzept: glitzernder Faden stickt die Century Schoolbook (nimmt die Schreiberin an) auf den Seidenstoff (Trevira) der Wand, auch das Feuerwehr-Piktogramm wurde dem Anlass entsprechend eingekleidet — manche von uns tragen nicht mal Turnschuhe.
Wir staunen ob der vielen gestickten Spender und Stifter, die der oft brotlosen Kunst einen roten Himmel auf Erden schaffen. Mit Hilfe von Herzog & de Meuron.
Der Kopf ist auch rund, damit mehr reingeht
Einmal schütteln. Tram 6 führt uns in Jiri Oplateks Atelier (Anm. der Red.: Jiri Oplatek war vor fünf Monaten bei uns in München zu Gast und hielt einen Vortrag). Das architektonische Kontrastprogramm: hell, heiter, fürsorglich, provisorisch und kreativ. Das Stadtcasino und Jiris Weltformat-Plakate (89,5 cm × 128 cm) teilen die unbändige Freude, Themen eine überraschende Gestalt zu geben.
Jiri Oplatek blättert für uns durch 8 cm SAM-Plakate (Schweizerisches Architekturmuseum), Theater Basel u. v. m. Aktuelle Kunst passt oft nicht wirklich in ein Buch, was dann? Eine alte Schuhschachtel. Einzelblätter mit Dokumenten und Fotos aus dem Atelier des Künstlers Krištof Kintera. Zum Anfassen, Knicken und falsch rum wieder reinlegen. Das ist Kommunikations-Design im wahrsten Sinn des Wortes. Chapeau.
Warum Jiri Oplateks Atelier »Claudia Basel« heißt, haben wir vergessen zu fragen.
Cousine mit schöner Aussicht
Maria und ich hatten einen Undercover-Auftrag, deshalb kann ich nur vom Hören erzählen.
Oben in der Altstadt, am Nadelberg, lebt eine Cousine von Catherine, Susanne, mit ihrem Mann Peter. Sie haben eine Wohnung mit Terrasse und einer phänomenalen Aussicht über die Dächer von Basels Innenstadt, und uns spontan eingeladen, außerdem sammeln sie Seidenbilder – Ausstellung im Treppenhaus. Es fand sich noch ein kleines Zeitfenster für diesen Besuch – von einem kleinen Apéro begleitet.
Beizen mit geheimnisvollen Stiftern
Tram 6, eine Konstante, bringt uns zum Werkraum Warteck pp (permanentes Provisorium). Eine Brauerei und Mälzerei, die 1990 ihren Betrieb eingestellt hat.
Wer, wann, von wem die Gebäude übernommen hat, würde hier den Rahmen sprengen. Martha Alves (Innenarchitektin) führte durch die kulturellen, sozialen und kreativen Themen, die heute hier beheimatet sind: Wir beginnen in einer Schlosserei … Dann wendeln wir uns eine schmale Treppe hoch, höher, noch höher (eine Teilnehmerin versagt, ein Teilnehmer findet die andern nimmer und trifft die »Versagerin« beim Aperol auf einer Terrasse). In den Beizen (Kneipen) gibt es typischerweise Fritten und Klöpfer, nicht so in der Warteck Kulturbeiz 113 im 5. Stock. Wir genießen ein feines, vegetarisches 3-Gang-Menü.
Wir lachen, erzählen, stoßen an und freuen uns aneinander. Und beim Bezahlen der 2. Getränkerunde (und mehr) hat sich ein Stifter »vorgedrängt« — wir wurden reich beschenkt an diesem Tag, nicht nur durch den 2. und 3. Weißwein.
Die letzten Schritte von insgesamt 49 337
Noch einmal schlafen, frühstücken, Koffer packen und 784 Schritte, dann sind wir im »Haus zum Kirschgarten«.
Wir schließen unsere gemeinsame Reise mit dem Thema »Basler Wohnkultur im 18. Jahrhundert« in dem großbürgerlichen Anwesen des »Bändelherren« (Seidenbandfabrikanten) und Obersten Johann Rudolf Burckhardt ab. Erbaut zwischen 1775 und 1780. Frühklassizismus mit freimaurerischem Hintergrund. Schluss mit Verzierungen, Zeit für klare Linien nach antikem Muster.
Wenn wir nicht hätten heim müssen, würden wir heute noch fragen.
Catherine und Christoph, ihr habt uns eine unbeschreibbare Reise geschenkt. Danke. Wir mussten nur dabei sein und die Sinne öffnen — alles andere hattet ihr uns abgenommen.
Einfach 4 Tage Kunst- und Kultur-Glücke samt dem zärtlichen Herbstwetter. Wir sind durch euch Basler-Glückskäfer geworden.
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Basel und eine Stilgeburt
Folgt man der Autorin, so begann die Basler Schule der Gestaltung bereits in der Renaissance. Damals förderte der Basler Drucker Johannes Froben zusammen mit Erasmus von Rotterdam die Aufklärung. Direktere Verbindungen bestehen aber zur Zeichenschule des Hieronymus Holzach und zu den pädagogischen Musterblättern Heinrich Pestalozzis. Die hohe Qualität der Ausbildung an der Basler Schule mag also tief in der lokalen Tradition verwurzelt sein. Dies spricht nicht gegen einen starken Einfluss des Bauhauses und verwandter Richtungen.