Annett Zinsmeisters Systemsicht der Platte
Über den Titel ihres Vortrags »Wahrnehmung gestalten« rätselte sie etwas. Und vielleicht sind es ja auch zwei völlig verschiedene Bereiche: Wahrnehmung von Gestaltung oder das Gestalten, um etwas wahrzunehmen?
Den Raum als Thema des Wandels der Städte beobachtete sie beispielsweise mit dem Wandel Berlins seit 1989. Bedeuten Veränderungen Befreiung oder ist es eher schmerzhaft? Stuttgart 21 wird nach wie vor bekämpft, aber sie findet, dass die Diskussion eher spaltend wirkt. Nähe und Ferne nähern sich in unserer Gesellschaft an; das Private wird weniger. Was bedeutet dann Identität, wo finden wir sie, und wo in der Architektur? Ihr Versuch, Architektur, Kunst und Wissenschaft gleichzeitig zusammenzubringen, zeichnet sie als Künstlerin aus. Und sie bekennt, dass »das Schreibzeug an den Gedanken mitarbeitet« (Nietzsche).
Ihre Projekte sind alle sehr interessant, wenn man sich mit Gestaltung generell auseinandersetzt. Bei Libeskinds jüdischem Museum in Berlin geht es um das Thema Fenster und Durchbrüche. Auch bei Situationen in Berlin mit historischen Spuren wie beim ehemaligen Außenministerium, das saniert und dann abgerissen wurde, zeigt sie ihr Können. In Mehrfachbelichtungen bildet sie verschiedene Zeiten ab »Berlin Tuning«. Gegenstände der DDR-Kultur werden anhand der Warenwelt als Raumkonzept für Fehlprodukte der DDR untersucht.
Annäht Zinsmeister sieht den Plattenbau als kulturelles Phänomen. In der DDR waren dort begehrte Wohnungen zu finden. Diese Gebäude breiteten sich nicht nur in Berlin (z.B. Berlin Lichtenberg) aus, sondern wurden weltweit gebaut. Dabei handelt es sich um bestimmte Gebäudetypen, die immer wieder errichtet wurden. Ein Standardsortiment wurde als Baukasten verwendet. Die verschiedenen Bautypen sollten eigentlich gemischt werden, was aber mit Fünf-Jahres-Plänen nicht möglich war. Die dabei vorgesehenen Fassaden und Gebäudetypen hat Zinsmeister erforscht und bestimmt.
Es handelt sich um eine Architektur des Verschwindens, da sie inzwischen weitgehend renoviert und verschönert wurden. Und so tritt die »Platte« in ganz verschiedenen Projekten Annett Zinsmeisters immer wieder auf, wie bei einem Fassaden-Memory; Plattenbau im Raster und den einzelnen Elementen (Museum Osthaus 2002); Mediale Module: neue Fassaden in Form von Tapeten; der Plattenbau als Wand; Plattenbau im Fahrstuhlschacht (Rasterfahndung Stuttgart, Kunstmuseum 2012) oder Minimalismus und Erschauen durch Fassadenwände (Solitude). Und dazu sind für alle Projekte Bücher erschienen.
Andere Projekte befassen sich beispielsweise mit der Identität der Bewohner von Nürtingen oder der Zerstörung von Sarajevo, einer kulturellen Stadt, und wie damit umgegangen wird. Dabei zeigt sie verfremdete Fotografien, die einen anderen Blick provozieren sollen, vielleicht auch um aus der üblichen Bilderflut herauszukommen.
Mehr über Annett Zinsmeister unter anderem auf ihrere Homepage.
Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten
Ein Buch wird Teil einer Kunst
Bibliosculpture nennt Ingo Gerken eine Serie von Arbeiten, die aufgeschlagene Buch- oder Zeitschriftenseiten zeigen. Diese werden mit Objekten ergänzt und fotografiert und so zu einem neuen Kunstwerk. Das ist aber nur das technisch-organisatorische Prinzip.
Fotokunst von Barbara Niggl Radloff
Am 25. Februar 2022 erlebten wir eine beeindruckende Fotoausstellung samt hochkarätiger, detailreicher Führung durch Kurator Maximilian Westphal. Mediengestalter und Kunsthistoriker befasste sich schon lange mit der Fotografin und sichtete mehr als 2.500 Schwarz-Weiß-Abzüge aus ihrem Nachlass.
Wunderland der Editionen und Publikationen
Huber Kretschmers »Archive Artist Publications AAP« in München Schwabing sammelt Publikationen aus Kunst und Alltagskultur. Die Sammlung spiegelt die kulturelle Entwicklung der letzten 40 Jahre wider und umfasst eine Vielzahl von Formaten, vom Künstlerbuch bis zum kommerziellen Katalog.